30. September 2025

Prof. Dr. Mike Schlaich, Partner bei schlaich bergermann partner: „Afrika verfügt über alle Möglichkeiten das fossile Zeitalter zu überspringen.“

Mike Schlaich ist seit 1999 Partner bei schlaich bergermann partner – einem Büro, das weltweit für seine innovativen Ingenieurbauwerke bekannt ist. Seit 2004 lehrt er als ordentlicher Professor an der Technischen Universität Berlin, wo er den Lehrstuhl für „Entwerfen und Konstruieren – Massivbau“ innehat. Er ist außerdem als Prüfingenieur für Baustatik zugelassen. Studium und Promotion absolvierte er an der ETH Zürich.

Im Laufe seiner Karriere verantwortete Mike Schlaich eine Vielzahl preisgekrönter Brückenbauprojekte – darunter die markante Ting-Kau-Schrägseilbrücke in Hongkong sowie Fußgängerbrücken in Rathenow, Oberhausen, Sassnitz, Leer und Greifswald. Auch Straßen- und Eisenbahnbrücken in Geel, Ingolstadt und Léon tragen seine Handschrift. Internationale Architekturbüros schätzen seine konstruktive Expertise – zahlreiche Entwürfe entstanden in enger Zusammenarbeit und wurden mit renommierten Auszeichnungen geehrt: dem Deutschen Brückenbaupreis, dem Balthasar-Neumann-Preis oder dem Deutschen Ingenieurbaupreis. Für seine Leistungen wurde er 2016 mit der Goldmedaille der Institution of Structural Engineers in London ausgezeichnet, 2021 folgte die Anton Tedesko Medaille der IABSE.

Als Verfechter eines konzeptionellen, ganzheitlichen Entwurfs sieht Mike Schlaich den Ingenieur nicht nur als Techniker, sondern als Mitgestalter der Baukultur – mit Verantwortung für Form, Funktion und Umwelt. Seine Neugier treibt ihn an, bekannte Wege zu hinterfragen, neue Möglichkeiten auszuloten und mit jedem Projekt die Lebensqualität durch durchdachte, hochwertige Strukturen zu verbessern.

Mike Schlaich © Tom Ziora

In Ihrem Buch „Bauen in Afrika. Cape to Cairo in 150 Tagen: Erfahrungen eines Ingenieurs.“ zeigen Sie die baukulturelle Vielfalt und die verschiedenen Lebensumstände in Afrika und bieten einen Einblick in historische und zeitgenössische Planungs- und Bauweisen. Sie ermöglichen dem Leser, auf einer lebendigen „Ingenieursafari“ Bauwerke aus der Sicht eines Bauingenieurs zu erkunden und geben afrikanischen Kollegen und Kolleginnen eine Stimme.

Ihr Blick weitet sich zudem auf die Zukunft des Kontinents. Laut den „World Population Prospects 2024“ der Vereinten Nationen wird die Bevölkerung Afrikas bis 2050 um 1,2 Milliarden Menschen anwachsen – nahezu das Dreifache der aktuellen EU-Bevölkerung. Eine umfassende Entwicklung weiterer Bau- und Infrastrukturen wird notwendig sein, die den verschiedenen Kulturen, Landschaften und klimatischen Bedingungen der einzelnen Länder angepasst sind.

Was verbindet Sie mit Afrika? Was hat Sie zu der Reise inspiriert?

Mike Schlaich: Mein Interesse an Afrika gründet sich auf verschiedene, frühere Reisen zuerst als Student, und Rucksackreisender und später als praktizierender und an der TU Berlin lehrender Bauingenieur, der sich ein Bild vom Bauen in Afrika machen wollte. 

Mein Wunsch bei Reiseantritt war, nicht nur möglichst viele KollegInnen an Universitäten zu besuchen, um mich über den Stand der dortigen Lehre zu informieren, sondern auch einen Eindruck über die vorherrschenden Bauformen, gängigen Materialien und die zukünftigen Bedürfnisse dieses riesigen Kontinents zu verschaffen, was aufgrund der Größe und den unterschiedlichen Klimazonen nur sehr begrenzt möglich ist.

Wir – mein Freund Massimo Canossa, von Beruf ‚tropical agronomist‘ und ich, der Bauschaffende – sind dafür durch zwölf der vierundfünfzig Länder Afrikas gefahren und haben somit `on the road´ hautnah die Vielschichtigkeit der Länder, deren unterschiedlichen, lokalen Baustile und die stark variierenden Standards auf dem Land und in der Stadt, erfahren. 

