27. April 2024

Interview mit Håvard Haukeland: „Spacemaker zu führen ist dem Architektendasein sehr ähnlich.”

Spacemaker ist eine intuitive, kollaborative, cloudbasierte KI-Software, mit der Architekten, Stadtplaner und Immobilienentwickler qualitativ hochwertige Projektvorschläge erstellen können, um die bestmöglichen Entscheidungen in der frühen Phase von Planungsprozessen zu treffen. Die Software ist inzwischen eine Marke von Autodesk. Im Interview erklärt Håvard Haukeland, Spacemaker-Mitgründer und Senior Director bei Autodesk, wie Spacemaker die Wertschöpfungskette von frühen Bauprozessen vereinfacht und was Architektur und Softwareentwicklung gemein haben.

 

Håvard Haukeland, Spacemaker Co-Founder und Senior Director bei Autodesk © Spacemaker

 

Herr Haukeland, erzählen Sie uns etwas über Ihren beruflichen Hintergrund – wo und womit haben Sie gearbeitet und welche Erfahrungen haben Sie vor der Gründung von Spacemaker gesammelt?

Als Architekt war ich in einigen Unternehmen tätig, von Zwei-Personen-Firmen zu großen Konzernen mit Hunderten von Mitarbeitern, darunter z.B. Link Arkitektur, eines der größten Architekturbüros in Skandinavien. Einzelne Gebäude habe ich ebenso mitentwickelt wie große Quartiere mit tausenden Wohnungen. In der Regel war ich vor allem in der frühen Planungsphase tätig, also bei Konzeption und Design – Phasen, in denen heute Spacemaker vornehmlich zum Einsatz kommt, z.B. im Rahmen von Machbarkeitsstudien oder der Grundstücksakquise.

Hatten Sie bestimmte Interessen oder Schwerpunkte, z. B. Technologie, Prozesse, Nachhaltigkeit usw.?

Interessanterweise war ich nie besonders an Technik interessiert. Zumindest nicht mehr als der Durchschnitt. Ich habe noch nie eine Zeile Code geschrieben. Heutzutage gibt es einen Haufen Architekten, die Python-Kurse belegen und lernen, wie man programmiert. Ich habe derweil nicht einmal die fortgeschrittenen Architektur-Tools wie Grasshopper oder Dynamo benutzt. Was mich interessierte, war die Wertschöpfungskette und wie der Entwickler im Grunde die Baustelle vom Anfang bis zum Ende verfolgt. Was treibt diesen Prozess wirklich voran? Wer kauft ein Grundstück und warum tut er oder sie das? Und wie werden die Häuser wirklich entwickelt? Wenn man die Wertschöpfungskette verfolgt, sieht man viele verschiedene Akteure mit sehr unterschiedlichen Interessen zusammenarbeiten, Kompromisse diskutieren und die Interessen der anderen verstehen müssen. Ich habe zum Beispiel viel Zeit mit Beratern und  Ingenieuren verbracht, z.B. aus den Bereichen Licht oder Akustik. Ich habe versucht, diese Disziplinen zu verstehen, denn nur so kann man überhaupt erst versuchen, den Prozess zu optimieren. So kam es letztendlich zu Spacemaker. Es ist nicht so, dass ich zu Beginn gesagt habe, ich will eine Software entwickeln. Vielmehr habe ich mich gefragt: Wie können wir den Prozess optimieren? Und dann wurde die Software die Lösung.

Was hat Sie an der Wertschöpfungskette besonders interessiert?

Wann Arbeitsabläufe durch konkurrierende Interessen unterbrochen werden. Zum Beispiel, wenn ein Bauträger mit finanziellen Interessen versucht, den Wert des Geländes zu steigern, indem er die Nutzung ändert und versucht, so viel wie möglich hineinzupacken. Das konkurriert mit dem Interesse der Stadt, die ein Bedürfnis nach öffentlichen Räumen hat, oder dass nicht zu viele Schatten auf die Nachbarschaft geworfen werden. In der Regel haben die verschiedenen Interessengruppen nur einen begrenzten Einblick, welche Konsequenzen ihre Entscheidungen tatsächlich haben. Zum Beispiel kann ein Gebäude zur besten Tageszeit Schatten auf einen angrenzenden Spielplatz werfen oder eine Großzahl von Wohnungen wird in Richtung einer Hauptverkehrsstraße gebaut, sodass die späteren Bewohner mit zu viel Lärm zu kämpfen haben. Das sind Probleme, die man isoliert betrachtet einfach lösen kann, aber wenn sie alle zusammen auftreten, wird es komplex und es müssen Kompromisse gefunden werden. Das funktioniert deutlich besser, wenn Arbeitsprozesse transparenter gemacht, Probleme visualisiert und analysiert werden können und man vielleicht sogar, dank Künstlicher Intelligenz, Vorschläge von der Software erhält, wie man es besser machen könnte.

