24. April 2024

„Wir brauchen eine neue Umbau-Kultur!“

München (ab) – „Die Abreißerei muss ein Ende haben!“. Wir brauchen eine neue Umbau-Kultur!. Mit diesen Aussagen präsentieren der BDA Bayern, der Bayrische Landesverband für Heimatpflege und der Bundesarchitektenkammer ihre Initiative zum klimafreundlichen Bauen.

 

Teilnehmende: (v.l.n.r.) Dr. Rudolf Neumaier (Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V./Moderation), Dipl.-Ing. Annemarie Bosch (Mitglied des BDA Präsidiums), Dr.-Ing. Jörg Heiler (Landesvorsitzender des BDA Bayern) und Dr. Olaf Heinrich (Vorsitzender des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V.) bei der Pressekonferenz mit dem Titel „Die Abreißerei muss ein Ende haben!“. (c) Dr. Daniela Sandner

 

Dr.-Ing. Jörg Heiler, Landesvorsitzender des BDA Bayern macht bewusst, dass das Bauwesen weltweit für 30% des CO2 Verbrauchs verantwortlich ist, 50% der Ressourcen und 60% des Abfallaufkommens. „Wir reißen definitiv im Moment zu viel ab“, sagt Dr. Heiler. Allein diese Zahlen machen deutlich, dass mit dem Bestand sorgsam umgegangen werden müsse. Nicht nur in den Städten werde zu viel abgerissen, sondern auch in den ländlichen Räumen. “Das muss aufhören“.

Dr. Olaf Heinrich, Vorsitzender des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V. betont, dass gerade in den ländlichen Räumen durch Abriss des alten Gebäudebestandes die Identität der Orte verloren geht. Viele Gebäude hatten während ihrer Nutzungszeit verschiedene Funktionen und damit haben sie die Orte geprägt. Gerade auch öffentliche Gebäude können nach dem Ablauf ihrer Zweckbindung einer anderen Nutzung zugeführt werden. „Die Geschichte, die in diesen Häusern steckt, die Identifikation müssen wir viel mehr gewichten und viel mehr wertschätzen und müssen viel häufiger die Frage stellen, wie kann man das, was die vorhergegangenen Generationen geschaffen haben, in eine den heutigen Bedingungen angepasst Nutzung überführen“, so Dr. Heinrich.

Welche Folgen hat das Abreißen des alten Gebäudebestandes?

Dipl.-Ing. Annemarie Bosch, Mitglied des BDA Präsidiums befürchtet einen dreifachen Verlust in materieller, kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht. Der bestehenden Substanz werde ein zu geringer Wert zugeordnet. Beim Abriss gehe sowohl der Raum und als auch das Material verloren. Die Hintergründe dieses Abbruchs seien in der Regel gestiegene und veränderte Anforderungen im Schallschutz, Brandschutz und der bestehenden Raumstruktur. „Die Lösung wäre zum Beispiel: Wir bemessen diesen Wert wirklich. Die bestehende Bausubstanz hat bereits einen CO2 Verbrauch ausgelöst und wird diesen nicht erneut auslösen. Und wenn wir diesen CO2 Verbrauch konkret berechnen und den Bestand gutschreiben, dann würde sich eine ganz andere Bilanz ergeben“, so Annemarie Bosch. Des Weiteren verliere man mit dem Abriss der Bausubstanz die kulturellen Werte, Zeugnisse der Bauzeit, Kenntnisse über damalige Bauweise und Techniken. Auch die Typologien seien Zeitzeugnisse die zeitgleich als Erinnerungsorte identitätsstiftend sind. Deshalb brauche es besseren Schutz für die bestehenden Gebäude. „Es muss ein Paradigmenwechsel stattfinden. Der neue Imperativ muss das Bauen im Bestand werden. Erhalten, erweitern, entwickeln sollten unsere zukünftigen Strategien sein. Denn die bestehende Substanz ist viel zu viel wert, als dass wir sie einfach entsorgen.“

Was sind die Potenziale des Bestandes?

Dr. Heinrich betont, dass der Wert von Bestandsgebäuden spürbar sei, es habe eine sinnstiftende Rendite. Mit der Reaktivierung des Bestandes könne man beispielsweise Arbeitsangebote im ländlichen Raum machen im Zuge des Trends des coronabedingten dezentralen Arbeitens. Oder man mindert den Remanenzeffekt und bietet der älteren Bevölkerung altersgerechten Wohnraum an, sodass deren Kinder das Elternhaus nutzen können.

Dr. Heiler erläutert, dass der Wert und Erhalt des Bestandes ein wesentlicher Beitrag zur Energiewende sei. Die graue Energie, die Energie, die für die Herstellung der Baumaterialien und den Transport aufgewendet wurde, stecke in diesen Gebäuden. „Diese Energie müssen wir erhalten.“ Die graue Energie müsse in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen einfließen, was bisher nicht geschehe.

Beispiel: Vor und nach der Sanierung des Europahauses in Freyung

 

 

Bilder (c) Christian Lankl

Was sind die Konzepte?

„Wir brauche eine neue Bau-Kultur, nämlich eine Umbaukultur“, so Dr. Heiler.