Um die 150-tägige Reise zu einem informativen und lesens- und wissenswerten Ergebnis zu führen, war die Reise eingebettet in ein Forschungssemester der TU-Berlin. Dies eröffnete die Möglichkeit, das Erfahrende und das in Text und Bildern Festgehaltene im Nachgang intensiv mit Literaturstudien und Recherchen zu untermauern, was zu vielfältigen aktuellen Grafiken und einigem Wissenswertem zum Bauen in Afrika führte.

Während Ihrer Reisen haben Sie von einem erheblichen Bedarf an ‚anständigem und bezahlbarem‘ Wohnraum sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten gehört. Welche Lösungsansätze sehen Sie, um die Wohnsituation zu verbessern?

Mike Schlaich: In Afrika müssen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten unglaubliche Mengen an neuem Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Denn zwischen 2020 und 2050 werden noch rund 1,2 Milliarden Menschen hinzukommen. Schon jetzt hat die Landflucht Megacitys, Ballungsräume wie Kairo, Kinshasa und Lagos, mit mehr als 15 Millionen Einwohnern hervorgebracht. Während meiner Reise hörte ich immer wieder: „We need decent and affordable housing. This is the main challenge for engineers and architects in our country. “

Einfache Lösungen gibt es keine, aber in den Überlegungen, im dritten Teil des Buches, lasse ich dazu Stimmen aus Afrika zu Wort kommen:

Wohnraum zur Verfügung zu stellen ist das Gebot der Zeit, wobei decent and affordable, also, anständig und bezahlbar, von Land zu Land und je nach Bevölkerungsgruppe unterschiedlich definiert werden. Für Menschen, die in einem Slum leben, bedeutet dies etwas völlig anderes als für die Mitglieder der sogenannten Mittelschicht, denen ganz andere finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Decent and affordable wird in der Stadt also ganz anders verstanden als weit draußen auf dem Land.

Auch in Bezug auf Normen und Vorschriften sowie Bodenrechte muss ganz klar unterschieden werden zwischen Bauen auf dem Land und in der Stadt. Die westlichen Modelle für das Bauen lassen sich zwar auf die Städte übertragen, können dort sogar nötig sein, aber sie führen dazu, dass es von der Entscheidung zu bauen über die Planung bis zur Umsetzung sehr lange dauert. 

Das Bauen auf dem Land, wo die Gesellschaft oft noch in traditionellen Strukturen verankert ist, wird völlig anders verwaltet und hier spielt gesellschaftliches Eigentum eine große Rolle. Entscheidungen werden auf kurzem Wege getroffen, und gebaut wird oft gemeinsam. Diese Tradition steht im Kontrast, vielleicht sogar im Konflikt, mit den Richtlinien und Prozessen der Siedlungsplanung im städtischen Raum. 

Welche lokalen Baumaterialien und Bautechniken haben Sie entdeckt, die besonders nachhaltig und ressourcenschonend sind?

Mike Schlaich: Vorweg die Feststellung, dass eine Reise durch Afrika durch konstant extreme Gegensätze zwischen Reichtum und Armut, Moderne und Tradition, purer Natur und wilden Müllkippen führt.

Ein vielversprechender Ansatz ist es, die traditionellen Bauweisen, wie man sie vor allem auf dem Land findet, wo man mit Materialien wie Lehm, gebrannten Ziegeln, Stroh und lokalen Harthölzern baut, neu zu interpretieren, um damit zeitgemäße Standards zu erreichen und kulturelle Identität mit guter Architektur sichtbar zu machen.

Doch auch auszumachen ist, dass besonders dort in unserem Sinne natürlicher und nachhaltiger gebaut wird und Materialien wiederverwendet werden, wo wenig Geld vorhanden ist. Sobald jedoch viel Budget und ausländische Geldgeber (die mit ihren eigenen Baufirmen im Land vertreten sind) beteiligt sind, findet man nur noch die modernen Baustoffe wie Beton und Stahl. Bauten sind eben auch dort viel zu oft Statussymbole.

Ein wichtiger lokaler Baustoff scheint mir Bims zu sein, der im ostafrikanischen Grabenbruch im Überfluss vorhanden ist. Ein Doktorand aus Äthiopien untersucht an unserem Lehrstuhl wo in seiner Heimat wirtschaftlich und nachhaltig mit Bimsbeton bauen könnte.