Was hat Sie als Architekt am meisten frustriert in solchen Situationen, sodass Sie dazu inspiriert wurden, 2016 Spacemaker zu gründen?

Als Architekt steht man vor einem Berg endloser Herausforderungen, ohne notwendigerweise die Expertise in den spezifischen Bereichen zu haben. Im Idealfall steckt man tief in der Materie jedes einzelnen Problems drin, aber das dauert ewig. Allein die Ausarbeitung eines Vorschlags, die technischen Zeichnungen oder das Testen von verschiedenen Optionen nehmen jeweils unglaublich viel Zeit in Anspruch. Die tiefgehendere Analyse vieler Faktoren, die die Lebensqualität der Bewohner tatsächlich entscheidend beeinflussen, fällt da oft mehr oder weniger hintenüber, etwa Tageslicht, Lärm oder Wärme. Ich habe viele Stunden damit verbracht, vier oder fünf Lösungen im Rahmen eines Projekts zu testen, was oftmals schon sehr viel ist. Dabei kam ich zu dem Schluss, dass man zu viel besseren Ergebnissen käme, wenn man 50 Varianten testen könnte. Die richtigen Werkzeuge, um all diese Berechnungen schneller und gebündelt durchzuführen, fehlten aber. Das klang nach einer Herausforderung, die sich nur durch Technologie lösen lässt. Also suchte ich nach Unterstützung, um diese Idee umzusetzen. Erst wendete ich mich an Anders Kvåle, den ich von früher kannte und der die relevante Business-Expertise hatte. Er kannte Carl Christensen, der dann die Tech-Expertise einbrachte.

Eines der Probleme, mit denen sich Spacemaker besonders befasst, ist die steigende Baudichte. Inwiefern ist dieses Thema in die Gestaltung der Software mit eingeflossen?

Die Dichte spielt für Bauträger eine Schlüsselrolle, um den Wert eines Grundstücks zu optimieren und die wenigen Flächen, die für den Bau zur Verfügung stehen, finanziell und ökologisch sinnvoll zu nutzen. Im Gegenzug heißt es aber auch oft: Je dichter gebaut wird, desto schlechter ist die Qualität. Das muss nicht mehr zwangsläufig der Fall sein. Ich habe während meiner Arbeit viele Wohnräume gesehen, die man sowohl umstrukturieren und noch dichter hätte bauen als auch gleichzeitig deren Qualität steigern können. Wenn wir also dazu beitragen können, dass noch dichter gebaut und gleichzeitig die Qualität verbessert werden kann, dann werden die Lösungen auch angenommen, denn sie sind für alle Beteiligten von Vorteil. Ein Teil des Problems bei der Arbeit mit so vielen verschiedenen Stakeholdern besteht natürlich darin, dass diese oft auf ihrer jeweiligen Agenda beharren, da Änderungsvorschläge oft nicht greifbar oder nachvollziehbar sind, oder aber die jeweilige Phase extrem in die Länge ziehen. Spacemaker macht es möglich, eine Vielzahl von Alternativen in Minutenschnelle und doch relativ präzise zu untersuchen, was diesen ganzen Prozess extrem auflockert und kollaborativ macht. Wir haben gelernt, dass man die bestmöglichen Lösungen findet, wenn sich alle Entscheidungsträger zusammensetzen und selber unkompliziert eine Vielzahl von Möglichkeiten ausprobieren und analysieren können. Sozusagen ein ergebnisorientierter Testprozess.

 

Einblick in die Spacemaker Software © Spacemaker

 

Wie hat die Branche reagiert, als Sie Spacemaker zum ersten Mal vorgestellt haben? Und speziell Architekten?

