
Dübendorf, St. Gallen und Thun (pm) – Der ETH-Rat hat Matthias Sulzer zum Direktionsmitglied der Empa ernannt. Seit Januar 2025 leitet Sulzer das Empa-Departement Ingenieurwissenschaften und beschäftigt sich mit der ganzen Palette der Materialien und Technologien für die gebaute Umwelt. Der ausgebildete Ingenieur ist überzeugt, dass Forschung und Industrie gegenseitig voneinander profitieren – ein Grundsatz, den er in seiner Karriere in beiden «Welten» stets gelebt hat. Der wahre Schlüssel zum Erfolg sind für ihn aber die Menschen.
Strukturiert, aufgeräumt, ästhetisch: Hier ist ein visueller Mensch zuhause, merkt man im Büro von Matthias Sulzer. Ein handgezeichnetes Poster zeigt die Schritte der Strategieentwicklung auf: Eine Strasse windet sich einen Berg hoch, Wegweiser markieren die wichtigsten Meilensteine. «Ich zeichne Probleme gerne auf, auch als Diskussionsgrundlage», sagt der Forscher und Ingenieur. Diskussionen und Besprechungen gehören in seiner neuen Rolle zum Alltag: Seit dem 1. Januar 2025 leitet Sulzer das Empa-Departement Ingenieurwissenschaften.
Sein Weg dorthin war ebenso gewunden wie die metaphorische Strasse auf besagtem Poster. Die erste Berührung mit der Empa hatte Sulzer genau 30 Jahre zuvor, während seiner Bachelorarbeit. «Es ging um die thermische Modellierung von Wärmespeichern», erinnert er sich. Die Forschung an Energiesystemen würde Sulzer durch seine gesamte eher untypische Karriere begleiten – obwohl sein Hauptinteresse lange Zeit nicht der akademischen Welt galt.
Anwendung trifft Forschung
Schon als Schüler war Sulzer ein Praktiker. Sein Vater war ebenfalls Ingenieur und vermittelte seinem Sohn die Liebe zu Mathematik und Technik. Sulzer machte eine Lehre als Lüftungsplaner und schrieb sich danach an der Fachhochschule für ein Ingenieursstudium ein, ermutigt durch seinen Lehrmeister. Die Freude am Lernen, in Kombination mit seiner unternehmerischen Ader, führte ihn danach an die australische «University of New South Wales» für einen Master in Business Administration mit Vertiefung in «Energy Economics».
«Australien war damals führend auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien, und die Uni war sehr international», erinnert sich Sulzer. Diese Erfahrungen prägten ihn, als er wenig später mit zwei Partnern eine Firma gründete. Was als traditionelles Gebäudetechnik-Unternehmen begann, entwickelte sich unter seiner Leitung schnell zu einem Innovationsführer auf dem Gebiet der Energiesysteme. Der Schlüssel zum Erfolg: Forschung. Denn zeitgleich mit der Firmengründung bekam Sulzer einen Forschungsauftrag an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur.
Dank dieser Doppelrolle konnte er die Brücke in beide Richtungen schlagen: Innovative Anwendungen und angewandte Forschung gaben sich die Hand. Neuartige Fernwärmenetze, Hydrauliksysteme für Wasserkraftwerke, Anlagen für die chemische Industrie – als CEO stellte sich Sulzer gerne den unterschiedlichsten Herausforderungen. Es folgten prominente Projekte, darunter etwa das Anergie-Netz am ETH-Campus Hönggerberg oder die Entwicklung, Planung und Bau der Gebäudetechnik der hochalpinen Monte-Rosa-Hütte.
2017 nahm sein Karriereweg die nächste Windung: Mit seinen Partnern brachte Sulzer das Unternehmen an die Börse und beschloss, sich von nun an voll und ganz der Forschung zuzuwenden – an der Empa. Der Ingenieur stiess als Senior Researcher zum «Urban Energy Systems Lab» und übernahm die Leitung des institutionsübergreifenden schweizweiten Kompetenzzentrums «Swiss Competence Centre for Energy Research: Future Energy Efficient Buildings and Districts» (SCCER FEEB&D).
Im akademischen Umfeld fühlte sich der Industrieabgänger schnell wohl. «Die Empa verbindet exzellente Forschung mit dem Wissenstransfer in die Industrie», sagt er – ein Brückenschlag ganz nach seinem Herzen, das sowohl für die Forschung als auch für die Ingenieurskunst schlägt.
Forschen und Bauen fürs Klima
Die gebaute Umwelt hat einen enormen Einfluss auf Klima und Umwelt. «95 Prozent aller menschengemachter Materialien, die ein urbanes Gebiet verbraucht, fliessen in die Bauindustrie», so Sulzer. Sein Forschungsdepartement an der Empa begegnet dem Klimawandel dreifach: durch Dekarbonisierung von Energiesystemen, einen geschlossenen Materialkreislauf sowie durch die Forschungsinitiative «Mining the Atmosphere», die atmosphärischen Kohlenstoff als Rohstoff wiederverwenden und -verwerten will.
