26. April 2024

Spannungsfeld Architektur: zwischen Zinsschock und Nachhaltigkeit

Ein Gastbeitrag von Toğrul Gönden, Geschäftsführer der Driven Investment GmbH

Toğrul Gönden (c) Driven Investment GmbH

Berlin (pm) – Vor einigen Wochen verfiel die Immobilienbranche regelrecht in eine Schockstarre: Die Zinsen sind zurück, das „billige“ Fremdkapital ist Geschichte. Dies ist allerdings nur eine von vielen wegweisenden Veränderungen, mit denen sich Bauvorhaben konfrontiert sehen. Drängende Fragen der Zeit lösen wir nur mit Kreativität.

Die Vorboten einer neuen Geldpolitik

Diesen Juli hat die EZB den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte angehoben – im Vorhinein wurde eine Erhöhung von 0,25 Prozentpunkten diskutiert. Im September soll ein weiterer Zinsschritt folgen. Zwar spekulieren nach wie vor einige Marktteilnehmer auf eine rasche Zinssenkung, sobald sich das Inflationsniveau wieder einpendelt. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass uns eine Phase mit lang anhaltend höheren Zinsen erwartet. Denn ob die EZB die anhaltend hohe Inflationsrate von zuletzt 7,6 Prozent im Juni 2022 effizient bekämpfen kann, ist mehr als fraglich. Die Teuerungsrate sorgt in Verbindung mit steigenden Zinsen bei den Projektentwicklern für eine doppelte Herausforderung.

Zweifellos handelt es sich dabei um eine ungewohnte Situation, vor allem die Kombination der Einflussfaktoren ist tatsächlich für die Branche neu. Die hohen Zinsen allein sind aber nichts Ungewöhnliches. Um die Jahrtausendwende war die Branche mit Zinsen von teilweise über sechs Prozent konfrontiert. Damit verbunden waren zwangsweise Preisrückgänge. Den Markt hat dies jedoch nicht ausgehebelt, und auch die Fertigstellungszahlen waren damals relativ hoch. Allerdings haben sich jetzt Teile der Branche an das beinahe kostenlose Fremdkapital gewöhnt. Damit ist jetzt Schluss.

Die Zinswende trennt die Spreu vom Weizen

Diese Zäsur trifft nicht alle Akteure gleichermaßen: Veränderte An- und Verkaufspreise erschüttern nun in erster Linie diejenigen, die einen hohen Fremdkapitalanteil nutzen oder sich mit Mezzanine-Kapital finanziert haben. Für diese Gruppe kommt die Zinswende vor allem in ihrer Schnelligkeit eher einem Zinshammer gleich. Ebenfalls ins Wanken geraten die Spekulanten: Wer in den vergangenen Jahren Immobilien oder Grundstücke zu günstigen Preisen erstanden und anschließend Landbanking betrieben hat, nur in der Hoffnung auf eine Wertsteigerung, kann diese Praxis nicht länger aufrechterhalten. Dass diese „Glücksritter“ in Zukunft keine Chance mehr haben, trägt zu einem gesünderen und realistischeren Wachstum innerhalb der Immobilienbranche bei. Insofern hat die Zinswende auch eine bereinigende Funktion: Sie trennt die Spreu vom Weizen.

Der Erfolg gesunder Projektentwicklungen dagegen steht und fällt nicht mit steigenden Zinsen. Er resultiert vor allem aus der Planungsarbeit: Der Großteil der Immobilienentwickler kalkuliert vorausschauend einen gewissen finanziellen Puffer im Rahmen des Risikomanagements ein. Wem dieses in der Vergangenheit fehlte, wird jetzt auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Solide Projekte, die einen gesellschaftlichen Mehrwert bieten, geraten hingegen nicht ins Wanken. Dies spielt auch bei der Kreditvergabe eine wichtige Rolle. Entwickler, die auf einen höheren Eigenkapitalanteil bauen können, Nachhaltigkeitsstandards berücksichtigen und Projekte in guter Lage verwirklichen, dürfen weiterhin auf das Vertrauen der Finanzierer setzen.