Wir dachten ursprünglich, wir bräuchten eine Software, in die man seine Präferenzen eingibt, die rechnet und testet und die optimale Variante ausspuckt, die alle Probleme löst. Das ist jetzt fünf Jahre her. Aber menschliche Expertise kann nun mal nicht einfach von Algorithmen ersetzt werden, besonders wenn es um unsere gebaute Welt geht. Aber Algorithmen können viel Arbeit abnehmen. Unsere  Software hat sich dann doch mehr und mehr in Richtung kollaboratives Gestaltungstool zwischen Mensch und KI entwickelt. Einige Architekten waren zu Beginn frustriert oder beunruhigt, weil sie die Software in gewisser Weise als Konkurrenz betrachteten, die Expertenwissen demokratisiert, zum Beispiel wenn es um die Umweltanalysen geht, die man in Spacemaker durchführen kann. Mit dieser können nun auch Entscheidungsträger konkrete Entwurfsvorschläge ausarbeiten. Aber wenn sie sich erst einmal darauf eingelassen haben, waren sie oft schnell fasziniert und wollten mehr wissen. Einige Architekten haben sich daraufhin sogar bei uns beworben, um an der Entwicklung der Software mitzuarbeiten. Im Endeffekt geht es uns allen ja darum, bessere Gebäude und Städte zu entwerfen, und es wurde jedem schnell deutlich, dass dies auch die Mission von Spacemaker ist. Inzwischen haben sowohl unser Heimatmarkt in Norwegen als auch unsere skandinavischen Nachbarn Schweden, Dänemark und Finnland die Software voll akzeptiert und selbst alteingesessene und relativ traditionelle Architekturbüros greifen darauf zurück.

Was sind die wichtigsten Herausforderungen, denen sich Architekten in Zukunft stellen müssen, und wie kann Spacemaker ihnen dabei besonders helfen?

Wir entfernen uns zunehmend von technologischen Insellösungen und nutzen stattdessen Cloud-basierte Tools wie Spacemaker, auf die alle Stakeholder Zugriff haben, über sämtliche Phasen hinweg von der Grundstücksakquise bis hin zum Gebäudebetrieb. Stellen sie sich vor, all diese Werkzeuge wären miteinander vernetzt oder sogar Teil einer einzigen Software. Die Grenzen, die bislang zwischen allen an einem Bauprozess Beteiligten bestanden haben, würden sich damit zunehmend auflösen. Das bringt unglaublich viel Transparenz mit sich und kann für Architekten natürlich bedeuten, dass sie ein Stück weit die Kontrolle über den Entwurfsprozess verlieren. Aber diese können sie sich zurückholen, indem sie die Kontrolle über die Daten und die ergebnisorientierte Interpretation dieser übernehmen. Des Weiteren  gibt es im Baualltag immer noch so viele Barrieren, die überwunden werden müssen, um die Baubranche effizienter zu machen – lange Kommunikationswege zum Beispiel; teilweise werden Pläne noch auf Papier gedruckt und Modelle werden nicht für alle aktualisiert, sodass es zu Fehlern kommt. Die richtige Software kann dafür sorgen, dass solche Barrieren verschwinden, weil alle auf das gleiche Modell zugreifen können, das dann auch immer in Echtzeit mit allen Änderungen aktualisiert wird. Das erhöht die Geschwindigkeit des ganzen Prozesses enorm. Architekten sollten sich befähigt fühlen, hier mehr Verantwortung für die Digitalisierung zu übernehmen.

Wie haben Sie Ihre Erfahrung als Architekt in Ihre Spacemaker-Lösung eingebracht? Waren Ihre Fähigkeiten als Architekt bei der Entwicklung des Spacemaker-Geschäfts hilfreich?

Es sind insofern ähnliche Aufgabenbereiche, weil man ein komplexes Problem vor sich hat, bei dem man nicht weiß, wie es ausgeht, aber man kennt die Stoßrichtung und es gibt mehrere Beteiligte mit verschiedenen Interessen und Schwerpunkten – z.B. Business Expertise und Softwareentwicklung – die Kompromisse finden müssen. Wenn die Komplexität von zwei Personen auf 100 oder sogar 1000 Personen steigt, müssen immer noch Wege gefunden werden, diese alle gemeinsam an einem Strang ziehen zu lassen, ohne den kreativen Prozess und das Ziel aus den Augen zu verlieren. Je mehr Beteiligte, desto schwieriger wird es, tatsächlich etwas zu verändern. Da ist Spacemaker zu führen dem Architektendasein sehr ähnlich. Für einen Architekten oder eine Architektin ist es sehr einfach, sich an Tag 1 hinzusetzen und einfach ein Konzept zu entwickeln, aber es ist dann sehr komplex, wenn 500 Leute auf der Baustelle arbeiten und man einen Teil des Entwurfs ändern soll.

