22. Juni 2025

Bauen mit Zukunft: Nachhaltige Baustoffe im Fokus – Ein Interview mit René Grupp, CEO Sievert SE

Gastbeitrag – Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft ist ein viel diskutiertes Thema – doch wie weit sind deutsche Architekten und Planer wirklich in der Nutzung umweltfreundlicher Baustoffe? René Grupp, CEO der Sievert SE, spricht darüber, dass oft nicht genügend Informationen über kreislauffähige Materialien vorliegen. Zudem erklärt er, welche regulatorischen Änderungen die Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft vorantreiben sollen und welche Mehrkosten durch Sekundärrohstoffe entstehen. Grupp erklärt, was Dänemark und die Schweiz besser machen und wo nachhaltige Bauprojekte bereits erfolgreich umgesetzt werden.

René Grupp im Interview © Sievert SE
René Grupp © Sievert SE

Herr Grupp, wie hoch schätzen Sie aktuell die Akzeptanz von nachhaltigen Baustoffen bei Architekten und Planern ein?

„Aus der Perspektive eines Baustoffproduzenten, der international aktiv ist und eine große Bandbreite an Produkten anbietet, die auf vielen Baustellen verwendet werden, kann ich sagen, dass mangelnde Transparenz der Hauptgrund für die überschaubare Verbreitung nachhaltiger oder kreislauffähiger Baustoffe in Deutschland ist. Planern und Architekten sind nachhaltige oder kreislauffähige Alternativen, wie Baustoffe mit einem hohen Anteil an Sekundärrohstoffen oder rein mineralische Dämmputze, häufig nicht oder nicht ausreichend bekannt. Nachhaltigkeit, ob im Neubau oder im Bestand, bedeutet für viele oft in erster Linie die Verwendung von Holz und innovativer TGA, obwohl Holz dem Nachhaltigkeitsgedanken nur bedingt Rechnung trägt und Einfamilienhäuser mit durchschnittlich 250 bis 300 Tonnen Gewicht aus weit mehr Komponenten bestehen.“

Wie nachhaltig sind denn neue Gebäude hinsichtlich der verwendeten Baustoffe?

„Neue und sanierte Gebäude sind in Bezug auf die verwendeten Baustoffe zumindest in Deutschland überwiegend nicht besonders nachhaltig. Bei Projektentwicklungen, Sanierungen und Umnutzungen wird in der Regel viel zu wenig auf die verwendeten Baustoffe selbst geachtet. Aber auch Baustoffe machen einen Unterschied. Zahlreiche Faktoren können hier betrachtet werden: Welche Rohstoffe stecken in den Baustoffen? Welche Transportwege und Lieferketten stecken in welchen Produkten? Wie verhalten sich Baustoffe im Hinblick auf natürliche Ressourcen und das Klima? Gibt es Alternativen, die langlebig, kreislauffähig und gleichzeitig wirtschaftlich sind? Insgesamt gibt es in Deutschland noch viel zu wenig Verständnis bei Baustoffen und Produkten. Dabei ist Transparenz der erste Schritt zu einem nachhaltigeren Bauen.“

Könnte die geringe Verbreitung nicht auch an den höheren Kosten liegen?

„Natürlich sind beispielsweise Baustoffe mit einem Anteil an Sekundärrohstoffen in der Regel teurer als Baustoffe ohne – denn die Sekundärrohstoffe müssen nicht nur wiedergewonnen, sondern auch erneut aufbereitet werden, und dieser Prozess ist aufwendig. Für ein komplett nachhaltig errichtetes Einfamilienhaus dürften die Mehrkosten für nachhaltige Baustoffe bei etwa 10 bis 15 % liegen. Dennoch sprechen viele Argumente für nachhaltige und kreislauffähige Baustoffe: eine höhere Kreislauffähigkeit, also Wiederverwendbarkeit nach Abbruch, ein niedrigerer CO2-Fußabdruck sowie ein geringerer Verbrauch unserer Ressourcen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes hat die Bauwirtschaft aktuell einen Anteil von mehr als 70 % des gesamten Ressourcenverbrauchs in Deutschland! Setzt man beispielsweise beim Neubau eines Einfamilienhauses einen mineralischen und deshalb recyclingfähigen Dämmputz ein, liegen die Mehrkosten bei überschaubaren 2 bis 3 %. Dies beinhaltet neben den Materialkosten die Personalkosten für den Verarbeiter. Denn entscheidend sind auch hier die Wirtschaftlichkeit und die zeitliche Perspektive: Viele WDVS müssen nach 40 Jahren aufwendig entsorgt und ersetzt werden, einen Dämmputz streicht man einfach.“

Welche Veränderungen kommen denn auf die Architekten und Planer zu?

