26. April 2024

Professor der Jade Hochschule erstellt Wirtschaftsgutachten für Klageverfahren vor dem EuGH

Clemens Schramm, Professor für Planungs- und Baumanagement an der Jade Hochschule (c) Jade HS/Andreas Rothaus

Wilhelmshafen (pm) – Clemens Schramm, Professor für Planungs- und Baumanagement am Fachbereich Architektur, beriet Kammern und Verbände zum Klageverfahren der Europäischen Kommission gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof. Im Gespräch mit der Jade Welt erklärt Schramm, was es damit auf sich hat.

JW: Architektinnen und Ingenieure berechnen ihre Planungshonorare auf Grundlage der „Honorarordnung für Architekten und Ingenieure“ (HOAI). Was genau besagt diese Ordnung?

Schramm: Gebühren- bzw. Honorarordnungen für planende Berufe haben eine lange Tradition. Es gibt sie bereits seit Mitte des 19. Jahrhundert. Die aktuelle Fassung datiert aus dem Jahre 2013. Das vom Architekten oder Ingenieur zu erzielende Honorar ist auf Grundlage der Baukosten zu ermitteln. Die HOAI gilt zwingend nicht nur für Architekt_innen und Ingenieur_innen, sondern für alle Leistungen, für die in der HOAI ein Honorar verbindlich geregelt ist. D. h. die HOAI gilt nicht berufsbezogen, sondern leistungsbezogen. Mit anderen Worten: auch ein Nichtarchitekt oder Nichtingenieur, der z.B. die Bauüberwachung übernimmt, ist an die HOAI gebunden. Wichtig ist, dass die HOAI nur für Planungsleistungen gilt, die im Inland erbracht werden (sog. Inländer-HOAI).

Bei den vorgenannten Leistungsbildern sind die Bestimmungen der HOAI zwingend einzuhalten. Ein Verstoß führt zu keinen strafrechtlichen Konsequenzen (z. B. Gefängnis), kann aber berufsrechtliche Folgen bis zum Ausschluss aus der Architektenkammer nach sich ziehen. Zu beachten ist, dass das bindende Preisrecht nur innerhalb der jeweiligen Grenzen der Honorartafelwerte greift. Bei Architekten beispielsweise sind daher alle Honorare mit sogenannten anrechenbaren Kosten in Höhe von 25.000 Euro bis 25.000.000 Euro verbindlich nach der HOAI zu ermitteln. Um ein Zahlenbeispiel zu nennen: Bei einem kleineren Einfamilienhaus mit Kosten von 300.000 Euro beträgt das Architektenhonorar zwischen etwa 40.000 bis 50.000 Euro. Nur innerhalb dieser Honorarspanne ist das Honorar frei verhandelbar.

JW: Die Europäische Kommission hat Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt und verlangt die Mindest- und Höchstsätze der HOAI abzuschaffen. Warum genau will sie dies tun?

Schramm: Das aktuelle, formal gegen die Bundesregierung gerichtete Verfahren läuft seit Sommer 2015 und führte im Juli 2017 zur Klageerhebung. Die Europäische Kommission wirft Deutschland vor, eine Verletzung der europäischen Verträge durch Aufrechterhaltung der HOAI begangen zu haben. Konkret wird beanstandet, dass die sogenannte Dienstleistungs- und auch Niederlassungsfreiheit durch die verbindlichen Honorare verletzt werden. Mit anderen Worten: Ausländische Planungsbüros sind nach Ansicht der Kommission daran gehindert, in Deutschland zu Honoraren vor allem unterhalb, aber auch oberhalb der vorgegebenen Honorare zu arbeiten. Daher sei der Zugang auf den deutschen Planungsmarkt für Architekten und Ingenieure aus der EU nicht gewährleistet. Und diese Freizügigkeit ist eines der wichtigsten Prinzipien der Europäischen Union.

JW: Wie stehen Sie dazu?

Schramm: Dieses von mir erstellte Wirtschaftsgutachten kommt zu dem Schluss, dass die verbindlichen Honorare der HOAI aus sachverständiger, wirtschaftlicher Sicht unter den besonderen Bedingungen des deutschen Planungsmarkts notwendig und sachgerecht sind. Bindende Mindest- und Höchstsätze für Architekten- und Ingenieurleistungen fördern nicht nur die interne, zwischen den Vertragsparteien zu vereinbarende Qualität, sondern ermöglichen auch die Erfüllung des externen, auf das Gemeinwohl beziehungsweise Allgemeininteresse gerichteten Qualitätsanspruchs wie Baukultur, Sicherheits- und Gesundheitsaspekte beziehungsweise der Nutzenanforderungen (beispielsweise Lebenszykluskosten und Nachhaltigkeit). Das klingt zunächst ein wenig abstrakt und doch kann sich jeder vorstellen: Zu niedrige Honorare führen potentiell zu einem Qualitätsverlust, weil die Zeit fehlt, sich ausreichend mit der Planung zu befassen.

JW: Gestern hat sich der EuGH geäußert. Wie bewerten Sie das Urteil?