In vielen afrikanischen Ländern wird häufig Beton verwendet und es existieren zahlreiche Zementwerke. Warum kann das Entwerfen und Konstruieren mit Beton als ein wichtiger Beitrag zum umweltverträglichen Bauen in Afrika angesehen werden?

Mike Schlaich: Vor allem dann, wenn sich zementsparendes Bauen durchsetzt und Alternativen zu den Zuschlagsstoffen von Beton gefunden werden. 

Beginnen wir beim Beton: Dieser besteht aus Zement, Wasser und Zuschlagstoffen. Da letztere sehr knapp werden, sucht und forscht man in vielen wüstenreichen Ländern nach Alternativen zu Kies, Schotter und Sand. 

Wüstensand, der überall in Afrika im Überfluss zur Verfügung steht, ist grundsätzlich als Zuschlagstoff für Beton geeignet. Ist er zu fein, muss er allerdings mit gröberen Gesteinskörnungen gemischt werden, um die passende Sieblinie, das für Beton nötige Korngemisch, zu erreichen. Vor dem Einsatz als Zuschlagstoff muss Wüstensand eventuell entsalzt werden. Wüstensand kann aber auch weiterverarbeitet werden: Schon unter den Pharaonen wurde durch das Erhitzen von Wüstensand Glas hergestellt. Denn Wüstensand besteht oft aus Quarz, Siliziumoxid (SiO2), dem Hauptbestandteil von Glas. Aus gemahlenem Glas können durch Erhitzen wiederum Schaumglas und Blähglas hergestellt werden. Die zur Herstellung von Glas und Blähglas benötigte Energie kann von der Sonne kommen. Nachhaltig gewonnene Zuschlagstoffe aus Glas und Blähglas in allen möglichen Korngrößen und -formen für die Betonherstellung scheinen also kein Problem zu sein.  

Die Tragwerke im Hochbau müssen in jedem Fall so entworfen werden, dass der Betonverbrauch minimiert wird. Beim wichtigen Punkt der Karbonatisierung soll nicht verschwiegen werden, dass sie dazu führt, dass die heute übliche Stahlbewehrung schneller korrodiert. Deswegen sind für stark carbonatisierende Betone nichtkorrodierende Bewehrungen aus Glas-, Basalt- oder Kohlenstofffasern durchaus sinnvoll. Zumindest Glas und Basalt gibt es im Überfluss. Wieder kann Erneuerbare Sonnenenergie zur Herstellung von Fasern aus diesen Stoffen verwendet werden. 

Entwerfen und Konstruieren mit Beton, bewusst und minimiert verwendet, kann, so wie hier beschrieben, einen wichtigen Beitrag zum umweltverträglichen Bauen in Afrika leisten. 

In Ergänzung zum traditionellen Selbstbau kommt man um Beton nicht herum, aber wir müssen ihn sinnvoll einsetzen und versuchen, ihn aus natürlichen regionalen Vorkommen zu gewinnen. Dann wird er preiswertes, dauerhaftes und nachhaltiges Bauen für viele Menschen ermöglichen. Die Landflucht wird erst zurückgehen, wenn ganzjährig nutzbare Straßen und Brücken der Landbevölkerung Zugang zu Schulen, Märkten und medizinischer Versorgung schaffen.

Der Wohlstand eines Landes hängt mit dem zur Verfügung stehenden Straßen- und Schienennetz zusammen. Mit dem Auto haben Sie eine Strecke von Südafrika bis Ägypten zurückgelegt. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Straßennetz gemacht? Welche Kenntnisse und Schlüsse ziehen Sie daraus?

Mike Schlaich: Wer mit dem Auto in Afrika unterwegs ist, merkt schnell, wie wichtig und gar nicht selbstverständlich asphaltierte und sichere Straßen sind. 80% bis 90% des Transports von Menschen und Gütern in Afrika findet auf der Straße statt, aber 75% der Straßen in Afrika sind unbefestigt und in der Regenzeit oft nicht befahrbar. Mehr als die Hälfte der Landbevölkerung hat keinen Zugang zu ganzjährig befahrbaren Straßen.