„Alle am Bau beteiligten Akteure müssen sich auf Veränderungen einstellen, denn die Transformation der Bau- und Immobilienbranche hin zu mehr Nachhaltigkeit wird Veränderungen in der Architektur mit sich bringen. Auf der einen Seite gibt es zahlreiche Ansätze und Initiativen in Deutschland und Europa, die sich für mehr Nachhaltigkeit und Transparenz in der Bau- und Immobilienwirtschaft einsetzen, wie zum Beispiel Madaster, EASI ZERo und die DGNB. Auch wenn der Gebäuderessourcenpass aufgrund politischer Verschiebungen 2025 noch nicht kommen wird, nimmt der Wunsch nach Transparenz bei einigen Bauherren doch erkennbar zu. Auf der anderen Seite kommen auf EU-Ebene in den kommenden Jahren gewichtige regulatorische Änderungen auf die Baustoffbranche zu. Neben der EU-Taxonomie, die ja auch Auswirkungen auf produzierende Unternehmen hat, sind dies beispielsweise die EU-Kunststoffstrategie und die EU-Verpackungsverordnung. Baustoffe müssen einen Beitrag zur Schonung unserer Ressourcen und der Erreichung der Klimaziele in Deutschland leisten und sollten auch so wahrgenommen werden. Andere Länder wie die Schweiz oder Dänemark sind da schon weiter.“

Was machen denn unsere Nachbarländer anders?

„Auf Initiative der dänischen Baubranche müssen ab dem 1. Juli 2025 alle Neubauten – auch unbeheizte Häuser und Anbauten – neue Grenzwerte einhalten, die auf durchschnittlich 7,1 Kilogramm CO2 pro umbautem Quadratmeter und Jahr gesenkt wurden. Diese Grenzwerte berücksichtigen erstmals auch den Bauprozess selbst, also Transport, Energieverbrauch und Materialabfälle auf der Baustelle. Die zugrundeliegende ‚Reduction Roadmap‘ wurde von der Industrie, Architekten, Bauplanern, Gewerkschaften, Baufirmen, Pensionskassen und der Stadt Kopenhagen unterzeichnet! Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die Verwendung von Sekundärrohstoffen. Ein anderes Beispiel ist die Schweiz, wo über 85 % des Betons nach dem Rückbau wiederverwertet werden – dem Schweizerischen Baumeisterverband zufolge ein Spitzenwert in Europa.“

Abschließend: Gibt es für Sie Leuchtturmprojekte?

„Ja, selbstverständlich! Ein tolles Beispiel für den Bestand – das in den kommenden Jahren in Europa eine zentrale Rolle für die Bau- und Immobilienwirtschaft spielen wird – ist die Westfalia-Kantine in Lünen, die 2021 / 2022 mit nachhaltigen Baustoffen saniert wurde und seitdem als Eventlocation ein zweites Leben hat. Ein schönes Beispiel für den Neubau ist das JED Zürich, eine absolut fortschrittliche, komplett kreislauffähige 22-26 Immobilie mit einzigartigen Büro-, Gewerbe- und Laborflächen. Heute gibt es nachhaltige und kreislauffähige Baustoffe für sehr viele Anwendungsfälle.“

Vielen Dank für das Gespräch!

René Grupp

René Grupp (46) ist seit 2023 Vorstandsvorsitzender der Sievert SE. Der studierte Betriebswirt verfügt über mehr als 20 Jahre internationale Berufserfahrung in der Baustoffbranche, vorwiegend im Bereich Bedachungssysteme. Er war Geschäftsführer für den Vertrieb Deutschland der BMI Group und hat im Umfeld der Unternehmen Lafarge, Braas Monier und BMI Erfahrungen mit verschiedenen Kulturen und Unternehmensgrößen sammeln können. Seit 2003 hatte er Rollen mit internationaler Ausrichtung in der Baustoffbranche inne. René Grupp arbeitete unter anderem drei Jahre als Regional President BMI Asia mit Dienstsitz in Kuala Lumpur, Malaysia. Als Vorsitzender der Sievert SE ist er für die nachhaltige und langfristige Weiterentwicklung des Unternehmens verantwortlich.
Die Sievert SE ist ein internationales Unternehmen mit einer mehr als 100-jährigen Geschichte, das auf exklusive Baustoff- und Logistiklösungen spezialisiert ist. Die Tradition als Familienunternehmen spielt dabei eine wichtige Rolle, da sie die Werte und das Engagement widerspiegelt, die in der täglichen Arbeit gelebt werden.

Quelle: Sievert SE