28. März 2024

Studie zur EU-Taxonomie zeigt: Unternehmen auf Anforderungen nur bedingt vorbereitet

Report stellt Studie zur EU Taxonomie vor | Quelle: DGNB

Stuttgart (pm) – Der Immobilienmarkt hat Nachholbedarf bei der Bearbeitung der Taxonomie-Kriterien, die von der Europäischen Union festgelegt wurden. Dies liegt einerseits an einer mangelhaften Verfügbarkeit der notwendigen Daten zur Nachweisführung. Zudem sind einige der Kriterien in ihrer aktuellen Formulierung kaum erfüllbar. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V. gemeinsam mit Partnern aus Dänemark, Österreich und Spanien in den vergangenen Monaten durchgeführt hat. Aus elf europäischen Ländern hatten 62 Projekte verschiedenster Gebäudetypen an der Studie teilgenommen. Der Abschlussbericht ist ab sofort auf der DGNB Website verfügbar. Darin enthalten sind auch konkrete Empfehlungen an die EU-Kommission sowie an die Marktteilnehmer, um künftig eine bessere Anwendbarkeit der Kriterien zu ermöglichen.

„Die EU hat mit der Taxonomie einen wichtigen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit in der Finanz- und Immobilienwirtschaft gemacht. Umso wichtiger ist es, dass dieser Schritt wohlbedacht ist – mit den richtig formulierten Themen, Anforderungen und Zielsetzungen“, sagt Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der DGNB. „Mit unserer Studie wollten wir europaweit an realen Projekten herausfinden, ob der Kriterienkatalog in der aktuellen Fassung überhaupt das Potenzial hat, zum sinnhaften Transformationstool zu werden, oder an den Möglichkeiten des Marktes vorbeigeht.“

Gemeinsame Studie von vier europäischen Green Building Councils

Die Studie wurde von der DGNB gemeinsam mit dem Green Building Council España (GBCe), der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) und dem Green Building Council Denmark (DK-GBC) durchgeführt. Grundlage war die im Juni 2020 veröffentlichte erste Version der Taxonomie-Kriterien. Das von der EU entwickelte Klassifizierungssystem für nachhaltige Geldanlagen dient der Einordnung, welche Finanzprodukte und Investitionen einen wesentlichen Beitrag zu Umweltzielen wie dem Klimaschutz oder der Klimaanpassung erreichen und sich als „nachhaltig“ im ökologischen Sinne deklarieren dürfen. Im Immobilienbereich geht es um die Anwendung von Kriterien bei Neubauten, Sanierungen sowie dem Erwerb und Eigentum von Gebäuden.

Zielsetzung der Studie war es, die Marktfähigkeit und Anwendbarkeit der Taxonomie-Kriterien anhand realer Projekte zu untersuchen. Dabei sollte geprüft werden, wie gut Organisationen der Immobilien- und Finanzwirtschaft auf das Thema vorbereitet sind und inwieweit sie Kapazitäten aufbauen müssen, um die Bearbeitung der Taxonomie-Kriterien in ihren Prozessen zu integrieren. Auch erste realitätsnahe Erfahrungen zu Aufwand, Kosten und Vorteilen hinsichtlich der Implementierung der notwendigen Prozesse zur Datenerfassung sollten gesammelt werden. Untersucht werden sollte auch, welche Mehrwerte bestehende Zertifizierungen zur Erreichung der Anforderungen und zur Erleichterung der Dokumentation haben. Zusätzlich war das Ziel, konkrete Empfehlungen an die EU-Kommission zur Weiterentwicklung der Kriterien zu übermitteln.

Die Durchführung der projektindividuellen Taxonomie-Checks erfolgte im vergangenen Herbst. Unter den 62 Gebäuden waren 36 dem Bereich „Erwerb und Eigentum“ zugeordnet, 22 Neubauten und vier Sanierungen. Für alle drei Bereiche gab es jeweils eigene Fragenkataloge. Die Projekte verteilen sich auf 23 unterschiedliche Unternehmen. Hierzu zählten unter anderem sieben Projektentwickler, sechs Pensionskassen sowie sechs Investment und Asset Manager. Zum Teil hatten die Teilnehmer bereits detailliertes Vorwissen zur Taxonomie, für andere war es ein komplett neues Themenfeld. 26 der Projekte verfügten über eine Zertifizierung.

