
Ebensfeld (pm) – Wie wollen wir in Zukunft wohnen? Nachhaltig, klimaresilient, mit ansprechender Architektur aber in kleineren Einheiten – und keinesfalls einsam. Die Ebensfelder Bauunternehmerin und Baubiologin Gisela Raab zeigt, wie man das alles – möglichst bezahlbar – unter einen Hut bringt.
Schaut man sich die Megatrends im Bereich Bauen und Wohnen an, dann fallen zwei Themen besonders auf: Ökologie und Gemeinschaft. „Sozial-nachhaltig“ ist das Motto. Neben dem Leben mit und in der Natur, mit nachhaltiger Energieversorgung und natürlichen Baustoffen wie Holz oder Lehm rücken neue Formen des gemeinschaftlichen Wohnens in den Fokus – sowohl bei jungen Familien als auch bei älteren und alleinstehenden Menschen. So geht es auch Jochen und Anna G.. Der 70jährige Diplomingenieur und seine zwei Jahre jüngere Frau wollen ihre Wohnsituation umkrempeln. „Wir möchten so wohnen, wie es zu uns und unserem Lebensstil passt. Unser Wunsch ist es, nach neuesten baubiologischen Gesichtspunkten zu wohnen. Und wir würden gerne in einer Gemeinschaft mit Gleichgesinnten leben, gerne auch mit unterschiedlichen Generationen. Gerade wenn man älter wird ist das soziale Miteinander wichtig“, erläutert Jochen G.. Bei seiner Recherche nach entsprechenden Angeboten ist das Ehepaar auf das Projekt „Kleiner Wohnen @ Land“ aufmerksam geworden.
Auf einer 15.000 Quadratmeter großen Brachfläche im oberfränkischen Redwitz an der Rodach soll eine kleine Öko-Siedlung entstehen, die zeigt, dass Bauen auch anders geht: modern designt, in kleineren Einheiten, ökologisch sinnvoll, kostengünstig, wohngesund und im Einklang mit der Natur. Geplant sind sogenannte „Trihouses“: Drei Häuser werden jeweils mit Stegen und Terrassen zu einer Einheit verbunden. Entstehen sollen so insgesamt 24 Wohnungen in der Größe zwischen 60 und 90 Quadratmetern in vier Hausgruppen. Neben dem individuellen Wohnraum werden auch Bereiche für die Gemeinschaft geplant. So hat jeder seine abgeschlossene Wohnung – aber es gibt auch Räume für Gemeinschaftsveranstaltungen, für Feiern, als Spielraum für Kinder, für Gäste oder bei Bedarf für eine Pflegekraft.
Die Siedlung wird im Schwammstadtprinzip konzipiert. Regenwasser landet nicht einfach in der Kanalisation sondern wird aufgefangen und sinnvoll genutzt oder versickert – eine wirksame Maßnahme zur Klimaanpassung hinsichtlich zunehmender Wetterextreme wie Hitze, Starkregen, Überflutung und Trockenheit. Fotovoltaik auf den Dächern und eine nachhaltige Wärmeversorgung gehören dazu, aber auch das bewusste Einbeziehen des alten Baumbestands. Auch das ist eine Besonderheit: Die Architekten haben den vorhandenen Naturraum stets im Blick.
Modellprojekt für nachhaltiges Bauen und naturnahes Wohnen
Wesentliches Element des ökologischen Bauens ist die Verwendung nachhaltiger Materialien. Zum Einsatz kommen wahlweise Lehmsteine, klimafreundlich hergestellte Ziegelsteine, Hanf-Kalk-Steine oder sogenannte „Triqbriqs“, ein innovatives klimaneutrales Holzbausystem, hergestellt aus regionalem Kalamitätenholz
„Das Projekt könnte ein Wendepunkt im Bauwesen sein; eine echte Transformation hin zu nachhaltigem Bauen und naturnahem Wohnen“, ist Gisela Raab überzeugt. Die Bauingenieurin, Baubiologin und Geschäftsführerin der Raab Baugesellschaft mbH & Co. KG in Ebensfeld hat das Konzept „Kleiner Wohnen @ Land“ gemeinsam mit Professor Dr. Rainer Hirth von der Fakultät Design und Bauen der Hochschule Coburg entwickelt. Die beiden Bauexperten stellten sich dabei die Frage: „Was wäre eine wirkliche Transformation im Bauwesen?“. Dabei haben Raab und Hirth baubiologische, architektonische, wirtschaftliche aber auch soziale Aspekte unter die Lupe genommen.
