25. Mai 2025

Dipl.-Ing. Architekt BDA Sergei Tchoban, Geschäftsführender Gesellschafter von Tchoban Voss Architekten: „Die besten Erlebnisse, Abenteuer und Offenbarungen stehen noch bevor.“

Sergei Tchoban zählt zu den prägenden Architekten der Gegenwart. Seine Entwürfe verbinden künstlerische Sensibilität mit einem tiefen Gespür für den städtischen Raum. Im Zentrum seines Schaffens steht die Handzeichnung – nicht nur als Werkzeug, sondern als Ausdruck architektonischen Denkens. Im Interview berichtet Tchoban von seinem Werdegang zwischen Sankt Petersburg und Berlin, von Einflüssen bedeutender Architektenpersönlichkeiten und von seiner Überzeugung, dass Architektur nur dann Bestand hat, wenn sie über das Zeitgenössische hinaus wirkt.

Sergei Tchoban © Jasmin Schuller

Wie sind Sie ursprünglich zur Architektur gekommen, und was hat Ihre Entscheidung geprägt, diesen Berufsweg einzuschlagen?

Am Lyzeum, einer besonderen Kunstschule in Sankt Petersburg, damals Leningrad, habe ich eine Ausbildung zum Grafik-Künstler angefangen. Ich habe es aber besonders geliebt, Architektur zu zeichnen. Meine Lehrer haben mich auf diesem Weg begleitet und bestärkt. Meine Liebe zur Architektur ist durch das Zeichnen entstanden und so erwuchs auch die Entscheidung, Architekt zu werden.

Bei wem und an welcher Institution haben Sie Ihre architektonische Ausbildung absolviert und welche prägenden Erfahrungen verbinden Sie mit Ihrem Studium?

Architektur habe ich an der Ilja Repin Kunstakademie von Sankt Petersburg studiert. Mein Professor war zu Beginn Sergey Borisovich Speransky, einer der großen Architekten der Lenigrader Nachkriegsmoderne. Bei ihm, seinem Nachfolger und Schüler, dem Architekten und Künstler Valeryan Volonsevich sowie Vyacheslav Ukhov habe ich gelernt, was ein pointierter Städtebau und für den urbanen Kontext ein stimmiges Ensemble bedeutet.

Welche wesentlichen Unterschiede sehen Sie zwischen der Architekturausbildung in Russland und Deutschland, insbesondere im Hinblick auf Methodik und gestalterische Herangehensweise?

In Deutschland werden Studentinnen und Studenten zum individuellen, konzeptionellen Denken angeregt und auf das praktische Arbeiten in Architekturbüros vorbereitet: Konzept, Planung und Ausführungsplanung, Statik und Bauphysik etc.
In Russland standen Darstellungen, Zeichnungen, an vorderer Stelle – vor der philosophischen Konzeptfindung.

Welche Persönlichkeiten, Strömungen oder Erfahrungen haben Sie in Ihrer Entwicklung als Architekt maßgeblich geprägt?

Von Alvar Aalto und seinem Umgang mit Materialien sowie der Einbettung seiner Architektur in die Landschaft wurde ich anfangs sehr geprägt. Auch hat mich immer die Formenfindung von Oscar Niemeyer beeindruckt. Wichtig für mich waren aber auch die Amerikanische Schule, Eero Saarinen, Paul Rudolph, Marcel Breuer, Ludwig Mies van der Rohe, Minoru Yamasaki, Gordon Bunshaft sehr wichtig. Und für eine unorthodoxe Folge der eigenen Tradition: Kenzō Tange, Kishō Kurokawa oder auch Le Corbusier.

Sie wurden in Leningrad geboren, sind dort aufgewachsen und 1991 nach Deutschland gezogen. Wie haben diese kulturellen und geografischen Wechsel Ihre Perspektive auf Architektur und Stadtplanung nachhaltig beeinflusst?

In Deutschland gab es zu dieser Zeit unzählige Möglichkeiten für mich zur Weiterentwicklung meiner Expertise im Bereich Architektur. Mein Fokus in Deutschland lag vor allem auf dem konzeptionellen Denken. Hier wollte ich viel lernen und Erfahrungen sammeln. Weg von der Theorie, hin zur Praxis – das Können, Projekte zu realisieren erlernen.