Das Innovationspotenzial ist entsprechend gross. Besonders interessant findet Sulzer, dass sein Departement die gesamte Palette der Empa-Vision abdeckt: Materialien und Technologien für eine nachhaltige Zukunft. Dabei geht die Forschung am Departement über die Entwicklung nachhaltiger Baustoffe und -technologien hinaus. «Wir forschen auch an innovativen Lösungen in der Robotik, der experimentellen Kontinuumsmechanik und dem Maschinenbau, mit Anwendungen in diversen Bereichen. So entwickeln wir im Labor für Nachhaltige Robotik beispielsweise Drohnen für autonome Reparaturen an Infrastrukturen und das Umweltmonitoring. Die experimentelle Kontinuumsmechanik liefert grundlegende Erkenntnisse für die Entwicklung und den Einsatz neuer Materialien mit verbesserten Eigenschaften, zum Beispiel in der Medizintechnik. Das Labor ‹Mechanical Systems Engineering› konzentriert sich auf die Optimierung von metallischen Werkstoffen, Kunststoffen und Verbundwerkstoffen für eine breite Palette von Anwendungen.», erläutert Sulzer. «Und das auf ganz unterschiedlichen Skalen, angefangen bei Molekülen und chemischen Wechselwirkungen bis hin zu nationalen und internationalen Analysen von Infrastrukturen und Energiesystemen.»
1 + 1 = 3
Um das Departement, die Empa, und die Schweizer Forschungslandschaft als Ganzes für die Zukunft zu rüsten, braucht es gemäss Matthias Sulzer vor allem eines: Menschen. «Unsere wichtigste Aufgabe ist es, die nächste Generation von Forschenden auszubilden», ist er überzeugt. Seine Rolle sieht er dabei als Ermöglicher wissenschaftlicher Exzellenz: «Ich will Räume schaffen, die den Forschenden optimale Voraussetzungen für ihre Arbeit bieten», sagt er. Dazu zählt für ihn auch die inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit, die sogenannte ‹Team Science›. «Forschende werden durch die klassische akademische Laufbahn zur individuellen Exzellenz trainiert», so Sulzer. «Das ist wichtig und richtig. Mein Ziel ist es, diese exzellenten Forscher dann so in ein Team zu integrieren, dass 1 + 1 nicht nur 2 ergibt, sondern 3 – ein echter Mehrwert. Dies gilt besonders in interdisziplinären Projekten, wie zum Beispiel die Entwicklung biokompatibler Materialien für medizinische Implantate, wo die Zusammenarbeit von Ingenieuren, Materialwissenschaftlerinnen und Medizintechnikern zu innovativen Lösungen führt.»
Das Zusammenstellen und Führen schlagkräftiger Teams sieht er als die grösste Herausforderung und den roten Faden durch seine eigene Laufbahn. Führung ist für ihn keine reine Talentsache: Noch wichtiger sind das richtige Handwerk und die Erfahrung, die Sulzer als eine Art Leadership-Klaviatur versinnbildlicht, die mit der Zeit immer mehr spielbare Tasten bekommt.
Seine Freizeit verbringt der Departementsleiter allerdings nicht mit Klavier spielen, sondern mit Klettern – am liebsten in der Natur – und mit Segeln auf dem Mittelmeer. Seit seine erwachsenen Kinder ausgezogen sind, geniesst der Familienvater auch die Zweisamkeit mit seiner Frau. Als Ausgleich zum intensiven Job des Departementsleiters hat sich Sulzer zudem einen kleinen Raum für die Forschung freigehalten: am «Lawrence Berkeley National Laboratory» in den USA, das er einmal pro Jahr als Gastforscher besucht. Auch hier kann der Ingenieur nicht anders, als Brücken zu bauen: «Die ‹Energy Technology Area› am Berkeley Lab hat eine ähnliche Ausrichtung wie das Departement ‹Ingenieurwissenschaften› der Empa – das führt zu einem sehr fruchtbaren Austausch», sagt er.
Werdegang
Matthias Sulzer studierte Gebäudetechnik an der Hochschule Luzern, mit einem anschliessenden Master in Business Administration (MBA) mit Vertiefung in Energiewirtschaft an der «University of New South Wales» in Sydney, Australien. Nach seiner Rückkehr in der Schweiz gründete er mit zwei Partnern eine Unternehmensgruppe im Bereich Energie- und Gebäudetechnik, die er erfolgreich an die Börse brachte. Nebenberuflich war an der Hochschule Luzern tätig, wo er sich in verschiedenen Forschungsprojekten engagierte und dabei den Professorentitel erlangte. 2017 kam Sulzer als leitender Wissenschaftler an das «Urban Energy System Lab» der Empa. Seit Januar 2025 leitet er das Empa-Departement Ingenieurwissenschaften.
Quelle: empa