6. Mai 2024

Interview mit Gudrun Sack: „Qualität von der Planung bis zur Realisierung ist für mich der Maßstab gelungener nachhaltiger Architektur.“

„Qualität von der Planung bis zur Realisierung ist für mich der Maßstab gelungener nachhaltiger Architektur. Ich sehe es dabei als eine wichtige Herausforderung an, regionale Wirtschaftskreisläufe zu fördern und die Klimaziele Berlins zügig umzusetzen.“

Berlin (ab) – Frau Sack, als Architektin waren Sie mehr als 20 Jahre Partnerin bei NÄGELIARCHITEKTEN. Nun leiten Sie seit dem 1. Mai 2021 an der Seite von Philipp Bouteiller die Tegel Projekt GmbH und planen die Nachnutzung des ehemaligen Flughafens Tegel. Sie sind Vorstandsmitglied der Architektenkammer Berlin und des Netzwerks Berliner Baugruppen Architekten, außerdem Mitglied im Arbeitskreis Wohnungsbau beim BDA – Bund Deutscher Architektinnen und Architekten.

Gudrun Sack, Geschäftsführerin Tegel Projekt GmbH. Fotograf Jonas Maron, Berlin

Wie haben Sie zur Architektur gefunden?

Gudrun Sack: Baugeschichte und gute Räume auf der ganzen Welt haben mich von klein auf fasziniert. Ich bin im Iran aufgewachsen und schon als Kind viel gereist. Meine berufliche Laufbahn habe ich als Restauratorin auf dem Bau begonnen. Irgendwann war mir dann aber wichtig, die Dinge mehr gestalten zu können. Mein Interesse an Geometrien und Kunst, an Nutzungsideen und Realisierungsmöglichkeiten, an Gedachtem und Möglichem haben mich zur Architektur gebracht.

Wo und bei wem haben Sie studiert?

Gudrun Sack: Ich habe dann an der TU Berlin und der Hochschule für angewandte Kunst in Wien studiert. An der TU Berlin war die Begegnung mit Robert Wischer von Heinle, Wischer & Partner für mich spannend. Er war unermüdlich daran interessiert, die Dinge und Abläufe in Krankenhäusern zu optimieren. Dieses Suchen nach dem bestmöglichen Prozess – im ganz Kleinen wie im Großen – hat er uns Studierenden mitgegeben. An der Hochschule für angewandte Kunst war es Prof. Johannes Spalt, der uns die alte Wiener Schule vermittelt hat. „Was kann das jetzt?“ war seine immerwährende Frage bei Entwürfen. Design hatte für ihn die Aufgabe, das Leben der Menschen zu verbessern; Form ist wichtig, aber nicht genug. Ja, und dann möchte ich noch Coop Himmelblau erwähnen, bei denen ich ebenfalls studiert habe. Hier waren es die radikalen Fragen und der Mut, die ich bewundert habe.

Wer oder was hat Sie in Ihrer beruflichen Tätigkeit nachhaltig geprägt?

Gudrun Sack:  Das lässt sich heute, nach all den Jahren als Architektin, nicht auf die eine Person oder das eine Gebäude herunterbrechen. Das Zusammenspiel von Material, Licht, Raum, Strukturen, stadträumlichen Zusammenhängen zu einem Ganzen – eine Kohärenz der Dinge sind mir wichtig. Heute stehen für mich das Nachhaltige Planen und Bauen zentral im Vordergrund. Wenn wir bauen, wie bauen wir dann? Aus meiner Sicht können wir nur so nachhaltig wie irgend möglich bauen. Gute ökologische Materialien und wohl proportionierte Räume mit einer guten Tageslichtqualität hatten immer Bestand und werden es auch in Zukunft haben. Beim Nachhaltigen Planen und Bauen ist ein großes gesellschaftliches Umdenken notwendig. Berlin TXL ist die Chance, hier ein Pilotprojekt für Berlin und Deutschland in die Umsetzung zu bringen.

Auf dem 500 Hektar großen Areal des ehemaligen Flughafens Tegel in Berlin wird eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren projektiert. Was soll den neuen Stadtteil Berlins auszeichnen?