Das sind die Forderungen:

 

  1. Grundsteuer: Beim Weiterbauen im Bestand bleiben neu entstandene Flächen aus den Grundsteuermesszahlen draußen.

 

  1. Das Kommunale Wohnraumförderungsprogramm (KommWFP): ist so zu verändern, dass es bei Neubauten im „Raum mit besonderem Handlungsbedarf“ nach dem LEP keine Förderung mehr gibt. Dort steht genügend leer, um bestehende Häuser zu reaktivieren. In allen anderen Bereichen wäre die Umnutzung von Altbauten mit 40 Prozent zu fördern und die Förderung von Neubau entsprechend zu kürzen, auf etwa 20 Prozent.

 

  1. Baunutzungsverordnung: Das in §17 geregelte Maß der baulichen Nutzung darf bei Bestandserweiterungen in bestehenden Baugebieten um 25 Prozent oder um die Fläche eines Geschoßes erhöht werden. (Anmerkung: Aufgabe dabei, Integration in städtebaulichen Bestand und Qualitätssicherung. Quartier insgesamt verbessern und Konfliktpotenzial Investoreninteresse, Quartiersinteresse beachten.) Zur Stellplatzfrage müssen Kommunen „Nachverdichtungspläne“ und Mobilitätskonzepte erstellen. Zu diskutieren ist ebenso, ob die Erhöhung der baulichen Nutzung nur bei der GFZ oder auch bei der GRZ möglich sein soll, z.B. zur Vermeidung neuer Bodenversiegelung.

 

  1. Gebäudeenergiegesetz: Graue Energie fließt in Berechnungen und Bewertungen ein.

 

  1. Gebäudeeffizienzerlass: Bestandsgebäude und Neubauten werden bei den Klima-und Umweltfolgen ganzheitlich bewertet.

 

  1. Städtebauförderung: Der mögliche Kostenunterschied zwischen Bestandssanierung und Neubau wird bei geförderten Bauvorhaben vollständig ausgeglichen.

 

  1. Sonderabschreibung: Nach §7 h Einkommensteuergesetz (EStG) sollen nicht nur in Sanierungsgebieten erhöhte Abschreibungen möglich werden, sondern auch ohne bürokratische von Voruntersuchungen in Dorf- und Kerngebieten.

 

  1. Bayerische Bauordnung: Bestandsgebäude, die nach § 63 „Abweichungen“ durch Neubauten mit gleichen Abstandsflächen ersetzt werden dürften, erhalten bei einer Sanierung eine vollständige Förderung des möglichen Kostenunterschieds zum Neubau.

 

  1. Umbauordnung: Die bestehende Forderung des BDA Bund, der BAK, von AFF u.a. nach einer Umbauordnung unterstützen wir! Die Landesbauordnungen sind in erster Linie für den Neubau gemacht und erschweren deutlich den Erhalt und die Weiterentwicklung des Bestands. Standards des Neubaus müssen hier sorgfältig angepasst und damit zusammenhängende Haftungsfragen für die am Bau Beteiligten geklärt werden.

 

  1. Bayerisches Denkmalschutzgesetz: Die in Artikel 1 definierte Bedeutung eines Denkmals wird erweitert durch die Kriterien „sozial“ und „identitätsstiftend“. Damit erhalten die Denkmalschutzbehörden einen größeren Spielraum für eine Einordnung des Bestands als Denkmal und Bauherrinnen sowie Bauherren dadurch den Zugang zu Fördergeld.

 

  1. Stellplatzsatzungen: Bei Nutzungsänderungen im Bestand mit höherer Stellplatzanzahl muss nur die Anzahl der bisherigen Nutzung nachgewiesen werden. Hierfür sind Mobilitätskonzepte mit z.B. Fahrradstellplätzen, Car-Sharing etc. erforderlich.

 

  1. Kostenwahrheit: Bei öffentlichen oder staatlich geförderten Bauvorhaben werden zur Entscheidungsfindung die gesamten Klima- und Umweltfolgekosten für Abbruch, Entsorgung und Neubau beim Vergleich mit Bestandssanierungen in die Kostenschätzung eingerechnet.

 

  1. Öffentliche Kampagne: Die Umbaukultur braucht ein gutes Image. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich ihrer wichtigen Bedeutung bewusst werden. Dazu muss die Politik eine öffentlichkeitswirksame Kampagne für den „Bestand“ starten.

Fazit

Die Gebäude verbrauchen zu viel Energie, zu viel Material, zu viele Ressourcen.

Das Bauen könnte nennenswert zur ökologischen Wende und zum Klimaschutz beitragen. Dazu muss der Gebäudebestand erhalten und weiterentwickelt werden, weg von einem linearen Prozess des Herstellens, Verwendens und Wegwerfens hin zu einem zirkulären Prozess. Bestandsbauten sind keine Last, sondern ein Potenzial – für Identitätsstiftung, als Zeitzeugnis, als Ressource für Nachhaltigkeit und für sorgsamen Umgang mit Energie und Material.

Bauen muss vermehrt ohne Neubau auskommen. Es braucht eine neue Denkweise, die auf Pflegen und Reparieren abzielt! Das Motto beim Bauen muss sein: „Alt ist das neue Cool!“