Wer keinen guten Zugang zu sicheren Transportwegen hat, hat es schwer, seine Kinder in die Schule zu schicken und zu einem Arzt zu gelangen. Landwirtschaftliche Produkte können die Stadt oder größere Märkte nicht erreichen. Die Abhängigkeit von Subsistenzwirtschaft steigt. Für den Unterhalt der vorhandenen befestigten Straßen fehlt es oft an Geld oder effizienter Verwaltung, um Schäden, die überladene Lastwagen oder Hochwasser in der Regenzeit anrichten, rechtzeitig zu beseitigen.

Die Sterberate auf den Straßen ist gemessen an den dortigen Autos sehr hoch und die Sicherheitsstandards umso geringer.

Natürlich gibt es auch gute Entwicklungen. Zum Beispiel der Straßenbau in Äthiopien und in Ruanda gehören die Straßen sogar zu den besten des afrikanischen Kontinents.

Afrikanische Baufirmen werden immer effizienter. Ägypten hat in nur 10 Jahren rund 3000 km Straßen gebaut.

In Südafrika findet sich mit Abstand das größte und beste Straßennetz des Kontinents. 

Theoretisch kann man heute Afrika von Süden nach Norden auf den asphaltierten Straßen des TAH 1 recht komfortabel durchqueren. Derzeit ist diese Fahrt aber wegen Unruhen und Kriegen in Äthiopien und im Sudan praktisch unmöglich. Viele andere Teile der TAHs sind aber noch nicht fertiggestellt, weswegen, vor allem wegen fehlender Strecken in Zentralafrika, die Querung von Ost nach West schwierig ist und der innerafrikanische Handel gebremst wird. 

In Afrika müssen viele neue Brücken gebaut werden. In Ägypten und Südafrika planen lokale Ingenieurbüros die Brücken, während anderswo häufig auf internationale Expertise zurückgegriffen wird. Welche Beobachtungen haben Sie dazu gemacht? Welche Überlegungen ergeben sich daraus?

Mike Schlaich: Bis heute exportiert Europa Brückenplanung und Brückenbau nach Afrika und trägt dazu bei, den Kontinent zu erschließen. Während zu Kolonialzeiten oft Zwangsarbeiter für den Bau ausgebeutet wurden, unterstützen unsere Exportprodukte heute (hoffentlich) auch die Anstrengungen vor Ort, Fachkräfte zu schulen, Arbeitsplätze zu schaffen und Zugang zu sicheren Transportwegen zu bieten.  

Afrikas derzeit längste Hängebrücke ist mit 680 Metern Spannweite die 2018 fertiggestellte Maputo-Katembe-Brücke in Mosambik. Mit 580 Metern Hauptspannweite wird die gerade im Bau befindliche Msikaba-Brücke in Südafrika die längste Schrägseilbrücke des Kontinents. Die Bloukrans-Brücke hält den Spannweitenrekord für Bogenbrücken, die Brücke des 6. Oktober in Kairo kann mit rund zwanzig Kilometern den Längenrekord für sich verbuchen. 

Südafrika mit seiner langen Geschichte des Brückenbaus hat eine ganze Reihe bemerkenswerter Brückenbauwerke hervorgebracht. Am bekanntesten sind wohl die schönen Großbrücken entlang der Nationalstraße N2 in der Provinz Westkap, allen voran die 1983 fertiggestellte, 450 Meter lange Bloukrans-Brücke von Charles.

„schlaich bergermann partner“ plant auch Solarkraftwerke in Afrika. Welches Potenzial bieten regenerative Energien für den Kontinent, insbesondere im Bauwesen?

Mike Schlaich: Ausgedehnte Wüsten und starke Sonneneinstrahlung auf dem Kontinent bilden die idealen Voraussetzungen, um auf geeignetem Land viel Energie zu ernten und als Elektrizität oder in Form von Wasserstoff zu nutzen.

Ich bin überzeugt davon, dass es bald kein „Energieproblem“ mehr geben wird. Weltweit setzt sich die Erkenntnis durch, dass Erneuerbare Energien aus Sonne, Wind und Wasser kommen müssen, damit Verkehr, Industrie und Heizung umweltfreundlich und preisgünstig möglich werden. Mit Kohle, Öl, Erdgas oder, zumindest meiner Meinung nach, Kernspaltung geht das nicht, und die Kernfusion ist noch Zukunftsmusik. Deshalb kann, ja muss man dafür plädieren, dass schnell und im großen Stil Wüstenstrom aus solarthermischen und Photovoltaik-Kraftwerken (PV) zur Verfügung gestellt wird. In den Wüsten dieser Welt können die großen Energiemengen, die wir alle brauchen, besonders vorteilhaft produziert werden. In den bisher nicht elektrifizierten Gegenden sind PV-Anlagen auch für die dezentrale Stromversorgung ideal. Die Technologien und Transportmöglichkeiten sind vorhanden und erprobt; um die dafür nötigen sicheren Investitionen zu ermöglichen, braucht es aber auch politischen Rückhalt. Der Bau von Solarkraftwerken in Wüstengebieten könnte nicht nur saubere Energie für den Bedarf vor Ort, den Aufbau einer eigenen Wirtschaft und den Export liefern, sondern auch Arbeitsplätze generieren. 

