13. November 2024

Onlineprojekt macht Architektinnen im Sozialismus sichtbar

Das Haus der Kultur und Bildung in Neubrandenburg. Entworfen wurde es von der Berliner Architektin Iris Grund und von 1963 bis 1965 errichtet. Foto: B. Karl

Kassel (pm) – Monotone Bauten aus grauem Beton als Kulisse eines tristen Alltags – ein stereotypes Bild der Architektur im Sozialismus. Dass auch hier große Bauten geschaffen wurden, wissen nur wenige. Dass an vielen Bauten Frauen beteiligt waren: noch weniger. Das Forschungsprojekt „Zweite Welt, Zweites Geschlecht: Frauen und Architektur im Sozialismus“ an der Universität Kassel soll das nun ändern.

Entstehen soll ein Online-Repository zu Architektinnen, die in sozialistischen Ländern arbeiteten. „Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich um eine Art Datenbank. Jedoch geht unsere Idee über eine reine Sammlung von kurzen Beschreibungen hinaus. Vielmehr soll ein breites Spektrum an Informationen zusammengetragen werden können: Enzyklopädie- Einträge, Essays, Fotos, Pläne, Zeichnungen, Publikationsscans und vieles mehr“, erläutert Prof. Dr. Alla Vronskaya vom Fachgebiet Geschichte und Theorie der Architektur der Universität Kassel und Leiterin des Projekts. „Ein wichtiger Aspekt ist die Rubrik „Architects in their own words“. Architektinnen, Gestalterinnen und Planerinnen werden hier persönlich zu Wort kommen. Die Sammlung umfasst Gespräche zwischen Zeitzeuginnen und Forschenden aus verschiedenen Ländern.“

Der räumliche Fokus dieses Projekts definiert sich stärker über den ökonomischen als politischen Rahmen. Bedeutet, neben den Mitgliedern des Warschauer Pakts werden auch andere staatssozialistische Länder, wie beispielsweise China und Jugoslawien erfasst. Zusätzlich zum Geschlecht werden auch andere Gründe für die fehlende Wahrnehmung der Architektinnen wie Ethnie oder Herkunftsregion berücksichtigt.

Im Osten nichts Neues?

Ein Problem für die Sichtbarkeit von Architektinnen und Architekten aus sozialistischen Staaten ist der westliche Blick. „Während des Kalten Krieges war die weitverbreitete Annahme unter Kunsthistorikern, dass es im Osten keine Architektur gab. Das lag zum einen an ideologischen Stereotypen, zum anderen an der patriarchalischen modernen Vorstellung von Architektur. Sie ist verbunden mit der mythischen Figur des Genies, das aus freien Stücken herausragende Meisterwerke, meist einzelne Villen, schafft. Kollektive und oft anonyme architektonische Planungen innerhalb riesiger staatlicher Büros in sozialistischen Ländern, die meist mit standardisierten Konstruktionen beschäftigt waren, schienen unendlich weit von diesem Ideal entfernt“, erläutert Prof. Vronskaya.

Alle sind gleich, aber man(n)che sind gleicher

Weiterhin problematisch ist, dass Architektur bis in die Gegenwart von Männern dominiert wird. Mehr als die Hälfte der heutigen Absolventen und Absolventinnen der Architektur sind weiblich. Jedoch machen sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt nur 30% der Architekturschaffenden aus. In den Ländern, die sich dem Sozialismus verschrieben hatten, sah es nicht viel besser aus: obwohl dort deutlich mehr Frauen als Architekten arbeiteten, konnten sie nur selten Führungspositionen erreichen und prestigeträchtige Aufträge erhalten. Zwar war eine Errungenschaft der sozialistischen Revolution die Gleichberechtigung von Mann und Frau: Von einer Gleichbehandlung konnte jedoch nicht gesprochen werden. „Eine Folge war die Doppelbelastung für die Frau. Neben dem eigenen Beruf blieb die Kindererziehung meist ihre Aufgabe. Auch hielten sich traditionelle Rollenbilder. Frauen sollten früh Nachwuchs bekommen und das Ziel einer großen Karriere wurde eher negativ gesehen. Ganz zu schweigen davon, dass ihnen aufgrund des Geschlechts Leitungspositionen nicht zugetraut wurden.“

Gefördert wird das Projekt vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst mit 63.000€ und hat eine Laufzeit von 18 Monaten. Neben der Projektleiterin Prof. Dr. Alla Vronskaya gehören Prof. Dr. Tijana Vujosevic (externe Kollaboration, University of British Columbia), Constanze Kummer (wissenschaftliche Mitarbeiterin), Benjamin Eckel (wissenschaftlicher Mitarbeiter) zum Team.

Pressemitteilung: Universität Kassel