Stuttgart (pm) – Im Rückblick auf das Baujahr 2023 zieht die Bauwirtschaft eine äußerst ernüchternde Bilanz. Die Krise im Wohnungsbau hat sich weiter verschärft. Auch im Wirtschaftshochbau gingen die Umsätze zurück und im Straßenbau gab es nur schwache Impulse. Lediglich der öffentliche Hochbau und der Wirtschaftstiefbau verzeichneten Zuwächse. „Die gestiegenen Zinsen und das anhaltend hohe Niveau der Baumaterial- und Energiepreise haben die Baukonjunktur weiterhin stark belastet. Völlig kontraproduktiv waren zudem die drastischen Kürzungen bei der Neubauförderung durch die Bundesregierung“, kritisiert Markus Böll, Präsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Über alle Sparten hinweg stieg der baugewerbliche Umsatz von Januar bis November 2023 zwar nominal um 5,2 %. Preisbereinigt entspricht dies jedoch einem Rückgang von mehr als 2 %. Der Umsatz im Wohnungsbau war mit nominal + 2 % noch leicht positiv, real ergibt sich aber auch hier ein deutliches Minus. Der Wirtschaftsbau erzielte insgesamt ein nominales Plus von 2,3 %, im öffentlichen Bau betrug das Umsatzwachstum nominal 12,1 %.
Für 2024 rechnet die die Bauwirtschaft noch nicht mit einer konjunkturellen Trendwende. Mit real rund – 2 % dürfte sich der Umsatzrückgang allenfalls etwas verlangsamen. Deutlich rückläufig wird erneut der Wohnungsbau sein. Auch im öffentlichen Bau könnte das Ergebnis leicht negativ ausfallen. Der Wirtschaftsbau ist die einzige Sparte mit positiven Umsatzerwartungen. Vor allem der Wirtschaftstiefbau wird von verstärkten Investitionen in die Energieinfrastruktur, die Schienenwege und den Breitbandausbau profitieren.
Sorgenkind der Baubranche bleibt derzeit der Wohnungsbau. Hier ging der Auftragseingang von Januar bis November 2023 nominal um 19,4 % zurück. Gleichzeitig sanken die Wohnbaugenehmigungen um 31 %. Im November waren die Baufreigaben mit – 44,8 % zum zwölften Mal in Folge rückläufig. „Die Situation ist alarmierend, eine Besserung nicht in Sicht. Der Wohnraummangel in den Ballungsräumen und größeren Städten droht sich weiter zu verschärfen. Hinzu kommt, dass die Auftragsbücher bei den Wohnungsbauunternehmen nun endgültig leer sind. Wir müssen mit zunehmender Kurzarbeit und mehr Insolvenzen rechnen“, warnt Markus Böll. Die Zahl der Arbeitslosen mit bauhauptgewerblichen Berufen hat sich im Dezember in Baden-Württemberg im Vergleich zum Vorjahr um 20,1 % auf 2.511 erhöht. Die Zahl der Insolvenzen stieg im Oktober auf 11 (Vorjahr: 7).
„Die Situation ist geradezu paradox: Neue Wohnungen werden dringend gebraucht, gleichzeitig liegt der Wohnungsbau am Boden“, erklärt der Baupräsident. Vor allem bezahlbarer Wohnraum ist extrem knapp. Nach Berechnungen des Pestel-Instituts werden im Land in den nächsten Jahren gut 200.000 zusätzliche Sozialwohnungen benötigt. „Um die Wohnungsnot zu bekämpfen und gleichzeitig die Baukonjunktur zu stabilisieren, muss die Politik energisch gegensteuern. Die im 14-Punkte-Plan der Bundesregierung angekündigten Maßnahmen wie die degressive AfA und die Senkung der Grunderwerbsteuer müssen schnellstmöglich umgesetzt werden. Notwendig ist auch eine bedarfsgerechte Ausgestaltung der KfW-Förderprogramme für den Wohnungsneubau. Insbesondere muss es wieder eine Förderung für EH 55- Gebäude geben. Die derzeitige Förderung für die Effizienzhausstufe EH 40 läuft in der Praxis ins Leere, da die Mehrkosten für den höheren energetischen Standard nicht durch die Fördersumme ausgeglichen werden“, so Böll. Zudem sollten die Mittel für den sozialen Wohnungsbau weiter erhöht werden. 2023 waren die dafür vorgesehenen Gelder aufgrund der hohen Nachfrage bereits im Mai ausgeschöpft. Darüber hinaus gelte es, das enorme Regelungsdickicht abzubauen, das die Bautätigkeit bremse. Planungs- und Genehmigungsverfahren müssten beschleunigt, überzogene Baustandards reduziert werden. Die Vereinheitlichung der 16 Landesbauordnungen zu einer Bundesbauordnung sei überfällig. „Mit den drastischen Kürzungen bei der Neubauförderung sowie neuen Auflagen und Kostenbelastungen hat die Politik ursächlich dazu beigetragen, dass sich die Situation im Wohnungsbau immer weiter verschlechtert hat. Damit unsere Branche wieder eine Perspektive hat, müssen die politisch Verantwortlichen jetzt endlich handeln“, so Bölls eindringlicher Appell.