Die Sonne kann in Afrika doppelt Lebensgrundlagen schaffen – ökologisch und wirtschaftlich. 

Das afrikanische Musterland auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien ist derzeit Kenia. Das Land deckt nämlich schon fast 90% seines Stromverbrauches mit Erneuerbaren Energien, indem es neben Solar-, Wind- und Wasserkraft vor allem Geothermie aus dem Rift Valley, dem ostafrikanischen Grabenbruch nutzt. 

In anderen Ländern Afrikas, die ich bereist habe, spielen Solar-, Windkraft und Geothermie praktisch noch keine Rolle. So setzt Angola weiterhin auf seine großen Ölvorkommen, und in Sambia reicht bisher Wasserkraft, wobei 2019 eine Dürre die Leistung des für das Land wichtigen Karibadamms dramatisch reduziert hat. 

In jedem bereisten Land haben Sie Universitäten besucht, die Bauingenieurwesen lehren, und waren im Austausch mit den dortigen Kolleginnen und Kollegen. Was ist Ihnen aufgefallen? Welche Herausforderungen und Lösungsansätze sehen die dort arbeitenden Ingenieure, um die Zukunftsaufgabe zu lösen?

Mike Schlaich: Bei Universitätsbesuchen muss man sich in einem schwer durchschaubaren Dickicht akademischer Institutionen, Ränge und Grade zurechtfinden, die in den Ländern, die ich besucht habe, eher im englischen, ‚angelsächsischen‘ Sprachraum beheimatet sind.

In den USA und Großbritannien, aber auch in Japan wird streng zwischen ‚civil and structural engineers‘ unterschieden. Erstere planen Infrastrukturbauten wie Straßen, Hafenanlagen, Tunnel und Brücken, während zweitere für die Tragwerke von Hochbauten in Zusammenarbeit mit Architekten verantwortlich sind. Der deutsche Begriff Bauingenieur deckt ‚civil‘ und ‚structural‘ ab. In Deutschland wird man wie in der Schweiz und in Österreich zum Generalisten unter den Ingenieuren ausgebildet und kann nach dem Studium überall auf der Welt und in vielen Metiers tätig werden. In Afrika scheint das auch so zu sein. Der Begriff ‚civil engineer‘ wird in den Ländern, die ich besucht habe, wie unser ‚Bauingenieur‘ verwendet.

An den Universitäten, die ich besucht habe, findet man meist ein ‚College‘, eine ‚School‘ oder eine ‚Faculty of Engineering‘, unter denen ‚Departments‘ für verschiedene Ingenieurdisziplinen wie ein ‚Department of Civil Engineering‘ angeordnet sind. Der ‚Faculty‘ steht ein ‚Dean‘ vor, und das jeweilige Department wird von einem ‚Head of Department‘ (HOD) oder ‚Chairman‘ geleitet. 

Die akademischen Grade, die im Bauingenieurwesen erteilt werden, sind im Allgemeinen Bachelor (Bsc.), Master (Msc.) und der ‚Doctor of Philosophy‘ (PhD), der unserem Doktorgrad entspricht. Ein ‚diploma‘ wird fast nur bei Bildungsabschlüssen unterhalb oder außerhalb der universitären Studienabschlüsse, wie für den Abschluss einer Berufsausbildung (vocational training) verliehen. Das deutsche System der dualen Lehrausbildung gibt es in vielen Ländern nicht. Oft lernt man seinen Beruf über learning by doing auf der Baustelle. In Namibia werden allerdings Handwerker an Vocational Training Centres (VTC) ausgebildet.

