13. November 2024

Gebäudehülle kann Lärm schlucken: Architektur verhilft zur leiseren Stadt

Forschungsteam der Frankfurt UAS zu akustisch wirksamen Fassaden misst Lärmimmissionen mit mobilem urbanen Labor / Pegelreduzierungen von bis zu 4 Dezibel machbar

Frankfurt UAS (c) Benedikt Bieber / Frankfurt UAS

Frankfurt am Main (pm) – Krach macht krank: Die Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO „Burden of disease from environmental noise“ kam bereits 2011 zu dem Ergebnis, dass Lärm weltweit das zweitgrößte Gesundheitsrisiko darstellt. Für die Architektur stellt sich die Frage, ob in Großstädten die Fassadengestaltung die Lärmbelastung beeinflusst und ob akustisch wirksame Fassaden den Lärm signifikant verringern können. „Die Architektur kann über die Gebäudehülle einen Beitrag zur leiseren Stadt leisten“, sagt Prof. Holger Techen, Professor für Tragwerkslehre und Baukonstruktion an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS). Dies ist das Ergebnis seines Forschungsprojekts „Akustische Wirksamkeit von Fassadenoberflächen und -strukturen im Hinblick auf eine akustische Bewertung des Außenraumes/Stadtraumes an der Empfängerposition“.

Eine Forschungsgruppe des Fachbereichs Architektur, Bauingenieurwesen und Geomatik der Frankfurt UAS um Prof. Holger Techen und Dr.-Ing. Jochen Krimm hat im Rahmen der Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ untersucht, wie sich akustische Räume in der Stadt bilden und wie man nicht nur quantitativ, wie bisher in den Regelwerken üblich, sondern auch qualitativ Stadtsituationen in Abhängigkeit der umgebenden Bebauung lärmtechnisch beurteilen kann. Zu diesem Zweck führte das Team drei Monate lang Lärmmessungen mit verschiedenen Fassadentypen an sechs Messstationen in Frankfurt am Main durch und wertete diese aus; es nutzte dazu ein mobiles Akustiklabor, das „Urban Acoustic Facade Lab“, sowie modifizierte Fassaden-Mock Ups, d.h. verschiedene Modelle. Die aus den vorherigen Forschungstätigkeiten gewonnenen Erkenntnisse wurden so auf ihren Effekt in der Realität überprüft.

Fazit: „Die Feldmessungen im Rahmen dieses Forschungsprojektes haben gezeigt, dass geometrisch strukturierte Fassaden den Lärmpegel im umgebenden Stadtraum beeinflussen“, so Techen. „Das Austauschen der glatten, schallharten Fassade durch geometrisch modifizierte Testfassaden führte zu Pegelreduzierungen von bis zu 4 Dezibel für einzelne Frequenzbänder.“ Die Messwerte belegen laut Techen, welche Potenziale in der Fassade für die Gestaltung einer leiseren Stadt noch nicht abgerufen werden. „An Beispielen der aktuellen Neubauprojekte in Frankfurt am Main lässt sich erkennen, dass der Effekt des zusätzlichen Lärmeintrags in den Stadtraum durch Reflektion an großen schallharten Fassadenflächen bislang nicht berücksichtigt wird“, sagt der Wissenschaftler.

Einordnung in bisherige Forschungsergebnisse

Das Forschungsprojekt baut auf Erkenntnissen aus vorherigen Forschungstätigkeiten auf. Laut Techen gibt es zwar eine Vielzahl von Untersuchungen zum Thema Schallausbreitung im städtischen Raum. „Aber dabei handelt es sich um zweidimensionale Simulationen, die noch dazu für Gebäude mit maximal acht Geschossen geführt wurden. Sie lassen sich damit nur auf Randgebiete der Großstädte übertragen.“ In Frankfurt am Main existieren aktuell 109 Hochhäuser mit einer Höhe von über 50 Metern. „Um im Rahmen der aktuellen Bautätigkeit und im Kontext innerstädtischer Nachverdichtung in den Metropolen lärmmindernde Maßnahmen definieren zu können, braucht es Untersuchungen, die sich mit dem Verhalten von Hochhausfassaden beschäftigen“, so Techen. Da es bei seinem Forschungsvorhaben um Ansätze für zu realisierende Projekte ging, mussten die Messungen die Einflüsse mehrerer Schallquellen – Verkehrslärm von Straße, Straßenbahn, Schiene und Flugverkehr – erfassen.