Hoher Investitionsbedarf in der Verkehrsinfrastruktur
Handlungsbedarf besteht auch im Verkehrswegebau. Denn das Straßennetz im Land ist vielerorts marode. Untersuchungen haben ergeben, dass fast ein Drittel der Landesstraßen sanierungsbedürftig ist. Um den Straßenzustand nachhaltig zu verbessern, reichen die derzeitigen Investitionsmittel bei weitem nicht aus – sie müssten verdoppelt werden. Auch der Zustand vieler Brücken ist kritisch: Bei knapp 660 der insgesamt rund 7.300 Brücken im Zuständigkeitsbereich der Landesstraßenbauverwaltung – das ist fast jede zehnte Brücke an Bundes- und Landesstraßen – sind kurzfristig Erhaltungsmaßnahmen notwendig. Doch mangels Geld und Personal kommen die Straßenbaubehörden mit den Sanierungen kaum nach: Derzeit können weniger als zehn Brückenersatzneubauten pro Jahr fertiggestellt werden. Wird das Sanierungstempo nicht erhöht, werden bis 2030 voraussichtlich rund 1.200 Brücken in einem ungenügenden Zustand sein. Brückensperrungen sind dann unumgänglich.
Ein Lösungsansatz, um die Planung und den Bau von Straßen und Brücken effizienter zu gestalten, ist der verstärkte Einsatz von Building Information Modeling (BIM). Doch die Einführung dieser zukunftsweisenden Arbeitsmethode kommt nur schleppend voran. „2023 hat die Landesstraßenbauverwaltung lediglich sieben BIM-Projekte ausgeschrieben und vergeben. Mit Blick auf das Ziel des Landesverkehrsministeriums, BIM ab 2025 flächendeckend im Bundesstraßenbau anzuwenden, ist das extrem wenig. Hier muss das Tempo deutlich gesteigert werden“, verlangt Sabine Schmucker, Vizepräsidentin der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Um die Anwendung von BIM voranzutreiben, müssten die zuständigen Straßenbaubehörden personell deutlich aufgestockt werden.
Kritik übt die Bauwirtschaft an der mangelhaften Zahlungsmoral der öffentlichen Auftraggeber. Wie eine Umfrage der Wirtschaftsauskunftei Creditreform im Herbst 2023 ergab, beklagten 19,5 % der Bauunternehmen, dass die öffentliche Hand Rechnungen nicht innerhalb von 30 Tagen, sondern erst später begleicht.
Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahlungsmoral damit verschlechtert. Deutlich besser als bei Bund, Land und Kommunen ist das Zahlungsverhalten bei den privaten und gewerblichen Auftraggebern: Hier mussten nur 2 % der befragten Baubetriebe länger als 30 Tage auf die Begleichung ihrer Rechnungen warten. Da die schlechte Zahlungsmoral die Bauunternehmen erheblich belastet und ihre Liquidität gefährdet, fordert die Bauwirtschaft die öffentlichen Auftraggeber auf, die geltenden Zahlungsfristen konsequent einzuhalten.
Aktionstag „Lasst uns wieder Wohnungen bauen!“ am 1. März in Stuttgart
Das Bauen ist ein Schlüssel zur Bewältigung zentraler Herausforderungen unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Ob bezahlbarer Wohnraum, die Sanierung des Gebäudebestandes, eine leistungsfähige Infrastruktur oder die Energie- und Klimawende – die Bauwirtschaft bietet innovative und effiziente Lösungen. Doch obwohl der Baubedarf enorm ist, bremsen eine überbordende Bürokratie, unzählige Gesetze und Verordnungen, überzogene Baustandards, hohe Kostenbelastungen sowie verfehlte Sparmaßnahmen bei Investitionen und Fördermaßnahmen die Bautätigkeit. Das Bündnis „Impulse für den Wohnungsbau“, an dem sich die Bauwirtschaft Baden-Württemberg gemeinsam mit Branchenpartnern beteiligt, engagiert sich deshalb bereits seit längerem für eine umfassende Verbesserung der Rahmenbedingungen. Am 1. März 2024 setzt das Bündnis ein Zeichen und macht mit dem Aktionstag „Lasst uns wieder Wohnungen bauen!“ auf den dringenden politischen Handlungsbedarf aufmerksam. Um 11.00 Uhr ist eine zentrale Kundgebung in der Stuttgarter Innenstadt geplant.
Quelle: Bauwirtschaft Baden-Württemberg