Das berufsbefähigende Bachelorstudium im Bauingenieurwesen (undergraduate) dauert in der Regel vier bis fünf Jahre. In Ländern wie Sambia, Tansania und Uganda wird eine sogenanntes A-level-Jahr vorgeschaltet, in dem die Kandidaten auf das Studium vorbereitet werden. Die Schwerpunkte in der Lehre spiegeln die Notwendigkeiten im Infrastrukturbau und auch die vorhandene Expertise der Lehrenden wider. Neben Grundlagenfächern, wie Mathematik, Mechanik und Statik, werden an nahezu allen Universitäten die klassischen Themen Straßenbau (befestigte und unbefestigte Wege), Geotechnik und Bergbau, konstruktiver Wasserbau und Siedlungswasserbau gelehrt. 

Masterstudiengänge (postgraduate), die aber längst nicht von allen Universitäten angeboten werden, sind auf zwei Jahre ausgelegt. Sie sind im Vergleich zum deutschen Master im Bauingenieurwesen stark forschungsbezogen. Vorlesungen machen oft weniger als ein Drittel des Masterstudiums aus. Masterstudiengänge sind deshalb selten, weil es an Einrichtungen, Geld für teure Forschungsaktivitäten und Lehrpersonal mit Erfahrung mangelt. Wo angeboten, wird das Masterstudium, das je nach Universität zwischen 2.000 und 3.500 €/Semester kostet, meist neben dem Beruf in Abendkursen absolviert. Viel Zeit für Forschung bleibt diesen ‚evening students‘ deshalb nicht, weswegen der Abschluss mit der Masterarbeit (dissertation) oft deutlich länger als zwei Jahre dauert. Im Gegensatz dazu überwiegen im deutschen Masterstudium, zumindest bei den Bauingenieuren an der TU Berlin, vertiefende Vorlesungen, Seminare und praktische Übungen. Die üblicherweise forschungsbezogene Masterarbeit steuert nur 25% der zu erreichenden Leistungspunkte bei. 

Die Lehre wird von ‚lecturers‘, ‚senior lecturers‘, ‚associate professors‘, manchmal auch ‚assistant professors‘ und schließlich, ganz oben in der Hierachie angesiedelt, den ‚full professors‘ bestritten. Letztere hat längst nicht jeder Studiengang des Bauingenieurwesens zu bieten. An manchen Universitäten wird die gesamte Lehre von lecturers mit Masterabschluss bestritten, die pro Woche bis zu 24 Stunden Vorlesung zu halten haben. Wer neben so vielen Stunden Lehre noch Vor- und Nachbereitung und die Prüfungen zu schultern hat, wird wenig Energie für Forschung übrighaben. 

Die Universitäten, die ich besucht habe, haben ausnahmslos Kontakte ins Ausland aufgebaut, oft nach Europa, aber auch in die USA, nach Indien oder China. Innerhalb Afrikas scheinen die Universitäten deutlich weniger Kontakt zu haben. 

Ein Studium oder eine Promotion in Europa ist für die, die reüssieren wollen, weiterhin förderlich. Viele Professoren, die ich getroffen habe, können darauf verweisen. Vom Promotionsort bringt man auch sein Wissen zurück, und es erstaunt nicht, dass der Lehrstoff und die Normen aus dem Ausland oft mehr oder weniger unverändert übernommen werden. Außer in Südafrika und Ägypten gibt es praktisch keine nationalen Normen, sondern es werden vorhandene, wie die Eurocodes, die amerikanische AASHTO oder British Standards verwendet. Die Anpassung dieser Normen an die lokalen Randbedingungen oder die Entwicklung eigener Normen ist zeitaufwändig und kostspielig. Die direkte Übernahme von Normen kann aber auch hohe Kosten verursachen, wenn deren Annahmen aus anderen Klimazonen und Arbeitsmärkten sowie hohe Komfort- und Sicherheitsstandards, die das Bauen teuer und ressourcenintensiv machen, nicht hinterfragt werden. 

Der Austausch und Dialog zwischen den Universitäten ist wichtig und wir sollten das Angebot von Studium und Promotionsmöglichkeiten ausweiten. Das Erfahrene muss dann selbstbewusst und kritisch hinterfragt werden und nicht nur exportiert werden.

Welche Überlegungen für das Bauingenieurwesen in Afrika ergeben sich durch Ihre Reise und durch den Austausch mit den dort arbeitenden Kollegen?

Mike Schlaich: Afrikanische Kollegen sind überzeugt, dass von außen kommende Projekte, ohne Knowhow-Transfer, und nur mit importierten Arbeitskräften und Materialien, in Afrika keine Chance haben.