Fehlende Datengrundlage als Kernproblem für Marktteilnehmer

Im Detail ergab die Untersuchung, dass insgesamt nur eines der 62 Projekte über alle Kriterien hinweg eine vollständige Taxonomie-Konformität nachweisen konnte. Dies lag teilweise an den Schwierigkeiten, die in den Kriterien geforderten Anforderungen zu erfüllen. Häufig fehlte den Teilnehmern aber auch die notwendige Datengrundlage, um eine Nachweisführung zu ermöglichen. Zudem konnten große Unterscheide zwischen den teilnehmenden Projekten festgestellt werden. Während über die Hälfte im Neubau die Anforderungen zu mehr als zwei Drittel erfüllten, gelang dies im Bereich „Erwerb und Eigentum“ weniger als 15 Prozent. Hier besteht großer Nachholbedarf bei der Informationsbeschaffung im Bereich der Ankaufsprozesse und des Asset Managements. Insbesondere das Kriterium „Climate Change Mitigation“ sorgte bei diesen Projekten für Probleme. Mit Blick auf die inhaltlichen Anforderungen war über alle Gebäude hinweg das Kriterium „Climate Change Adaptation“ am schwierigsten zu erfüllen.

Zertifizierte Projekte schneiden bei Erfüllungsgrad und Aufwänden besser ab

Die bei fast allen Projekten vorhandenen Datenlücken waren bei Wohngebäuden und größeren Immobilien besonders groß, wohingegen Gewerbeimmobilien und kleinere Gebäude bessere Grundlagen hatten. Auffällig war, dass zertifizierte Gebäude ihre Konformität häufiger nachweisen konnten, also besser auf die Anforderungen der Taxonomie vorbereitet sind. Die Aufwände zur Bearbeitung des Assessments variierte stark zwischen zwei und 25 Stunden pro Projekt. Auch hier hatten zertifizierte Gebäude Vorteile gegenüber nicht-zertifizierten. Diese verfügen somit auch prozessual über eine bessere Grundlage zur für die Taxonomie erforderlichen Dokumentation.

„Die Studie zeigt, dass die Branche das Thema Transparenz zu lange vernachlässigt hat“, sagt Lemaitre. „Denn mit einer Zertifizierung erfassen wir Informationen, die ohnehin da sein sollten und wichtig zur Bewertung der Nachhaltigkeitsqualität sind. Insofern ist dieses Ergebnis der Studie eine gute Nachricht für all diejenigen, die sich schon länger mit der Zertifizierung beschäftigen. Sie haben einen Vorsprung, den andere erst aufholen müssen.“

EU-Kommission muss bei einzelnen Kriterien-Anforderungen nachschärfen

Die Studie hat gezeigt, dass die aktuellen Taxonomie-Kriterien eine gute Grundlage bieten, es aber noch einiges zu tun gibt, um die Anwendbarkeit und Marktfähigkeit sicherzustellen. Zahlreiche Fragen konnten schlichtweg noch nicht bearbeitet werden. „Wenn selbst motivierte Teilnehmer mit Projekten, die bereits umfangreiche Nachhaltigkeitsanforderungen berücksichtigt haben, Schwierigkeiten bei der Bearbeitung und Nachweisführung haben, belegt das, dass es noch Bedarf gibt, die Kriterien weiterzuentwickeln“, erklärt Lemaitre. „Die EU hat hier eine außerordentliche Verantwortung, klare Leitlinien zu formulieren. Die grundsätzliche Machbarkeit muss sichergestellt sein, und das Ganze sollte möglichst handhabbar gestaltet sein, um unnötige Bearbeitungsaufwände zu vermeiden“, so Lemaitre.

Konkrete Empfehlungen an die EU-Kommission zur Nachbesserung der Formulierungen pro Kriterium wurden bereits im Dezember auf Basis der ersten Studienauswertungen an die zuständigen Gremien und Personen übermittelt. Eine darüber hinaus gehende Empfehlung ist, etablierte Zertifizierungssysteme als Nachweisinstrumente anzuerkennen, um Synergieeffekte zu nutzen und unnötige Mehraufwände zu vermeiden.

Aufbau von Daten-Repositorys empfehlenswert

Ebenfalls gezeigt hat sich, dass die Marktteilnehmer vielfach noch nicht hinreichend auf die EU-Taxonomie vorbereitet sind. Einerseits erreichen einige Gebäude die notwendige Qualität nicht. Aber auch das Thema Informationsbereitstellung steht im Fokus. „Sie müssen sich dezidiert mit den Anforderungen auseinandersetzen, um zu verstehen, wie sie das Ganze sinnvoll in ihre Prozesse integrieren können, um die Aufwände möglichst gering zu halten“, sagt Lemaitre. „Hier empfehlen wir, dass die Unternehmen zentrale Daten-Repositorys aufbauen und standardmäßig nutzen.“ Gerade für eine Skalierung auf ganze Portfolios ist dies ein wichtiger Schritt.