Ablauf der Messungen

Eine Lärmminderung im Außenraum lässt sich nicht nur über Material und Geometrie der Gebäudehülle, sondern auch über die Gebäudekubatur (z.B. Ausbildung von Balkonen oder Loggien) und die Lage der Baukörper zueinander steuern. Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurden ausschließlich geometriebasierte Systeme betrachtet. „Durch Einbringen einer schallharten, planen Fassadenreferenzfläche lässt sich direkt das Potenzial einer modifizierten Fassade unter realen Bedingungen im Stadtraum erfassen“, erläutert Techen.

Als Messstandorte wählte das Forschungsteam in Absprache mit dem Umweltamt der Stadt Frankfurt die Europa-Allee im Europaviertel, die Lyoner Straße 1 und 27 in Niederrad, den Ferdinand-Scholling-Ring in Nied, die Senckenberganlage im Westend und die Stephanstraße 14 in der Innenstadt. Auswahlkriterien waren u.a. das Vorhandensein einer oder mehrerer Lärmquellen, die zudem räumlich isolierbar und messtechnisch erfassbar sein mussten, und eine Grundfläche für den Aufbau des mobilen Labors.

Die Messungen wurden mit einer vorab entwickelten Methode für Feldmessungen mit dem mobilen „Urban Acoustic Facade Lab“ vor einem Fassadenmodell durchgeführt. Die Fassadenmodule wurden eigens für das Forschungsprojekt angefertigt und in dem Labor montiert: ein aus Leichtbeton gefertigtes Kunststein-Modul, ein aus Dämmschaum bestehendes Wärmedämmverbundsystem-Modul (WDVS), ein Textilmodul aus Glasfasergewebe und ein Metall-Modul aus Blechkassette mit Dreieckslochung.

Auswertung der Messergebnisse

Techen betont: „Die Unterschiedlichkeit der Messungen zeigt, das sich die Werte der Testfassaden nur ortsbezogen interpretieren lassen. Jede Fassade wirkt also an jedem Ort individuell, weil auch jeder Stadtraum individuell akustisch ist. Nicht nur die Fassaden spielen eine Rolle, sondern auch die Bodenbeschaffenheiten.“ Zudem sei der wichtigste Parameter bezüglich einer Lärmquelle im Stadtraum die Richtung der Einwirkung. Für den Wechsel von Flug- zu Straßenlärm wurden bei gleicher Testfassade Pegeländerungen von bis zu 6 Dezibel dokumentiert. Bei Testfassaden aus kleineren Teilflächen fiel der Einfluss der Lärmeinwirkungsrichtung deutlich moderater aus als bei Testfassaden mit sehr großen Teilflächen. „Um die Lärmpegelreduzierung von 4 Dezibel einzuordnen, sollte man sich vor Augen führen, dass 4 Dezibel an Lautstärkezuwachs beim Menschen wegen des logarithmische Effekts für die Verdopplung des Lautstärkeempfindens sorgen, eine Reduktion von 4 Dezibel folglich die empfundene Lautstärke halbiert“, erklärt Techen.

Individuelle akustische Dokumentation für Bauvorhaben

Übertragen auf konkrete Bauprojekte bedeuten die Erkenntnisse der Messungen, dass jedes Bauvorhaben individuell akustisch dokumentiert werden sollte. „Ähnlich einer Bodenbeprobung zum Standsicherheitsnachweis muss die akustische Situation rund um das geplante Gebäude im Hinblick auf Lärmquellen und deren Richtungen erfasst werden“, empfiehlt Techen. Anhand der gefundenen Parameter könne dann ein Fassadendesign mit einer beabsichtigten akustischen Wirkung gestaltet und vor Ort getestet werden. „Die gemessenen Pegelreduktionen für bestimmte Frequenzbänder bei Änderung der Richtung der Schallquelle zeigen die zwingende Notwendigkeit, akustische Interventionen in der Fassade individuell zu planen.“

Es ist angedacht, die Lärmminderungspotenziale der Fassaden sowohl im Gebäudebestand der Städte als auch in Neubauprojekten in zukünftigen Forschungsprojekten zu bestimmen.

Pressemitteilung: Frankfurt University of Applied Sciences