29. März 2024

UNESCO: 4. März 2023 ist Internationaler Tag des Ingenieurwesens für nachhaltige Entwicklung

Berlin (pm) – Im Jahre 2020 hat die UNESCO auf ihrer Generalkonferenz beschlossen, dem Vorschlag der World Federation of Engineering Organisations (WFEO) zu folgen und den 4. März eines jeden Jahres zum Internationalen Tag des Ingenieurwesens für nachhaltige Entwicklung zu erklären. Die WFEO vertritt weltweit 15 Mio. Ingenieurinnen und Ingenieure. Dieser Tag ist Gelegenheit aber auch Verpflichtung, das Ingenieurwesen und den Beitrag der Ingenieurinnen und Ingenieure zu einer nachhaltigen Welt zu würdigen. Genauso, wie daran zu appellieren, dass nachhaltige Ingenieurleistungen keine Selbstverständlichkeit sind sondern sorgsam gefördert und gepflegt werden wollen:

„Nachhaltigkeit“ – heute inflationär gebrauchter Begriff für Vieles – war schon immer für Ingenieurinnen und Ingenieure Leitmotiv. Ihn auf CO2 – Einsparung oder grünes Bauen zu reduzieren, griffe zu kurz. Denn: Ingenieurinnen und Ingenieure erbringen ihr Werk in Verantwortung vor der Menschheit, der Umwelt und sich selbst. Ihr Schaffen dient dem Wohl und der Fortentwicklung der Gesellschaft. Nachhaltiges Planen und Bauen basiert auf einer zukunftsweisenden, vernetzten Denkweise, sucht Synergien. Wenn Planerinnen und Planer frühzeitig in die Entwicklung und Entscheidungsfindung von Projekten eingebunden werden, um eine optimale Machbarkeit und gute bauliche Umsetzbarkeit sicherzustellen, dann ist das ein Schritt zur Nachhaltigkeit. Schon immer stehen Ingenieurinnen und Ingenieure vor der Herausforderung, gestalterische, technische, ökonomische und ökologische Ansprüche in Einklang zu bringen.

Bisher ist genau das den Ingenieurinnen und Ingenieuren gut gelungen. Sie sind die Treiber des Fortschritts, unserer Zivilisation und unserer Baukultur. Ohne Ingenieurinnen und Ingenieure liefe in unserer Welt: nichts. „Kein Ding ohne Ing.“ heißt es richtig in einer Imagekampagne der Bundesingenieurkammer. Ob faszinierende Brückenbauten, ein 57 km langer Eisenbahntunnel durch das Alpenmassiv, kühne 1000 m – Wolkenkratzer oder seien es „nur“ energetisch optimierte Einfamilienhäuser – ohne Bauingenieurinnen und Bauingenieure alles undenkbar. Die nachhaltige Gestaltung des Lebensraumes ist die Kernkompetenz von Ingenieurinnen und Ingenieuren.

Bildung als Schlüssel

Damit sie diese anspruchsvollsten Aufgaben auch zukünftig erfüllen können, brauchen sie mehr denn je eine ganzheitliche, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete und qualitativ hochwertige Bildung. Und zwar über die gesamte Bildungskette. Von der Grundschule bis zum Hochschulabschluss. Als Spezialist – und das ist die Ingenieurin und der Ingenieur – sollte sich nur rühmen, wer zuvor eine generalistische Ausbildung genossen hat.

Nachhaltiges Bauen kann man nicht als Disziplin gesondert erlernen. Ingenieurinnen und Ingenieure müssen in die Lage versetzt werden, vom Gesamtprozess soviel zu verstehen, dass sie zur Synthese und Integration unterschiedlichster Ansprüche in der Lage sind. Ob dies zukünftig bei einem MINT-Anteil (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften) von > 50% bei nur sechssemestrigen Ingenieurstudiengängen gewährleistet ist, darf nach wie vor bezweifelt werden.

Wir sehen die Notwendigkeit, das Interesse für Bau, Technik- und Naturwissenschaften bereits von Kindheit an zu wecken. Die Studiengänge der Ingenieurwissenschaften sind auf hinreichend vorgebildete Studentinnen und Studenten angewiesen. Wenn aber wie häufig die Hochschulzugangsberechtigung nicht ausreicht, den für ein Studium erforderlichen Mindeststandard zu gewährleisten, darf man sich nicht wundern, wenn Unis und Hochschulen sich gezwungen sehen, Aspirantinnen und Aspiranten einer Aufnahmeprüfung zu unterziehen. In ihrer Not greifen sie oft auf einführende Förderkurse zur Erlangung der Studierbefähigung für eine Ingenieurdisziplin zurück.

Die hochgradige Individualisierung und Aufsplitterung von Bildungsgängen (es gibt über 1000 Ingenieurstudiengänge) kontrastiert mit der Allgemeinverbindlichkeit und Vergleichbarkeit von Abschlüssen und Titeln. Die zunehmende Unübersichtlichkeit ist intransparent und es drohen der Verlust von Unterscheidbarkeit und deshalb eine Nivellierung des Bildungsniveaus nach unten.