Schramm: Leider ist der EuGH der Auffassung der deutschen Seite letztlich nicht gefolgt. Nach der mündlichen Verhandlung im November 2018 und vor allem dem ähnlich wie die Europäische Kommission argumentierenden Plädoyer des Generalanwalts im Februar 2019 war dies erwartet worden. Zwar erkennt das Gericht an – ich zitiere, „dass die Existenz von Mindestsätzen für die Planungsleistungen im Hinblick auf die Beschaffenheit des deutschen Marktes grundsätzlich dazu beitragen kann, eine hohe Qualität der Planungsleistungen zu gewährleisten“ und folgt damit den Ergebnissen meines Wirtschaftsgutachtens. Weil aber auch nicht fachlich geeignete Personen, nämlich nicht ausgebildete Architekten und Ingenieure, nach bisherigem deutschem Recht den Mindestpreisen der HOAI unterliegen, hält das Gericht die Bestimmungen der HOAI für nicht kohärent beziehungsweise inkonsequent. Das gesetzte Ziel, mit der HOAI die Qualität der Architekten- und Ingenieurleistungen zu fördern und zu sichern, sei so nicht zu erreichen. Mit diesem überraschenden, aber für die Urteilsfindung ausschlaggebenden Argument war allgemein nicht gerechnet worden.

Das Urteil wird tiefgreifende Auswirkungen auf die Berufsausübung von Architekten und Ingenieuren in Deutschland haben. Auf die Kammern und Verbände kommt viel Aufklärungsarbeit zu. Angesichts der derzeitigen guten Baukonjunktur und der damit verbundenen starken Nachfrage an Planungsleistungen wird der Druck auf die zu erzielenden Honorare momentan noch nicht so groß ausfallen. Mit der Zeit aber werden Bauherren die Architekten und Ingenieure vermehrt dazu auffordern, sich dem Preiswettbewerb zu unterwerfen. Ob man diesen Trend durch Honorarempfehlungen oder verpflichtende Honorarrahmen für die öffentliche Hand aufhalten kann, bleibt abzuwarten. Auch wenn alle Experten sicherlich weiterhin die HOAI in der Schublade haben, werden sich die Honorare stärker als bisher differenzieren. Gewinner werden die Planungsbüros sein, die zukünftige Auftraggeber von ihrer Fachkompetenz und Erfahrung beispielsweise in der Bauleitung oder für Spezialbauten überzeugen können. Für den ‚kleinen’ Verbraucher, den Einmal-im-Leben-Bauherrn ist positiv, dass empfehlende Preisorientierungen weiterhin zulässig sind, so dass sich die Vertragsparteien bei einer Honorarvereinbarung daran halten können.

Zwar wird man sich darüber hinaus auch an den in der HOAI formulierten Leistungsbildern und den sonstigen Bestimmungen orientieren können, aber für Neuverträge wird das Honorar künftig frei verhandelbar sein. Dies sind Planer in Deutschland bisher nicht gewohnt, man wird sie auf die veränderten Marktbedingungen vorbereiten müssen, etwa durch Fort- und Weiterbildungsangebote. Wir Professoren müssen bereits in der Lehre hier an der Jade Hochschule ansetzen. Viele Selbstverständlichkeiten werden künftig in Frage gestellt. Anders als bisher wird man mit dem Bauherrn im Vorwege viel mehr über die Leistungserwartung und das Honorarversprechen reden müssen. Ein weiteres Beispiel: das Building Information Modeling (BIM) wird den Planungsablauf in absehbarer Zeit enorm verändern, weil sich die verschiedenen beteiligten Planer frühzeitig miteinander abstimmen müssen. Das hat Auswirkungen auf das Leistungsbild der Architekten und Ingenieure, das modernisiert werden muss. Die zu erwartenden Effizienzsteigerungen werden sich auf die Honorierung auswirken bzw. vorrangig den Büros, die die Zeichen der Zeit erkennen, auch weiterhin auskömmliche Honorare ermöglichen.

Auch sogenannte Altverträge, also bis gestern geschlossene Architektenverträge, werden auf den Prüfstand gestellt. In Streitfällen kann sich der Planer nicht mehr wie bisher auf die verbindlichen Preise der HOAI berufen und muss daher die Höhe seiner Vergütung an dem Maßstab der Ortsüblichkeit orientieren. Dies ist in der Praxis nicht so einfach zu ermitteln wie bisher (es genügte sich auf die HOAI zu berufen), gerade dann, wenn eine schriftliche Vereinbarung zur Honorarhöhe nicht im Vorhinein getroffen wurde. Da wird neben anfänglicher Rechtsunsicherheit viel Arbeit auf die Gerichte zukommen.

Persönlich begleite ich die HOAI bereits seit vielen Jahren. Mein Forschungsschwerpunkt ist die wirtschaftliche Büroführung der Planer. Zur Zeit arbeite ich im Rahmen des hier an der Hochschule laufenden Forschungsvorhabens ‚Fokus Architekturbüro’ an einer Buchveröffentlichung zum Büromanagement. Die Umwälzungen, die sich aus dem zitierten Urteil ergeben, werden darin natürlich einfließen. Ich bin gespannt auf die nunmehr einsetzenden Diskussionen in Fachkreisen.

JW: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Veröffentlicht im Magazin „Jade Welt“ . Veröffentlichung : Jade Hochschule