Transformationspotenzial der Taxonomie nicht ausgeschöpft

Letztlich zeigt die Studie, dass die Taxonomie-Kriterien in der aktuellen Fassung nur von Projekten vollständig erreicht werden, die bereits über eine außerordentliche Nachhaltigkeitsqualität verfügen. Einerseits ist es bei der Dringlichkeit der Themen „Klimaschutz“ und „Klimaanpassung“ richtig, ambitionierte Anforderungen zu formulieren. Sind diese aber zu ambitioniert, vergibt die EU-Kommission die große Chance, mit der Taxonomie das vorhandene Transformationspotenzial in der Immobilienwirtschaft auszuschöpfen. „Wenn der Eindruck entsteht, dass sich die Anforderungen ohnehin nicht erfüllen lassen, fehlt auch die Motivation, sich überhaupt auf den Weg zu machen, um es zu schaffen“, so Lemaitre. „Wenn es gelänge, ein breiteres Spektrum an Projekten mitzunehmen, hätten wir ein deutlich größeres Potenzial, über diesen Weg eine weitreichende Veränderung anzustoßen.“
 
Stimmen von Teilnehmern der Studie

Carl Backstrand, ACE, Dänemark:
„Die Studie unterstreicht anhand von realen Fallbeispielen einmal mehr, was wir schon lange erwartet haben: Die Bauwirtschaft hat ein Problem und die Notwendigkeit, die Datenerfassung zu verbessern und eine höhere Datensicherheit zu gewährleisten.“

Dr. Richard Teichmann, Geschäftsführer der Teichmann & Compagnons Property Networks GmbH, Österreich:
„Die Finanzindustrie hat bisher nicht viel Initiative ergriffen im Bereich des nachhaltigen Bauens. Die EU-Taxonomie könnte hier ein Game Changer für den Markt sein. Um Erkenntnisse für die Anwendung zu gewinnen, haben wir an dieser Studie teilgenommen.“

Carlos Valdés, unabhängiger ESG Consultant, Spanien:
„Die in dem Bericht enthaltenen Empfehlungen werden nicht nur für die europäischen Behörden von Nutzen sein, sondern auch für viele Akteure in verschiedenen Branchen, die für die Wertschöpfungskette des Bauwesens relevant sind, wie z.B. Wirtschaftsverbände, Immobilienentwickler, Bauunternehmen und Fertigungsbetriebe, Ausbildungszentren und technische Fakultäten. Sie alle werden eine wichtige Rolle dabei spielen, das Bewusstsein für die Bedeutung der EU-Taxonomie-Kriterien für die Bauindustrie zu schärfen.“

Konrad Hedemann, ESG Associate bei der Allianz Real Estate GmbH, Deutschland:
„Die Teilnahme an der Studie war für uns wichtig, um die Informationsbasis über unsere Immobilienanlagen anhand der Taxonomie zu bewerten. Die Studie hat uns aufgezeigt, wo mögliche blinde Flecken sind und wo wir uns besser auf die Zukunft vorbereiten können.“

Alexander Piur, Head of Sustainability and Innovation at ING Wholesale Banking Real Estate Finance, Deutschland:
„Immobilienfinanzierer sind einer der wichtigsten Beschleuniger der Transformation hin zu einer Net-Zero-Carbon-Immobilienbranche. Aber wenn es um Daten geht, sind die Banken in diesem Prozess am empfangenden Ende. Um die Kreditvergabe in die richtige ‚nachhaltige‘ Richtung zu lenken und ‚Green Washing‘ zu vermeiden, sind abgestimmte, akzeptierte und kommunizierte Benchmarks unter allen Akteuren der Wertschöpfungskette entscheidend. Die EU-Taxonomie ist die nächste Stufe der Standardisierung und Transparenz und wird auch die Entwicklung neuer nachhaltigkeitsbezogener Finanzprodukte anstoßen. Allerdings ist das Rahmenwerk recht komplex und datenintensiv, was zu einem meiner Hauptanliegen führt: der Akzeptanz der Taxonomie in der Immobilienbranche. Durch die Teilnahme an der Studie sind meine wichtigsten Erkenntnisse für den Erfolg der EU-Taxonomie: klare Definitionen und Benchmarks, einfache Zugänglichkeit der Daten und schließlich die richtige Unterstützung und Schulungen, wie sie durch die gemeinsame Arbeit der Studiengruppe veranschaulicht wurden.“

Pressemitteilung: DGNB