Der Antrieb, etwas zu tun, sollte aus Afrika stammen, und meiner Ansicht nach sollten auch die Lösungen für den Wohnungsbau in Afrika entwickelt werden. Es gibt dort mittlerweile hervorragende Bauingenieure und Architekten. Wir können uns im fachlichen Dialog einbringen und voreinander lernen, aber der Ruck muss von ihnen selbst kommen und die Verantwortung bei Ihnen bleiben. 

Welche Erlebnisse auf dieser Reise beschäftigen Sie noch heute? Wie beeinflussen diese Ihre Lehrtätigkeit an der Universität?

Mike Schlaich: Für Afrika brechen nun Jahrzehnte großer Bauaktivitäten an. Für die vielen hundert Millionen Menschen, die in den nächsten Jahrzehnten in Afrika geboren werden, müssen dringend Häuser, Straßen und Brücken gebaut werden. Die Bauingenieure zur Lösung dieser Aufgaben werden gerade ausgebildet. Sie werden sich besonders mit Fragen der Nachhaltigkeit beschäftigen müssen. Nur in meinen Reiseländern Südafrika und Ruanda gibt es derzeit einen verpflichtenden ‚building energy code‘. In Europa dagegen sind solche Normen mittlerweile Standard. Wenn in Deutschland Professuren im Bauingenieurwesen neu besetzt werden, sind deren Schwerpunkte immer öfter additive Fertigung, Digitalisierung, modulares Bauen und auch Leichtbau, und die Titel der Professuren werden um Adjektive wie ressourcenschonend, nachhaltig, zirkulär, klimagerecht, ökologisch, resilient oder umweltverträglich erweitert. Auch wenn gelegentlich ‚green washing‘ im Spiel ist, so versucht man mittlerweile doch in Lehre und Forschung ernsthaft auf Fragen der Nachhaltigkeit und des Klimawandels einzugehen. Die Fehler der letzten Jahrzehnte, die wir im Bauwesen gemacht haben, führen erst allmählich zu einem (zu) späten Umsteuern. 

Mich treibt die Frage um, ob das afrikanische Bauingenieurwesen ressourcenverschwendendes, umweltbelastendes und baukulturell wertloses Bauen vermeiden können wird. Gewiss, an vielen afrikanischen Universitäten fehlt es an Geld für teure Labore, Großcomputer und 3D-Drucker, um nachhaltiges Bauen in der Forschung anzugehen. Ich habe auch wenige Bauingenieure getroffen, die sich mit Fragen der Baukultur – sie ist von Kosten unabhängig – beschäftigen, mit Tragwerken, die auch formal einen Beitrag zur Lebensqualität leisten können. Diskurse zum nachhaltigen Bauen, die Entwicklung bauphysikalisch sinnvoller und materialminimierter Bauten, die Verwendung lokaler und reichlich vorhandener natürlicher Werkstoffe zur industriellen Verwendung oder zur Übersetzung traditioneller Bauweisen in die heutige Zeit sind derzeit praktisch noch keine Forschungsthemen oder Teil der Lehre. 

Auf den Punkt gebracht: In einer ähnlichen Situation wie vor über fünfzig Jahren die Architektur in Europa sehe ich das Bauingenieurwesen in vielen Ländern Afrikas heute. 

Können die afrikanischen Bauingenieure aus ihrem Kontext, den Wüsten und den Regenwäldern, den schneebedeckten Bergen und den Küsten mit ihren jeweiligen Klimata, Böden, Materialien und Bautraditionen eine eigene Ingenieur-Baukultur ableiten? Ich rede nicht von einem ‚truely African civil engineering‘ Stil. So etwas gab und gibt es im Bauingenieurwesen weder in Deutschland noch anderwo. Aber könnte ein Sprung zum ‚day after tomorrow‘ nicht auch die Fehler, die wir gemacht haben, überspringen? Könnte das neue afrikanische Bauingenieurwesen nicht gleich dort beginnen, wo es um ressourcenschonende Tragwerke aus lokalen und regionalen Baustoffen geht? Für deren Herstellung saubere und unerschöpfliche Sonnenenergie verwendet wird? Kann die neue Generation dies schaffen, und kann man sie dabei unterstützen? Diese Fragen beschäftigen mich immer mehr nach meiner Reise.

Was mich zuversichtlich stimmt: Afrika verfügt über alle Möglichkeiten das fossile Zeitalter zu überspringen. 

Vielen Dank für das Gespräch.