24. April 2024

Neubauten via Satelliten erfassen

Der Bausektor in Deutschland boomt. Um bundesweit den Überblick zu bewahren, das amtliche Liegenschaftskataster aktuell zu halten und die Vermessungsämter zu entlasten, wird nach neuen Methoden zur automatisierten Erkennung des Baufortschritts gesucht. Eine Forschungsgruppe um HM-Professor Andreas Schmitt zeigt, wie sich auf Basis von freien Satellitenbildern Neubauten flächendeckend wochengenau visualisieren lassen.

Satellitenfotos von Sentinel-1 (links) und Sentinel-2 (rechts) des erforschten Testgebiets – bereits nach der neuartigen Methode aufbereitet: Gebäude stechen hell heraus (Fotos: Sentinel-Daten ©ESA 2020)

München (pm) – Deutschlandweit sprießen die Neubauten – vorwiegend Wohnimmobilien – förmlich aus dem Boden. Geschuldet ist dieser Trend der positiven wirtschaftlichen Lage sowie der Niedrigzinspolitik der vergangenen Jahre.

Die steigende Anzahl an Baugenehmigungen bedeutet automatisch auch eine wachsende Arbeitsbelastung für die Vermessungsämter, die ein Gebäude nach seiner Fertigstellung exakt einmessen und alle Daten in das amtliche Liegenschaftskataster übertragen müssen.

Schritthaltende Baufallerkundung

Zur Entlastung der Vermessungsämter – und um stets den Überblick über alle Flurstücke und Gebäude zu behalten – hat Prof. Dr. Andreas Schmitt eine neue Methode zur Untersuchung von Bauaktivitäten erforscht: die schritthaltende Baufallerkundung mit Satellitenaufnahmen aus dem All. Unterstützt wurde er dabei von der Geoinformatikstudentin Lea Schollerer, dem Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung in Landau an der Isar sowie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Grundlage für die neuartige Baufallerkundung bilden Zeitreihen aus kostenfrei und öffentlich zugänglichen Bildern der Satelliten Sentinel-1 und Sentinel-2 des Europäischen Copernicus-Programms. Betrachtet wurden aktive und passive Aufnahmen im Zeitraum zwischen Anfang Oktober 2019 und Ende November 2020.

Der Sentinel-1 Satellit trägt einen Radarsensor, wodurch er wetterunabhängig Bilder liefern kann, diese jedoch eher unscharf. Die Sentinel-2 Aufnahmen wirken wie von einer Kamera fotografiert, gelingen jedoch nur bei wolkenlosem Himmel.

Auflösung schärfen, Zeitverlauf verstärken

„Knackpunkt ist die räumliche Auflösung der verwendeten Satellitenbilder“, erklärt Schmitt. Denn für gewöhnlich erkennt man auf den Aufnahmen erst Bauten über 20 Meter Gebäudelänge. Wohnhäuser sind in der Regel jedoch kleiner.

„Mittels moderner Signalverarbeitungsmethoden sowie einer geschickten optischen und zeitlichen Kombination der unterschiedlichen Kanäle der Aufnahmen ist es uns jedoch gelungen, die Neubauten im wöchentlichen Rhythmus zu erfassen“, ergänzt Schollerer. Entstanden ist ein spektraler Index, der die Gebäude im Bild deutlich hervorstechen lässt. Die Kombination der einzelnen Aufnahmezeitpunkte erfolgte mithilfe eines sogenannten Wavelet-Ansatzes, der das Bild schärft sowie zeitliche Veränderungen verstärkt.

Abgleich mit der Realität

Als Testgebiet wurde aufgrund der hohen Bautätigkeit ein Gebiet am nordöstlichen Rand der Stadt Dingolfing in Niederbayern gewählt, in dem im Betrachtungszeitraum 38 neue Gebäude errichtet wurden. Das Untersuchungsgebiet umfasst neben einer Neubausiedlung und einer älteren Bestandssiedlung noch landwirtschaftlich genutzte Flächen. Der Abgleich mit der Realität – also mit den Ergebnissen von vor Ort gesammelten Eigentümerangaben – zeigte, dass mit dem verwendeten Berechnungs-Prototyp von 38 Neubauten 34 sicher erkannt wurden. Auch das Abbilden einzelner Bauabschnitte – etwa das Gießen der Bodenplatte oder das Errichten des Rohbaus – ist möglich.

Dazu Schollerer: „Unsere Methodik ist darauf ausgerichtet, in naher Zukunft in einen flächendeckenden Baufallerkundungsservice umgesetzt zu werden.“ Aufgrund der hohen Genauigkeit und des kostenfreien Datenzugangs kann der Ansatz leicht auf ganz Bayern, Deutschland und angrenzende Länder übertragen werden.

 

Prof. Dr. Andreas Schmitt
Andreas Schmitt ist seit 2016 Professor für Angewandte Geodäsie an der Fakultät für Geoinformation der Hochschule München. Zuvor dissertierte er in der Radarfernerkundung, war Gastwissenschaftler am Canada Centre for Remote Sensing in Ottawa und forschte am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen. Neben seiner HM-Professur ist Schmitt heute am Institut für Anwendungen des maschinellen Lernens und intelligenter Systeme der Hochschule München tätig. Seine Forschungsbereiche umfassen u. a. Ausgleichsrechnung, Fernerkundung und Geostatistik.

Pressemitteilung: Hochschule München