Die Durchlässigkeit von Bildungsgängen begrüßen wir grundsätzlich, die Pflicht zur Qualitätssicherung muss aber Aufgabe des regulären Ausbildungssystems bleiben. Grundlage für Abschlüsse und Titel dürfen nicht quantitativer sondern müssen qualitativer Natur sein. Ob aber eine creditpoint-fixierte Ausbildung in Kombination mit in sich separierten Modulen den Aufbau von komplexem und verknüpftem Wissen fördern, ist fraglich. Die Defizite einer eigentlich berufsbefähigenden Hochschulausbildung dann allein durch die Praxiserfahrung in den Büros heilen zu wollen, funktioniert so nicht. Berufspraxis ist eine eigenständige Qualifikationsform. Gute Praxis aber braucht Theorie. Und gute Theorie braucht Praxis.

Wir in Deutschland müssen aufpassen, neben Ingenieurtalenten auch handwerkliche Talente für ein nachhaltiges Bauen zu generieren und dauerhaft zu fördern. Denn was nützt es, nachhaltig zu planen, wenn es dann bei der Umsetzung mangelt. Unser Erfolgsmodell unserer dualen Berufsausbildung, d.h. unsere Berufslehre mit ihrer Verknüpfung von Praxis in den Betrieben und schulischer Ausbildung ist in Europa fast einzigartig. Es hat sich über alle Krisen als stabil und erfolgreich erwiesen. Hüten wir uns davor, dieses Erfolgsmodell mutwillig zu gefährden (die OECD kritisiert beständig einen zu niedrigen Akademisierungsgrad), indem wir einseitig eine Akademisierung unserer dualen Berufsbildung forcieren.

Ingenieurkultur pflegen

Schließlich: Deutschland brachte unstreitig seit 150 Jahren mit die besten Ingenieurinnen und Ingenieure, Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler hervor. Wir waren Vorreiter. Wir hatten bisher eine Ingenieurkultur. Dass diese heute verloren zu gehen droht, liegt an oben Gesagtem. Aber nicht nur: Die Erosion unserer technischen Dominanz und damit einer nachhaltigen Wertschöpfung gründet auch in einer kulturellen Haltung: Technik – mal ausgenommen Kommunikations- und Unterhaltungstechnik – wird weitgehend als solche nicht mehr geschätzt. Sie wird als zunehmend lebensfeindlich betrachtet.

Ganz anders in den USA. Da feiern die Medien die Erfinder und Nobelpreisträger regelmäßig wie Nationalhelden, in Indien sind Mathematiker angesehener als Sportstars und in China werden Naturwissenschaftler besser bezahlt als TV-Moderatoren. Bei uns ist das Gegenteil der Fall. Und wir lassen es zu, dass Zehntausende unserer besten Ingenieurinnen und Ingenieure und Forscherinnen und Forscher auswandern – um dann einen Fachkräftemangel zu beklagen.

Die Folgen dieser Technophobie sind heikel, denn uns zerrinnt die Grundlagenintelligenz. Diese aber ist Basis für eine nachhaltige technische Entwicklung. Denn Deutschland lebt bekanntlich vom „Rohstoff Geist“. Weder von Rohstoffen aus dem Erdboden noch von billigen Standortfaktoren – sondern von der pragmatischen Intelligenz seiner Ingenieurinnen und Ingenieure; das heißt vor allem von naturwissenschaftlicher Kenntnis und deren Anwendungskompetenz. Technologiefeindlichkeit oder Technophobie sind daher ein direkter Angriff sowohl auf unsere Wohlstandsbasis als auch auf eine nachhaltige Wertschöpfung.

Fazit

In Deutschland müssen wir den Mut haben, weiterhin in unsere Stärken zu investieren. Die Erfolgsfaktoren für unsere nachhaltige Entwicklung sind (technikaffine) Bildung, freie, technologieoffene Forschung, Innovation, Qualität und letztlich (Um-) baukultur. Dazu gehört, wie wir mit den durch den Klimawandel verursachten Umwälzungen umgehen. Aber auch offene Märkte, Zugang zu günstigem Kapital, Entbürokratisierung und genügend qualifizierte Arbeitskraft sind von entscheidender Bedeutung. Letztere Punkte sind vor allem Sache der Politik. Wir sind angesichts der zukünftig teureren Energie gezwungen, neben Effizienzsteigerungen und Automatisierung kompromisslos auf Innovation zu setzen, damit wir auch international weiterhin erfolgreich im Sinne von Nachhaltigkeit in der Lage sind, mitzuhalten. Diese Herausforderung aber ist vor allem mit guten, hochqualifizierten Ingenieurinnen und Ingenieuren zu meistern. Es liegt an uns allen, das zu verstehen, zu verinnerlichen und voranzubringen – wenn wir nachhaltig bleiben wollen. Nicht nur heute, nicht nur am 4. März.

 

Erklärung der Ingenieurkammern, Ingenieurverbände und Bauwirtschaft: Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg e.V., Baukammer Berlin e.V., Brandenburgische Ingenieurkammer, Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure LV Berlin-Brandenburg, Bund der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure Landesgruppe Berlin, Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg e.V., VBI – Verband Beratender Ingenieure Landesverband Berlin-Brandenburg, Vereinigung der Straßenbau-
und Verkehrsingenieure Berlin-Brandenburg