7. Mai 2024

Schleswig-Holstein: Innenministerium stellt Studie zu Chancen, Grenzen und Risiken von Tiny Houses

Kiel (pm) – Wer derzeit ein Eigenheim bauen oder kaufen möchte, steht vor historisch schwierigen Herausforderungen. Der Wohnraum ist rar und die Kapazitäten und Ressourcen für den Neubau sind knapp, wodurch Bauen immer teurer wird. Dazu steigen die Finanzierungkosten sowie die laufenden Kosten. Als kostengünstige, nachhaltige und pragmatische Lösung erwägen immer mehr Menschen, die eigenen Ansprüche zu reduzieren und in einem minimalistischen Eigenheim zu leben. So genannte Tiny Houses finden bundesweit immer mehr Anhänger.

Das schleswig-holsteinische Innenministerium hat nun in Zusammenarbeit mit der TH Lübeck eine Studie zu Tiny Houses herausgegeben und dafür Gespräche unter anderem mit Bewohnerinnen und Bewohnern, Politikerinnen und Politikern, Planenden und Unternehmen geführt. Kommunen, Privatpersonen oder Wohnungsunternehmen erhalten darin einen Überblick, welche Erwartungen sich durch ein Kleinsthaus erfüllen lassen und welche nicht. Insbesondere die Frage, ob die Kleinsthäuser massentauglich bezahlbaren Wohnraum bereitstellen können, stand dabei im Fokus. Auch wurde die Wohnform auf ihre Nachhaltigkeit untersucht.

„Die Studie stellt dar, welche Chancen Tiny Houses bieten und wo deren Grenzen und Risiken liegen, und widerlegt Vorurteile. Dabei zeigt sich, dass es keine allgemeingültige Bewertung gibt, sondern immer auf die individuelle Betrachtung ankommt“, sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack. „Darüber hinaus es ist fraglich, ob ein Tiny House immer allen unterschiedlichen Ansprüchen gerecht werden kann.“

Laut Studie leben Menschen nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen in einem Tiny House. Sie haben sich vielmehr bewusst dafür entschieden, Wohnraum, Besitz, Kosten, Aufwand und die Verantwortung zu reduzieren und begreifen das vielfach als Befreiung. Hinter der Konzentration auf das Wesentliche stecken in der Regel eine Philosophie und ein persönlicher Lebensentwurf. „Wer im Tiny House lebt, hat sich bewusst dazu entschieden und ist nicht dort gestrandet“, sage Sütterlin-Waack.

Kommunen und Investoren sehen laut Studie die Chance, versiegelte Areale oder kleine Restflächen zu bebauen oder zu verdichten. Das Kleinsthaus verspricht schnell und umweltfreundlich errichtet, versetzt, betrieben und entsorgt werden zu können. Zudem braucht es braucht wenig Fläche und lässt sich an vielen Stellen einfügen.

Allerdings gibt es derzeit noch keine exakte Definition für ein Tiny House, was nicht selten auch zu Vorurteilen und Unwissen führt, wie mit Kleinsthäusern umgegangen werden kann. So assoziieren die Menschen Tiny-House-Siedlungen beispielsweise mit Trailer-Parks, wie man sie aus den USA oder Kanada kennt. „Die Veröffentlichung soll helfen, bewusst und sicher mit der Wohnform Tiny House umzugehen. Es gibt gute Gründe für oder gegen den Bau einzelner Tiny Houses oder sogar ganzer Siedlungen. Die notwendigen rechtlichen Instrumente für bindende Entscheidungen liegen vor“, erläuterte die Ministerin. Nur so könnte man eine sachliche Debatte über entsprechende Projekte führen.

Größe

Tiny Houses sind freistehende Einzelhäuser. Sie dürfen in der Regel 45 m² Grundfläche nicht überschreiten und sind meist zwischen 20 und 30 m² groß. Da die Häuser im Werk gebaut und später am Zielort aufgestellt werden, gibt es darüber hinaus transportbedingte Größenbeschränkungen. So sind Tiny Houses ohne Räder in der Regel 3 bis 4 m breit und etwa 4 m hoch. In der Länge bewegen sich viele Tiny Houses im Bereich zwischen 8 und 10 m. So genannte Tiny Houses on Wheels, die mit einem fahrbaren Untergestell verbaut sind, dürfen dagegen laut Straßenverkehrszulassungsordnung nur 2,55 m breit sein.

Preis

Tiny Houses sind vom Rohbau als Bausatz bis hin zum vollausgestatteten und schlüsselfertigen Haus erhältlich. Entsprechend breit ist die Preisspanne: Während ein Rohbausatz schon für etwa 10.000 Euro erhältlich ist, können für ein vollausge­stattetes Haus auch 100.000 Euro und mehr anfallen.

