13. November 2024

Er träumt von einem Paradies aus Beton

Franco Zunino © SNF

Bern/Schweiz (pm) – «Zauber und Schönheit liegen in der Verwandlung: Zuerst ist Beton eine cremige Flüssigkeit, die wir in eine Form giessen können. Daraus entsteht ein nahezu unzerstörbares Werk. Durch seine zwei Leben ermöglicht uns Beton, jede noch so verrückte Idee Wirklichkeit werden zu lassen.» So schwärmt Franco Zunino von seinem Forschungsobjekt. Beton kratzt an Wolken, bricht Wellen, bahnt uns den Weg durch Berge hindurch. Mal ist er rund, mal eckig. Beton speichert Wärme, schützt vor Feuer, Wasser, Gift und Strahlung. In Kombination mit Stahl hält der künstliche Stein enorme Lasten aus. Für Zunino ist klar: «Beton ist ein magisches Material!» Kein Wunder geht der Eroberungszug weiter. Wir Menschen benötigen immer grössere Mengen des Baustoffs – vor allem in sich rasant entwickelnden Erdregionen wie Indien, Afrika, Südostasien oder Südamerika. Es gibt nur ein Problem: Die Herstellung des Wundermaterials kostet enorm viel Energie und stösst grosse Mengen an CO2 aus.

Aus der Backstube zum Brennofen

Franco Zunino arbeitet am Institut für Baustoffe der ETH Zürich in der Gruppe Physikalische Chemie der Baumaterialien. Der Chilene forscht seit sechs Jahren in der Schweiz «für die Zukunft unseres Planeten», wie er sagt. Seit 2022 tut er dies mit einem Ambizione-Stipendium des SNF. Seine Grosseltern hatten eine Bäckerei. Auch hier, im blank geputzten Labor des Instituts für Baustoffe der ETH Zürich, zwischen Hochleistungsöfen und Mischmaschinen, redet der Forscher von frischem chilenischem Brot, dem Geschmack der Hefe. Der katapultiere ihn ab dem ersten Bissen subito in seine Kindheit. Faszinierend war für den Jungen schon damals der beinahe wissenschaftliche Prozess: das präzise Justieren der Zutaten, das Abwiegen des Mehls, die Reaktionen im Teig, seine Konsistenz, die sich darin entwickelnden Aromen. «Im Rezept machen die Mengen alles aus. Ein Brot wird durch eine Prise Salz schmackhaft. Zu viel macht es ungeniessbar.» Genau wie beim Beton: Er lässt sich durch minimale Mengen an Zusatzstoffen verfeinern; wird so vielleicht länger verarbeitbar, weicher, dichter oder noch beständiger. Oder aber: Er wird unbrauchbar.

Der Materialwissenschaftler nimmt einen Betonwürfel in die Hand. Er ist glatt und grau – besteht aus nur wenigen simplen Zutaten: Kalkstein, Ton, Sand, Kies, Zusatzstoffe und Wasser. Kalkstein und Ton werden zuerst gebrannt und mit verschiedenen Zusatzstoffen zu Pulver gemahlen, wodurch das Bindemittel Zement entsteht – von Laien oft mit dem Beton selbst verwechselt. Kommt Wasser hinzu, wird der Steinbrei hart. Optimal gemischt, ist Beton verlässlich, sicher, beständig und anspruchslos – ein Fundament, eine Stütze.

Wäre da nicht das Problem, das die Beziehung Beton-Mensch ins Wanken bringt: Der Energieverbrauch beim Brennen des Zements, bei dem auch noch viel CO2 aus dem Kalkstein freigesetzt wird. Darum gehört die Betonindustrie zu den Hauptverursachern von Treibhausgasen und ist weltweit für bis zu neun Prozent der menschengemachten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich – das entspricht etwa dem Vierfachen des gesamten Luftverkehrs. Man müsse aber relativieren: «Im Vergleich zu anderen Baumaterialien wie Stahl, Aluminium oder Glas, hat Beton einen relativ kleinen CO2-Fussabdruck. Die schiere Menge des Materials lässt ihn so gigantisch erscheinen», sagt Zunino. Auch Holz als Baumaterial sei keine Lösung, da viel zu viel davon benötigt werde: Wolle man auch nur die Hälfte des Betons durch Holz ersetzen, müsste man wohl einen Wald in der Grösse Indiens pflanzen und dreissig Jahre zuwarten. «Eine der wichtigsten Optimierungen der Betonindustrie ist, diesen wunderbaren Baustoff weiter zu verbessern. Der Hebel ist gross.»

Daher wollen Zunino und sein Team eine neue Familie des Baustoffs entwickeln, quasi einen «grünen Beton». Bis zu 800 Millionen Tonnen CO2 könnten so weltweit pro Jahr eingespart werden, was zwei Prozent der weltweit von Menschen verursachten Kohlenstoffemissionen entspricht oder dem 20-fachen der Schweizer Kohlenstoffemissionen. Dazu setzt der Wissenschaftler auf eine Doppelstrategie: Zum einen soll der Zementanteil um rund 60 bis 70 Prozent gesenkt werden. Dies ist der besonders CO2-intensive Bestandteil. Dazu braucht es im Zement neuartige chemische Zusatzstoffe, vor allem sogenannte polymere Dispergiermittel – ein Schlüsselaspekt der Forschung. Zum anderen soll der Anteil an Bindemitteln – also Zement und Zusatzstoffe – im Beton verringert werden. Ziel ist, dass diese mineralischen Zusätze und nicht der Zement die Wechselwirkungen im Beton dominieren. Die grosse Herausforderung ist nun, das komplexe Gleichgewicht zwischen dem Fliessverhalten und der Aushärtung bis ins kleinste Detail zu verstehen, um gleiche Eigenschaften trotz unterschiedlicher Zusammensetzung zu ermöglichen.

Er sieht keine Alternative zum Beton

«Die menschlichen und wirtschaftlichen Komponenten sind genauso wichtig wie die technischen», ist Zunino überzeugt. «Das Material muss im Alltag bestehen. Ist es etwa erst nach einer Woche ausgehärtet, statt eines Tages oder so, wird es sich nicht durchsetzen.» Das Forschungsteam arbeitet daher eng mit einem grossen Zementhersteller zusammen. «Wenn wir Erfolg haben, hat die Industrie eine Lösung in der Hand, um ihre CO2-Ziele umzusetzen und CO2-Abgaben zu sparen», sagt der Materialforscher. Eine Lösung mit komplett neuem Baustoff sieht er nicht: «Auf der Strasse in Nigeria, wo der Beton vielleicht auch mal mit den blossen Händen zusammengemischt wird, würde sich eine Rocket-Science-Lösung nicht durchsetzen.»

Der Traum des Forschers: Wenn eines nachts all der Beton durch eine nachhaltige Variante ersetzt würde und niemand merkte den Unterschied. Zunino lacht: «Eine Verwandlung eben, so zauberhaft wie das Material selbst.»

Pressemitteilung: Schweizerischer Nationalfonds

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