Schema F funktioniert in der Architektur nicht

Die Architektur genießt in dieser Situation ebenfalls einen hohen Stellenwert. Nicht allein die Zinswende, sondern bereits die Pandemie regte hierbei zum Umdenken an: Die maximale Mietfläche, früher das Maß aller Dinge, ist inzwischen nur noch ein Kriterium von vielen.

Stattdessen orientiert sich die Gestaltung der Flächen stärker an den individuellen Bedürfnissen der jeweiligen Nutzer. Ein gutes architektonisches Konzept bemisst sich am stimmigen Gesamteindruck für Nutzer und Außenstehende. Die Architektur muss sämtliche Stakeholder in den Mittelpunkt rücken, nicht nur Investoren und (direkte) Mieter, sondern auch Anwohner und all diejenigen, die mit der Immobilie in Kontakt kommen.

Dies gilt insbesondere für Büros, die in Zeiten von Homeoffice und dezentralem Arbeiten einen klaren Mehrwert bieten müssen. Die Architektur muss auf den jeweiligen Unternehmenstypus des späteren Nutzers zugeschnitten sein. Bedürfnisse der Nutzer sind das Fundament, auf dem die Architektur der Räume aufbaut: gemeinschaftlich genutzte Workshop- und Seminarräume, Social Areas, innovative Treppengestaltung, Sport- und Eventflächen in den Außenanlagen sowie begrünte Dach- oder Terrassenflächen. Es kommt eben auch auf die Gestaltung derjenigen Flächen an, die nicht direkt zur Mietfläche einzelner Nutzer zählen.

Ohne Kompromisse keine Nachhaltigkeit

Es gibt aber noch einen weiteren Erfolgsfaktor. Um es ganz klar zu sagen: Ein Gebäude ohne Nachhaltigkeitskonzept hat in der modernen Welt keine Daseinsberechtigung. Klimafreundliche Bauweisen und -materialien sind in der Praxis Pflicht, schon allein um den steigenden Umweltauflagen zu entsprechen. Abstriche in Sachen Klimabilanz werden aber auch mittelfristig dafür sorgen, dass die jeweiligen Objekte nicht mehr investierbar sind. An Zertifizierungen wird in Zukunft kein Weg vorbeiführen.

Neben der Implementierung der geltenden Standards verlangt die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit Kompromissbereitschaft: Zugunsten der Energiebilanz dürfen Gebäude nicht länger vollflächig klimatisiert sein, auch bei der mechanischen Be- und Entlüftung brauchen wir neue Lösungen. Damit das Thema Nachhaltigkeit nicht zum Sprengstoff in den Verhandlungen mit den Mietern wird, gilt es, frühzeitig in den Dialog zu treten, die Beweggründe offenzulegen und im Best Case Alternativen zu präsentieren.

Dazu sind kreative Ansätze seitens der Fachplaner und Architekten gefragt: Eine natürliche Gebäudeklimatisierung durch solare, Nacht- oder Verdunstungskühlung bessert die Klimabilanz einer Immobilie. Schallabsorbierende Heiz- und Kühldeckensysteme für den Holzbau sind notwendig.

Weil Nachhaltigkeit auch Langlebigkeit bedeutet, gehört dem Lowtech-Gebäude die Zukunft. Angesichts rasanter technischer Entwicklungen stehen mit Hightech überfrachtete Gebäude vor der Herausforderung, stets up to date bleiben zu müssen. Auf Dauer können sie diesem Druck nicht standhalten, weshalb Lowtech auf lange Sicht die flexiblere und nachhaltigere Option darstellt.

 

Ein Gastbeitrag von Toğrul Gönden, Geschäftsführer der Driven Investment GmbH

Toğrul Gönden studierte Architektur an der Technischen Universität Berlin und an der Universidad de Sevilla. Für JLL war er bis 2012 weltweit in den Bereichen Property- und Asset-Management tätig. Bis 2018 war Gönden Geschäftsführer bei Cushman & Wakefield in der Türkei, bis er 2019 zur Driven Investment GmbH wechselte. Als Geschäftsführer leitet er aktuelle Projektentwicklungen der Driven Investment GmbH.