Was hat Sie dazu bewogen, Deutschland als Ihren Lebensmittelpunkt und Wirkungsort zu wählen?

Nach der Wiedervereinigung gab es, insbesondere in Berlin, für Architekten viele Möglichkeiten zur Entfaltung und zur produktiven, kreativen Arbeit. Ich habe in Deutschland, als Ausländer und heranwachsender Architekt, viel Freundlichkeit und Unterstützung erfahren.

Ihre Architekturskizzen wurden weltweit in renommierten Museen ausgestellt und mehrfach ausgezeichnet. Welche Bedeutung messen Sie der Handzeichnung im digitalen Zeitalter bei, und welche Rolle spielt das Skizzieren für Ihren kreativen Entwurfsprozess?

Skizzieren ist gerade im Entwurfsprozess sehr wichtig, um die architektonische Idee zu vermitteln, gegebenenfalls auch der Öffentlichkeit. In den Museen werden Zeichnungen und Fantasien von mir ausgestellt, die für sich eine eigene Kunstform darstellen, mein persönliches Tagebuch, meine Ideen, individuell erstellte Abbildungen. Sie sind damit unabhängiger, paralleler Art und treten mit der digitalen Welt nicht in Konkurrenz. Im Arbeitsprozess nutze ich diese auch.

2009 haben Sie die Tchoban Foundation gegründet und 2013 ein eigenes Museum für Architekturzeichnungen eröffnet. Was war Ihre Intention hinter dieser Initiative, und was möchten Sie damit in der Architekturszene erreichen?

Zu zeigen, wie eine architektonische Idee auch heute noch bei renommierten Architektinnen und Architekten entsteht: übersetzt bzw. transformiert aus den Gedanken über die Hand in ein Bild, eine Zeichnung. Und natürlich um zu zeigen, warum es Architektinnen und Architekten, Künstlerinnen und Künstler es lieben, Architektur darzustellen.

Wie würden Sie Ihren architektonischen Stil selbst charakterisieren? Welche Leitmotive oder gestalterischen Prinzipien definieren die Handschrift Sergei Tchoban und verbinden Ihre Projekte über die Jahre hinweg?

Raum und Detail sind die wichtigsten, substanziellen Kriterien. Ein Gebäude sollte eine ganz neue, städtische Mise-en-scène im Gefüge bilden, die von Weitem wie von Nahem haptische Qualitäten hat und zum Verweilen, Fotografieren oder Zeichnen anregt. Die unterschiedlichen architektonischen Ausdrucksformen werden durch die Einbeziehung des urbanen Kontextes und der physischen und historischen Bedingungen jedes einzelnen Ortes bestimmt. Ich stelle mir zunächst das dreidimensionale Erscheinungsbild meines Entwurfs vor, als ob ich durch die Stadt gehe und auf mein imaginäres Gebäude schaue. Ich denke darüber nach, wie es innerhalb der Stadtlandschaft wahrgenommen wird, wie ich es als Zeichner in der Stadtlandschaft wahrnehmen würde, wenn es seinen Zweck erfüllt, und vieles mehr.

Gibt es ein Projekt oder Gebäude in Ihrem Werk, das Ihnen besonders am Herzen liegt? Welche Geschichte oder persönliche Bedeutung verbinden Sie mit diesem Bauwerk?

Natürlich schaue ich eher nach vorne als zurück.
Das Museum für Architekturzeichnung ist ein lebendiges und dauerhaftes Projekt, nicht nur ein mit Einschränkungen „gelungenes Statement“.

Nicht alles, was zunächst „trendy“ erscheint, altert gut. Und gutes Altern ist die einzige
nachhaltige Tendenz, die immer schneller werdenden Austausch und Verbrauch entgegenwirkt. Durchdachte Gestaltung, qualitativ hochwertige, langlebige Materialien etc.
Mein Ratschlag: Die eigenen Ideen auf würdiges Altern prüfen.

Gibt es ein Lebensmotto oder einen Wahlspruch, der Sie auf Ihrem beruflichen und persönlichen Weg begleitet?

Die besten Erlebnisse, Abenteuer und Offenbarungen stehen noch bevor.

Vielen Dank für das Interview.