24. April 2024

In der Vergangenheit liegt die Zukunft: Architektur-Studierende erlernen den Umgang mit Denkmälern und Bestandsbauten

Grundregel beim Umgang mit besonders erhaltenswertem Baubestand und Denkmälern: „Soviel wie nötig, so wenig wie möglich“

(c) Hochschule Würzburg-Schweinfurt

Würzburg (pm) – Ein altes Schloss aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken, eine neue Nutzung zu entwickeln und die alten Strukturen dahingehend behutsam zu sanieren – der Traum vieler junger Menschen, die Architektur studieren. An der Hochschule Würzburg-Schweinfurt haben Studierende des sechsten Studiensemesters Architektur die Möglichkeit, im Fach „Denkmalpflege und Sanierung“ diese Kompetenzen zu erwerben. Das Lehrgebiet stellt technische und bauphysikalische Grundlagen im Zusammenhang mit dem Baubestand dar und zeigt auf, wie mit historischen und modernen Bau- und Sanierungstechniken der Erhalt von „besonders erhaltenswerter Bausubstanz“ langfristig gesichert werden kann.

Der Architekt Prof. Karl Zankl von der Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen, der dieses Fach unterrichtet, legt dabei den Schwerpunkt auf den Umgang mit historischen und   schützenswerten jüngeren Gebäuden und wirbt für den sensiblen und fachgerechten Umgang mit Denkmälern. Ein Leitspruch, den er den Studierenden aus seiner Erfahrung mit der Sanierung von Denkmälern mitgibt, lautet: „soviel wie nötig, so wenig wie möglich.“

Zusammen mit Prof. Zankl betreut Prof. Dr. Matthias Wieser dieses Lehrgebiet. Der renommierte Bauforscher und Denkmalpfleger ist seit zwanzig Jahren an der Fakultät mit den Lehrgebieten Bau- und Architekturgeschichte und Denkmalpflege befasst. Die Entstehungsgeschichte eines historischen Gebäudes zu erforschen, das Haus zu analysieren, es zu revitalisieren und historische Gebrauchsspuren behutsam wieder „leben zu lassen“, ist für ihn der wichtige und reizvolle Teil seiner praktischen Architektentätigkeit. Er versucht in der Lehre bei möglichst zahlreichen Exkursionen die Studierenden an historische Bauwerke heranzuführen, damit sie typische Bauweisen und Elemente kennenlernen und später wiedererkennen können.

Zum Lehrinhalt des Moduls gehört auch die Auseinandersetzung mit historischen Tragstrukturen. Das Verstehen und Nachvollziehen der Lastabtragung vom Dachstuhl über die historischen Deckenkonstruktionen und Kellergewölbe bis in die Fundamente spielt dabei die wichtigste Rolle.  Diese Aufgabe übernimmt der Bauingenieur Prof. Dr. Christoph Müller de Vries und begleitet die Studierenden beratend durch das Projekt.

Die jeweilige Entwicklung des Denkmalprojektes soll in jedem Falle möglichst realitätsnah erfolgen. Deshalb arbeiten die Studierenden häufig im jeweiligen Objekt, und die Professoren holen Experten aus der Praxis zur Beratung hinzu. Der Oberkonservator Hans-Christoph Haas vom bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, ebenso der Brandschutzsachverständige Phillip Renninger und in der Region denkmalpflegerisch tätige Architekten und Restauratoren, betreuen regelmäßig die Studierenden vor Ort.

In den letzten Jahren konnten dabei sehr interessante Projekte bearbeitet werden, wie z.B. die alte Poststelle in Possenheim, das Amtshaus in Seinsheim, das Einersheimer Tor in Iphofen oder das sog. Miltenbergerhaus im Herzen von Sommerhausen.

Für das kommende Semester ist ein besonderes Highlight in Vorbereitung: das Wasserschloss in Erlach (Landkreis Würzburg), ein Gebäude, das erstmals im Jahr 1151 erwähnt wurde und seit 1545 in seiner jetzigen Form besteht. Das Schloss wird zum Teil nicht mehr genutzt und verlangt neben einer denkmalgerechten Sanierung auch nach einer neuen denkmalverträglichen Nutzung.

Um sich der Aufgabe und dem jeweiligen Objekt zu nähern, gehen die Studierenden nach der klassischen Sanierungsmethode „Anamnese-Diagnose-Therapie“ vor. Sie sammeln Informationen aus allen zugänglichen Quellen, vermessen das Denkmal und dokumentieren den Zustand eines jeden Raumes. Böden, Wände, Decken, Türen und Fenster werden in „Raum-, Tür- und Fensterbüchern“ (https://einszueins-digital.de/raumbuecher-verwendung-aufbau-vorteile) beschrieben. Nach dieser Phase werden Defizite und Schäden diagnostiziert, anschließend wird ein Therapiekonzept zur nachhaltigen Sanierung des Gebäudes ausgearbeitet.

Das Modul beschäftigt sich aber nicht ausschließlich mit Denkmälern: ein sehr großer Teil des Baubestandes in der Bundesrepublik wird als sogenannte „besonders erhaltenswerte Bausubstanz“ eingestuft. Diese spezifische Qualität eines Gebäudes zu erkennen und seine Struktur behutsam zu sanieren, sieht Prof. Zankl als eine zentrale Aufgabe für zukünftige Architektinnen und Architekten.

Jedes zweite Haus in Deutschland ist älter als vierzig, jedes fünfte Haus älter als achtzig Jahre alt. Der größte Teil des heutigen Gebäudebestandes ist in den Sechziger- und Siebzigerjahren entstanden. Den architektonischen Wert dieser oft ungeliebten, weil energetisch, bautechnisch und optisch in die Jahre gekommenen Bauten zu würdigen, ist eine besondere Herausforderung. Für einen nachhaltigen Umgang mit diesen Gebäuden will Prof. Zankl die Studierenden sensibilisieren und interessieren, um ihnen den Zugang zu einem weitgefächerten Berufsfeld zu ermöglichen.

Die Studierenden lernen bei den Projekten unmittelbar, sich mit den immer mehr in den Vordergrund drängenden Themenfeldern wie der energetischen Ertüchtigung, der Implementierung moderner Energiekonzepte wie der Photovoltaik und der Verwendung von nachhaltigen Materialien und Konstruktionen, auseinanderzusetzen.

Diese modernen Notwendigkeiten sensibel und innovativ in den umfangreichen Gebäudebestand zu integrieren, ist eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft des Bauens im Bestand.

 

Pressemitteilung: Hochschule Würzburg-Schweinfurt