Mobilität

Auch wenn Tiny Houses entweder auf eigenen Rädern oder mit Kran und Tieflader grundsätzlich transportabel sind, spielt die Mobilität in Deutschland in der Praxis keine große Rolle. Für einen Umzug müssten sämtliche Einrichtungsgegenstände gesichert werden. Der Transport mit Kran und Tieflader ist zudem sehr kostspielig. Schließlich scheitert ein Ortswechsel oft schon am Mangel passender Grundstücke.

Verantwortung

Das Wohnen im Tiny House erfordert eine besondere Sorgfalt und Pflege des Hauses, zum Beispiel beim Lüften und im Umgang mit der Haustechnik. Ein Kleinsthaus setzt insofern eine bewusste Entscheidung voraus und eignet sich als Wohneigentum oder als Mietwohnung vor allem auf der Basis von Freiwilligkeit und Verantwortungsbewusstsein. Tiny Houses Nutzerinnen und Nutzern zuzuweisen, ist laut Studie nicht zu empfehlen.

Bewohnerinnen und Bewohner

Die Interessentinnen und Interessenten sowie Bewohnerinnen und Bewohner von Tiny Houses bilden ein breites Spektrum an Personen und Lebensstilen ab, die sozioökonomisch überwiegend in der Mitte der Gesellschaft situiert sind. Häufig anzutreffen sind dabei Personen vor und nach der Familiengründungsphase, also etwa die Altersgruppen zwischen 20 und 30 Jahren sowie die Generation 50+. Frauen sind in vielen Projekten überdurchschnittlich repräsentiert. Tiny Houses werden in der Regel von Ein- oder Zweipersonen-Haushalten bewohnt. Gehören Kinder zum Haushalt, wird die Wohnfläche oft durch einen Anbau erweitert, um Privatsphäre und Raum zur Entfaltung zu schaffen.

Die Nutzerinnen und Nutzer von Tiny Houses sind keine „Aussteigerinnen und Aussteiger“, sondern gehen ganz überwiegend Berufen nach, die zum Beispiel im sozialen Bereich, dem Gesundheits- und Ingenieurwesen oder der IT liegen. Freiberufliche Tätigkeiten sind stark vertreten. Die Möglichkeit, tageweise oder auch überwiegend im Homeoffice zu arbeiten, wird gerne genutzt.

Tiny Houses sind keine (aus der Not geborene) Wohnform der Geringverdienenden, sondern ein Phänomen der Mittelschicht – dabei durchaus auch der unteren Mittelschicht, für die der Erwerb eines konventionellen Eigenheims oft nicht finanzierbar ist und die dann im Tiny House die Chance sehen, doch noch an eine Art Einfamilienhaus zu gelangen. Für Menschen mit Migrationshintergrund scheinen Tiny Houses bislang keine attraktive Wohnform darzustellen.

Die Entscheidung, ins Tiny House ziehen zu wollen, basiert in aller Regel auf einer klaren Wohnvision, die sich am jeweiligen individuellen Lebensstil orientiert. Um diesen auszuleben, sind manche Nutzerinnen und Nutzer auch zu einem Umzug in weit entfernt liegende Regionen bereit.

Lebensdauer

Tiny Houses unterliegen aufgrund ihrer kleinen Wohnfläche einer stärkeren Nutzung der einzelnen Bereiche. Ein unachtsames Nutzungsverhalten kann zusätzlich zu Schäden am Haus führen. Insgesamt kann gegenüber dem konventionellen Wohnungsbau mit einer geringeren Lebensdauer bzw. einem erhöhten Instandhaltungsbedarf gerechnet werden. Einzelne Hersteller geben die Lebensdauer ihrer Häuser mit etwa 30 Jahren an. Ob sich ein Markt für gebrauchte Tiny Houses entwickelt, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden.

Anbieter

Das Feld der Akteurinnen und Akteure, die sich mit einem wirtschaftlichen Interesse dem Thema Tiny Houses widmen, ist mittlerweile weit ausdifferenziert. Neben kleinen und größeren Unternehmen, die Tiny Houses bauen, haben sich auch Akteure etabliert, die zusätzlich oder schwerpunktmäßig Beratungs- und Planungsdienstleistungen anbieten. Darüber hinaus gibt es eine Entwicklung hin zu integrierten Unternehmen, die verschiedene Leistungen rund um Tiny Houses aus einer Hand anbieten.

Soziale Medien

Für die Tiny House Bewegung spielen Soziale Medien eine entscheidende Rolle. Interessierte sowie Nutzerinnen und Nutzer tauschen ihre Erfahrungen über Foren und Facebook-Gruppen aus, holen Informationen ein und finden Gleichgesinnte. Vor allem die Bewohnerinnen und Bewohner von Tiny Houses leisten Aufklärung hinsichtlich des Lebensstils und seiner Implikationen, über technische Aspekte und über planungsrechtliche Rahmenbedingungen.

Zur Studie: schleswig-holstein.de/tinyhouse

Quelle: Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport