15. November 2025

Wie Bauunternehmen bei Großprojekten erfolgreich nachverhandeln

Katharina Weber © Anne Kaiser

Gastbeitrag – Steigende Einkaufspreise, höhere Zinsen, sinkende Nachfrage, Fehlkalkulation – für viele Bauunternehmen rechnen sich auf einmal die vertraglich vereinbarten Verkaufspreise nicht mehr. Was tun? – Ein Gastbeitrag von Katharina Weber, Gründungsmitglied und CEO der Negotiation Advisory Group (NAG).

Das Grand-Central-Quartier in Düsseldorf mit rund tausend Wohnungen, zwei Kitas, Fitness-Center, Supermarkt und Tiefgarage auf rund 3,8 Hektar gehört zu den größten Bauprojekten der NRW-Hauptstadt. Baubeginn war eigentlich schon vor sieben Jahren, doch seit einigen Jahren tut sich kaum etwas auf der Baustelle. Grund: Der Immobilieninvestor Adler Group hatte mit Verlusten und hohen Schulden zu kämpfen.

Wenn die Kalkulation nicht aufgeht

Kein Einzelfall:  Bei vielen Immobilienprojekten, die sich naturgemäß über viele Jahre oder sogar Jahrzehnte hinziehen wie der Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, kämpfen die Investoren mit höheren Kosten. Steigende Zinsen, Material- und Lohnkosten, veränderte Anforderungen an die Immobilien sowie rückläufige Immobilienpreise aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit machen vielen privaten Bauträgern einen Strich durch die Rechnung.

Kurzfristig ist keine grundlegende Besserung in Sicht. Nach einem Rückgang der Bauinvestition in den vergangenen beiden Jahren ist 2025 allenfalls mit Stagnation zu rechnen, weil die leichte Verbesserung der Finanzierungsbedingungen die Nachfrage für Bauinvestitionen etwas anregen dürfte. Etliche Immobilieninvestoren wie die österreichische Signa Gruppe von René Benko sind aber schon pleite. Oder ihnen droht die Insolvenz, wenn es ihnen nicht gelingt, Preise und Konditionen nachzuverhandeln.

Nachverhandeln ist möglich

Projektverträge werden in der Bauwirtschaft häufig in Form eines EPC-Vertrags abgeschlossen. EPC (Engineering, Procurement, Construction) bedeutet, dass der Auftragnehmer als Generalunternehmer auftritt und die Verantwortung für die Planung, Beschaffung und Errichtung eines Projekts übernimmt. Er liefert dem Auftraggeber ein funktionsfähiges schlüsselfertiges Endprodukt, oft zu einem festen Pauschalpreis, wobei er das Projekt teilweise selbst und teilweise mithilfe von Subunternehmen ausführt.

Doch trotz vermeintlich schwacher Verhandlungsposition wegen der Festpreisvereinbarung haben Unternehmen Chancen, bestehende Verträge nachzuverhandeln. Dabei sollten sie die gesamte Prozesskette nach dem „End to End“-Ansatz in den Blick nehmen, vom Einkauf über die Produktion bis hin zum Vertrieb, um die Stellschrauben für Verhandlungen zu identifizieren und das Projekt an die veränderte Marktlage anzupassen. Das heißt erstens Transparenz zu schaffen hinsichtlich der Ursachen der Kostenexplosion, zweitens alle Verträge auf mögliche Ansprüche zu überprüften und drittens auf dieser Basis eine ganzheitliche Verhandlungsstrategie zu entwickeln. Ziel ist, ungerechtfertigte Ansprüche von Lieferanten und Subunternehmen abzuwehren und zusätzliche Ansprüche bei den Kunden durchzusetzen.

Ansatz in Einkauf und Produktion

So gilt es zu überprüfen, welche Spielräume in bestehenden Verträgen bestehen, um Projektteile zur Kostensenkung zu streichen oder zu reduzieren, wo und in welchem Umfang sich alternative Materialien zu geringeren Kosten einsetzen lassen und wo noch Effizienzreserven zu realisieren sind. In Gesprächen mit den Banken ist auf eine Anpassung der Kreditkonditionen hinzuwirken. Wenn man ein realistisches Konzept hat, dürfte es den Lieferanten, Subunternehmen und Banken einleuchten, dass sie besser fahren, wenn sie nachgeben und das Projekt mit Aussicht auf Erfolg weitergeführt wird, als dass sie ihre Forderungen gänzlich abschreiben müssen.