Gudrun Sack: Berlin TXL besteht im Grunde aus drei Projekten: Zum einen die Urban Tech Republic – ein Forschungs- und Industriepark für Zukunftstechnologien mit einem Hochschulcampus in dessen Zentrum. Zum zweiten das sozial-ökologische Schumacher Quartier, in dem über 5.000 Wohnungen in Holzbauweise errichtet werden. Wir denken hier über innovative Wohnungskonzepte und interessante Erdgeschossnutzungen nach, aber auch Animal Aided Design, das Schwammstadt-Prinzip, ein neuartiges Energie- und Mobilitätskonzept oder digitale Infrastruktur sind Teil der Planungen. Die Grundstücke werden auf Erbpachtbasis im Konzeptverfahren vergeben. Das Quartier ist autofrei konzipiert und soll den zukünftigen Mieterinnen und Mietern die Möglichkeit einer Mitgestaltung und Aneignung in Teilbereichen ermöglichen. Last but not least: der über 200 ha große Landschaftsraum der Tegeler Heide, der Bindeglied sein wird zwischen dem Stadtquartier und dem Naherholungsgebiet der Jungfernheide und der Tegeler Wald- und Seenlandschaft.

Die Bereiche Entwicklung und Planung sowie Baumanagement liegen in Ihrer Verantwortung als Geschäftsführerin der Tegel Projekt GmbH. Welche Schwerpunkte möchten Sie in diesem Projekt setzen? 

Gudrun Sack: Die inhaltlichen Schwerpunkte hat die Tegel Projekt GmbH in den letzten Jahren erarbeitet und gesetzt. Die guten Ideen sind da; die Planungen ausgereift. Mein Anliegen ist es, gemeinsam mit Philipp Bouteiller und dem gesamten Team die Dinge nun gut in die Umsetzung zu bringen.

Welchen Herausforderungen muss sich zukünftige Architektur und Stadtplanung stellen?

Gudrun Sack: Die gegenwärtigen Bedingungen für Architektur und Städtebau sind herausfordernd. Klimapositiv denken und der Natur eine Chance geben sind ebenso wichtig wie das Mitnehmen der zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer in Berlin TXL.

Erzählen Sie uns die Geschichte zu dem Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt. 

Gudrun Sack: Waldhäuser in Berlin Reinickendorf

Waldhäuser, NÄGELIARCHITEKTEN. Fotograf: Johannes Marburg, Berlin

Eines meiner ersten Projekte ist eine kleine Holzsiedlung von acht Häusern in Berlin-Reinickendorf. Hier wurde mit einem sehr geringen Budget Wohnraum geschaffen. Viele Materialien wurden neu entwickelt wie ein Steinholzfußboden, der Estrich und Fußbodenbelag zugleich ist.  Die Fassadenbretter sind Lärchenholz aus dem bayerischen Wald, das mit einem Schraubnagel auf der Lattung befestigt ist. Ein sehr einfaches und bis heute sehr schönes Projekt.

Welches Projekt hat Sie am meisten herausgefordert? 

Gudrun Sack: Vertical Studio – Ateliergebäude in Berlin

Vertical Studio, NÄGELIARCHITEKTEN. Fotografin: Gudrun Sack, Berlin

Gerade in der Fertigstellung ist ein sechsgeschossiges Gebäude, das versucht, den Einsatz von Beton absolut zu minimieren. Das Grundstück liegt im Zwickel von zwei Bahnlinien in Berlin und wird täglich von 900 Zügen passiert. Es war eine große Herausforderung, dieses Gebäude technisch in die Umsetzung zu bringen. Das Gebäude ist komplett aus Porotonziegeln errichtet. Die Treppen sind aus Stahl. Wir haben versucht, in allen Belangen in regionalen Wirtschaftskreisläufen zu denken und auch die Aufträge so zu vergeben.

Wie lautet Ihr Wahlspruch?

Gudrun Sack: Die Augen zu öffnen für gute Räume, soziale Zusammenhänge, wirtschaftlich neue Wege, um gute qualitätsvolle Konzepte umzusetzen. Das Architektur-Schaffen fängt damit an, die Bedingungen für Architektur herzustellen: gesellschaftlich, wirtschaftlich politisch.

Vielen Dank für das Interview.