19. März 2024

Städte von morgen: Per Baukastensystem wird jeder zum Stadtplaner

Im TUD-Projekt U_CODE (Urban Collective Design Environment) wird ein digitales Kollaborationstool entwickelt, das Bürger zur stärkeren Beteiligung am Planungsprozess befähigt.

3D-Ansicht einer Stadtplanungsidee auf der Plattform von U_CODE. (c) U_CODE

Dresden (pm) – Eine Stadt spielerisch in 3D nach den eigenen Bedürfnissen wie eine Küche oder ein Schlafzimmerschranksystem Online planen: Dieser Idee folgt seit 2016 das von der TU Dresden geführte Horizon2020-Projekt U_CODE mit einem virtuellen partizipativen Stadtplanungsbüro. Seit diesem Jahr setzen IT-Entwickler aus dem Team um Projektleiter Prof. Jörg Rainer Noennig am Labor WISSENSARCHITEKTUR die digitalen Planungsräume und –werkzeuge technisch um. Gemeinsam mit internationalen Partnern, darunter der Hard- und Softwarehersteller Oracle, präsentierte das Projektteam nun die Zwischenergebnisse vor der EU-Kommission. Unter allen von der TUD bisher beim Förderprogramm Horizon2020 eingereichten Projektanträgen, erhielt U_CODE die höchste Bewertung der EU-Kommission. Das Projekt wird mit 3,6 Mio. Euro gefördert. Durch die steigende Weltbevölkerung und das Städtewachstum besteht der dringende Bedarf nach einem neuartigen interaktiven Planungsprozess. Allein können die einzelnen Expertengruppen – Architekten, Planer, Kommunen oder Stadtverwaltungen – die Aufgabe der Stadtplanung nicht mehr bewältigen. Sie brauchen für eine erfolgreiche Umsetzung den Dialog mit den Menschen, die in Zukunft in den Städten leben werden. Die virtuellen Planungsräume sowie Kreativ- und Planungstools von U_CODE lassen eine starke demokratische Bürgerbeteiligung und „co-creation“ zu.

Ein bekanntes Beispiel, wie ein Projekt nicht laufen sollte, ist Stuttgart21: Das Bauvorhaben provozierte immense Protestbewegungen mit zum Teil über 70.000 Menschen, führte zu starken Verzögerungen und ist durch mehrmals nach oben hin korrigierte Planungskosten in die Schlagzeilen geraten. Dahinter liegt ein grundlegendes Planungsproblem: Bisherige Beteiligungsverfahren starteten häufig erst dann, wenn Planungen für Bauvorhaben durch die Verantwortlichen bereits weit fortgeschritten waren. Teilweise lagen bereits die ersten Entwürfe vor. So blieb es oftmals bei einer „Placebopartizipation, die nicht weh tun sollte“, umschreibt Prof. Noennig, Leiter des Projekts U_CODE am WISSENSARCHITEKTUR – Laboratory of Knowledge Architecture der TU Dresden und Professor für Digital City Science an der Hafencity Universität Hamburg, die begrenzte Teilhabe der Bürger. Würden Bürger von Beginn an in Projekte und in Entscheidungen involviert sein, ließen sich laut Prof. Noennig Szenarien wie Stuttgart 21 vermeiden. Viel Protest und Gegenwehr würden oft erst entstehen, wenn alle formalen Schritte schon durchlaufen und viele Gelder geflossen seien. Eine stärkere Partizipation führe zu einer höheren Akzeptanz von Bauvorhaben, da sie mehr den Wünschen und Bedürfnissen der Stadtbewohner entsprechen. Deshalb steht im Projekt U_CODE die Frage, wie sich die Beteiligung am Stadtplanungsprozess offener, mit mehr Spielraum und damit letztlich erfolgreicher gestalten lässt, im Fokus.

Der digitale Partizipationsprozess von U_CODE setzt in der Planung viel früher an. Schon während der Ideenfindung sollen Bürger die Chance erhalten, ihre Kreativität einfließen zu lassen. Mit Hilfe einer digitalen Plattform, die vom Smartphone, Tablet oder PC überall jederzeit erreichbar ist, finden der Austausch von Ideen und das Erstellen erster Planungsdesigns in einem offenen Ideenpool statt, dem sogenannten öffentlichen „Project Playground“. In diesen Planungsräumen können mit einfachen Planungstools räumliche Ideen visualisiert und kommentiert werden. Auch virtual reality tools wie 3D-Brillen und Touchtables kommen dabei zum Einsatz. Für ihre Entwürfe können sich die Nutzer unmittelbar Feedback einholen. Aus der breiten Nutzergruppe bilden besonders engagierte Bürger dann eine „focus group“. Im Folgenden arbeitet diese Gruppe enger mit Architekten und den kommunalen Verantwortlichen in einem virtuellen Stadtplanungsbüro an der konkreten Umsetzung.

Das Einbinden der Bevölkerung sieht Prof. Noennig nicht als Machtverlust. Seit der Professionalisierung des Berufsstandes von Architekten und Stadtplanern in der Renaissance habe die Bevölkerung nur verlernt, mit zu planen und mit zu bauen. Stattdessen bieten die digitalen Daten durch Analyse und Filterung die Möglichkeit, zu sehen, „wie die Menge tickt“ und geben Aufschluss, welche Designs, Bauweisen oder Gebäudeideen den Bürgern gefallen. Dieser Wissenszuwachs gebe ganz neue Impulse für Ideen und die planerische Arbeit von Architekten.

Das Team von U_CODE entwickelte für die gesamte Planungsplattform neue Kreativwerkzeuge, Tools zur Steuerung der Kommunikationsprozesse, Analyseinstrumente als auch die notwendigen Spielregeln für die gelingende Interaktion in sehr großen Teilnehmergruppen. An die zehn Werkzeuge befinden sich derzeit im Prototypen-Stadium. Der komplette Planungsprozess wurde bereits an einem fiktiven Projekt mit Planern aus dem bekannten Architekturbüro gmp Gerkan, Marg und Partner durchgespielt. Bis zum Ende des Projektes im Juli 2019 soll der Planungsprozess dann mit Bürgern an einem realen Stadtplanungsprojekt getestet werden. Neben der TU Dresden und gmp engagieren sich im Konsortium von U_CODE namenhafte Partner wie etwa der Hard- und Softwarehersteller Oracle, das Visualisierungsunternehmen ANSYS mit seiner französischen Tochter Optis, das strategische Netzwerk Silicon Saxony sowie die Partneruniversität der TU Dresden, die TU Delft und das IT Institut ISEN in Toulon. Das Stadtplanungsamt Dresden, ebenfalls ein Projektpartner, hat bereits großes Interesse bekundet, die U_CODE-Plattform und -tools für mehrere Projekte einsetzen zu wollen.

Pressemitteilung Technische Universität Dresden