Dazu ist es nötig, deren Interessen und Anreizstrukturen zu verstehen. Ist es beispielsweise kein einmaliges Projekt, bei dem man mit diesen Lieferanten, Subunternehmen und Banken zusammenarbeitet, hilft schon oft der Hinweis, dass ein Entgegenkommen in diesem Fall auch bei zukünftigen Projekten berücksichtigt wird. Andernfalls gebe es ja auch alternative Anbieter. 

Ansatz im Vertrieb 

Ähnliche Möglichkeiten gibt es auch im Vertrieb, um positive und negative Anreize in der Verhandlung gezielt einzusetzen. Kommt es dabei zu einer Eskalation in der Verhandlung, kann das durchaus sinnvoll sein, solange sie kontrolliert erfolgt. Denn dies dient dazu, die eigene Position zu verdeutlichen und den Nachforderungen Gewicht zu verschaffen. Ansatzpunkte, um Druck auszuüben, finden sich in der Regel immer, etwa weil der Auftraggeber nach Vertragsabschluss noch Änderungen vorgenommen hat beim Projektumfang oder bei den technischen Spezifikationen.

Und wenn es sich nicht um ein einmaliges Geschäft handelt, kann auch die Vereinbarung über ein Pain/Gain-Share-Modell eine Lösung sein, bei der sich Auftraggeber und Bauunternehmen das finanzielle Risiko und mögliche Gewinne teilen. Denn die Wirtschaftslage kann sich ja durchaus wieder ändern und die Preise, die jetzt das Projekt verteuern, können auch wieder fallen. Dieses Modell zur Risiko- und Chancenteilung fördert eine stärkere Zusammenarbeit. Beide Seiten haben so ein gemeinsames Interesse daran, die Kosten zu kontrollieren und die Leistung zu optimieren.

Das operative Vorgehen

  1. Klare Führungsstruktur für die Verhandlung. Dabei sollte die Rolle der Geschäftsleitung auf die Festlegung von Richtlinien beschränkt sein und die operative Verantwortlichkeit an das Verhandlungsteam delegiert werden.
  2. Effiziente Arbeitsteilung im Verhandlungsteam, das crossfunktional zusammengesetzt sein sollte mit klarer Abgrenzung der Rollen und Verantwortlichkeiten in der Verhandlung.
  3. Klare Definition der Verhandlungsziele auf Basis der erarbeiteten Strategie, einschließlich der Ankerforderungen und Mindestziele.
  4. Simulation von Szenarien einschließlich von Eskalationsschritten zur Vorbereitung des Verhandlungsteams anhand eines detaillierten Verhandlungsleitfadens.
  5. Kohärente Storyline, um die interne Kommunikation zu steuern und die Gegenpartei strategisch zu lenken.
  6. Mentale Einstellung des Verhandlungsteams durch Rollenspiele stärken, um dessen Stressresilienz zu erhöhen und im Fall von kontrollierten Eskalationsschritten keine Angst zu haben vor einer Verärgerung des Kunden.
  7. Transparente Kommunikation mit allen Projektbeteiligten (Auftraggeber, Subunternehmer, Lieferanten, Mitarbeiter) über die Situation und die geplanten Maßnahmen.

Fazit: Gestärkte Partnerschaft

Trotz des vereinbarten Festpreises ist es fast immer möglich, Nachforderungen gegenüber Lieferanten, Subunternehmen und Auftraggebern durchsetzen. Wenn es auf diese Weise gelingt, das Bauprojekt trotz dieser Schwierigkeiten zu realisieren, stärkt das die Partnerschaft zwischen dem Bauunternehmen, seinen Lieferanten, Subunternehmen und Kunden.

Zur Autorin

Katharina Weber ist Gründungsmitglied und CEO der Negotiation Advisory Group (NAG). Sie hat Volkswirtschaft mit Schwerpunkt Wettbewerbsökonomie und Spieltheorie studiert und verfügt über langjährige Beratungserfahrung in großvolumigen und hochkomplexen Verhandlungen.

Zum Unternehmen

Die NAG hat als führende Verhandlungsberatung in Europa mit über 50 internationalen Expertinnen und Experten bislang mehr als 2.900 Verhandlungsprojekte durchgeführt und verhandelt jährlich ein Volumen von derzeit etwa 27 Milliarden Euro. Zu ihren Kunden zählen internationale Konzerne sowie große mittelständische Unternehmen. Geschäftsführerin ist Katharina Weber, die seit der Gründung maßgeblich die NAG entwickelt hat, zuletzt als Teil des erfahrenen Management Teams in der Funktion der COO.