Bauen mit alternativen Materialien
Wie Bauen mit Lehmsteinen bzw. den innovativen Triqbriqs funktioniert und wie diese Materialien die Raumqualität beeinflussen, das wird von Gisela Raab in einem Praxistest analysiert. Auf ihrem Firmengelände wird aktuell ein erster Prototyp erstellt. Ein ehemaliges Wirtschaftsgebäude wird von Grund auf mit den innovativen, nachhaltigen Baustoffen saniert und ausgebaut. Es entstehen Mitarbeiterwohnungen und Büroräume. Im Erdgeschoss wurde eine Kombination aus Lehmsteinen und Triqbriq verbaut, das Obergeschoss besteht, basierend auf einer Massivholzdecke, ausschließlich aus Triqbriqs. Die massiven Holzbausteine werden leimfrei, ohne Verbindungsmittel, einfach aufeinander gesteckt und mit Holzdübeln verbunden und im Sinne der Nachhaltigkeit mit Lehmputz verkleidet. „Triqbriqs sorgen für ein wohlig-angenehmes und gesundes Wohnklima, sind klimaresilient, rückbaufähig und wiederverwendbar und sie sind eine hervorragende Alternative zum Ziegel, der in der Produktion noch sehr energieintensiv ist“, so Gisela Raab
Und die Bauunternehmerin möchte mit ihrem Projekt „Kleiner Wohnen @ Land“ noch einen Schritt weiter gehen. Sie will nachhaltiges Bauen und Wohnen marktfähig machen und Vorurteile bei Handwerkern abbauen, denn derzeit sind die nachhaltigen Baustoffe noch deutlich teurer da der Absatzmarkt fehlt.
Das Genossenschaftsmodell – der „dritte Weg“ neben Kaufen und Mieten
Die Wohnungen, die Gisela Raab im Rahmen ihres Projektes baut, sollen keine üblichen Mietwohnungen oder Eigentumswohnungen werden, sondern werden Eigentum einer Bewohner getragenen Genossenschaft. Den Rahmen bildet eine Dachgenossenschaft, die die Finanzierung und Verwaltung von Wohnraum deutlich erleichtert, Immobilien-Spekulation jedoch ausschließt. „Die Organisation in einer Genossenschaft wird häufig als die dritte Wohnform neben Kauf und Miete angesehen“, erläutert Gisela Raab. „Wohnungsbaugenossenschaften haben stets ein übergeordnetes Ziel: Sie wollen ihren Mitgliedern ermöglichen, sich aktiv an der Planung, Umsetzung und Nutzung des neuen Lebensraumes zu beteiligen.“ Interessenten erwerben Anteile an der Genossenschaft. Dafür erhalten sie Anspruch auf Wohnraum. Einen einmal erworbenen Anspruch kann die Genossenschaft in der Regel nicht zurückfordern. Das kommt einem lebenslangen Wohnrecht gleich. Mitglieder müssen sich deshalb keine Sorgen vor Kündigungen aufgrund von Eigenbedarf machen. Und die Genossenschaftsanteile können natürlich auch vererbt werden. Obwohl die Genossenschaft als „Wirtschaftsunternehmen“ um kostendeckendes Handeln bemüht ist, ist die oberste Priorität die langfristige Versorgung ihrer Mitglieder mit bezahlbarem Wohnraum – und eben nicht die Gewinnmaximierung. Bauunternehmerin Raab dazu: „Wenn mehrere Menschen gemeinsam bauen, ist das Ziel das Wohnen im entstehenden Wohnraum und nicht das Vermieten zu möglichst hohen Preisen. Ein weiterer Vorteil des Genossenschaftsmodells: Alle Mitglieder sind gleichberechtigt und haben gleiches Stimm- bzw. Mitspracherecht. Das betrifft u.a. die Gestaltung des Wohnprojekts, wenn es beispielsweise um die Zuschnitte der Wohnungen, die Anschaffung eines Lifts oder die Gestaltung der Gemeinschaftsräume oder Grünflächen geht. Das ist Demokratie pur.“
Ausgehend von den Erfahrungen, die mit dem Pilotprojekt gesammelt werden, so wünscht es sich Gisela Raab, könnte Redwitz die Initialzündung für das genossenschaftliche Bauen im ländlichen Raum, hier in der gesamten Region Lichtenfels, Coburg und Kronach werden.
Quelle: RAAB Baugesellschaft mbH & Co KG