Es arbeiten auch viele andere Architekten bei Spacemaker. War es eine bewusste Entscheidung, so viele Architekten in das Team aufzunehmen, und warum?

Technologieunternehmen, die vertikale Software entwickeln, müssen sich die Frage stellen, wie sie ihre Branchenkenntnisse einbringen können. Wenn Sie ein MedTech-Unternehmen sind, stellen Sie dann einen Arzt oder eine Ärztin ein, oder sprechen Sie mit Ärzten? Wir hatten in den ersten Tagen dieselbe Diskussion. Wir haben vielleicht 20 andere Leute eingestellt, bevor wir weitere Architekten ins Team aufnahmen. Zuallererst vor allem um dabei zu helfen, nach außen zu wirken. Sie halfen Kunden, unsere Software zu verstehen und sie zu nutzen. Diese Kundennähe, das Verständnis für deren oftmals auch marktspezifische Herausforderungen und Probleme und die Tatsache, dass sie selbst auch die eigentlichen Endnutzer von Spacemaker wären, führte dann aber schnell dazu, dass sie sehr eng in die Produktentwicklung mit eingebunden wurden. Das Erlernen eines neuen Tools ist für viele Benutzer stressig und man macht sich selbst etwas vor, wenn man eine sehr technisch versierte Person, wie einen Softwareentwickler als Beispiel heranzieht und glaubt, dass Architekten so sind. Deswegen haben wir europaweit viele Architekten eingestellt.

 

Arbeiten mit Spacemaker © Spacemaker

 

Was ist Ihr Konzept für die Leitung des Teams bei Spacemaker?

Es ist ein nordisch geprägter Ansatz, aber ich glaube an eine sehr transparente Kultur und daran, psychologische Sicherheit zu schaffen, so dass jeder Mitarbeiter genug Informationen hat, um selbständig arbeiten zu können. Sie sollen das Gefühl haben, dass sie Entscheidungen treffen können, ohne jedes Mal um Erlaubnis fragen zu müssen oder in langsamen Entscheidungsfindungsprozessen stecken zu bleiben. Ich bin selbst sehr optimistisch und oft begeistert von all den Vorschlägen und Verbesserungen, die unser Team macht. Ich glaube, das ist auch ein Teil der Startup-Kultur, gerade am Anfang. Es ist jetzt nicht wirklich anders als zu der Zeit, als wir ein Team von 50 Personen waren. Aber wenn die Größe des Teams eine Art Kipppunkt erreicht – und ich hatte das Gefühl, das war um die 50 – dann gehen schnell Informationen verloren und das kann bei einigen zu Verunsicherung führen. Wir haben dann verschiedene Teams mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten und oftmals auch unterschiedlichen Standpunkten gebildet. Als Geschäftsführer war es meine Aufgabe, Diskussionen zu erleichtern und zu moderieren und dafür zu sorgen, dass es keine Missverständnisse gibt. Vor allem dann nicht, wenn Debatten auch mal hitzig wurden, oder es darum ging, dass jeder die Ziele, Richtungen und Planungsrahmen der anderen versteht.

Und schließlich: Was lässt Sie morgens aufstehen? Und wie setzen Sie das in Ihrer täglichen Arbeit bei Spacemaker um?

Ein Problem zu verstehen, sich damit zu befassen, es im Team zu lösen und die Auswirkungen zu sehen – dafür stehe ich morgens auf. Ich glaube, dass jedes Problem auf der Welt gelöst werden kann, wenn man es mit Entschlossenheit und Optimismus anpackt, und vor allem, wenn man zusammenarbeitet und neue Ideen immer wieder testet.

Autor: Håvard Haukeland, Co-Founder und CEO bei Spacemaker und Senior Director bei Autodesk

http://www.autodesk.de/spacemaker

Quelle: Spacemaker