Hamburg (pm) – Ohne Fachkräfte in den Bau und Ausbaugewerken kommen keine Solarzellen auf Hamburgs Dächer und keine Öko-Heizungsanlagen in die Keller. Um den Fachkräftemangel im Klimahandwerk entgegenzuwirken, haben Umweltbehörde und Handwerkskammer einen Runden Tisch organisiert und ein Paket von Maßnahmen erarbeitet.
Vertreter:innen aus Behörden, Handwerkskammer, Betrieben, Arbeitsagentur, Hochschulen und Innungen haben seit Februar verschiedene Lösungsideen diskutiert, erarbeitet und teilweise schon in die Umsetzung gebracht. Neben einer Kampagne für Klimaberufe sollen die Nebenjob-Vermittlung für Studierende, die Berufsorientierung und auch Chancen für einen Berufsumstieg gestärkt werden. Das Format des Runden Tisches soll auch 2023 fortgesetzt werden, zudem wird sich die Umweltbehörde mit konkreten Projekten zu den Klimaberufen ins Fachkräftenetzwerk des Senats einbringen. In einem Commitment haben sich alle Mitglieder des Runden Tisches auf ein gemeinsames Problemverständnis und Lösungswege verabredet.
Jens Kerstan, Senator für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft: „Wir stehen vor vielfältigen Herausforderungen, damit die Energiewende zügig gelingt und wir uns von fossilen Brennstoffen unabhängig machen können. Der Angriffskrieg in der Ukraine lässt die Energiepreise in schwindelerregende Höhen schießen. Das bringt viele Betriebe und Privathaushalte in Existenznot. Die Nachfrage nach erneuerbaren Energien steigt rasant – für Wohnhäuser und in der Wirtschaft.
Das ist eine Chance für eine schnelle Transformation, aber auch eine enorme Herausforderung. Ein wichtiger Baustein ist es, Antworten auf den Fachkräftebedarf zu finden. Denn wer Solaranlagen auf dem Dach installieren lassen möchte oder die Heizungsanlage auf den neuesten energetischen Stand bringen möchte, muss mit langen Wartezeiten rechnen. Mit dem Runden Tisch haben wir ein Forum installiert, um dieses Problem anzugehen. Wir wollen und werden zeigen: Klimaberufe sind spannend und sinnstiftend und sie bieten sichere Arbeitsplätze mit guten Verdienstaussichten. Die Ergebnisse des Runden Tisches sind ermutigend und ich bin zuversichtlich, dass wir deutlich mehr junge Menschen für das Klimahandwerk begeistern können. Wir alle müssen gemeinsam an der Energiewende mitwirken. Dem Klima zuliebe. Aber auch, um unsere Freiheit, unsere Demokratie unsere Vielfältigkeit zu verteidigen.“
Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg: „Dass Politik und Praxis gemeinsam an einem Tisch sitzen, ist ein guter erster Schritt. Die Mammutaufgaben im Klimaschutz sind ohne viele weitere fachlich gut ausgebildete Handwerkerinnen und Handwerker nicht zu stemmen, das wissen wir alle. Jetzt gilt es, die gemeinsam erarbeiteten Maßnahmen ganz schnell in die Tat umzusetzen und die nützliche Arbeit des Gremiums in den nächsten Jahren weiter fortzuführen. Dass Ausbildungsstellen in den Klimahandwerken unbesetzt bleiben, darf nicht wieder vorkommen. Denn wir müssen nicht nur den aktuell enorm hohen Fachkräftebedarf in den Griff bekommen. Die Anforderungen, das Arbeitspensum und das Qualifizierungslevel für Klimahandwerkerinnen und -handwerker werden zudem künftig noch weiter steigen. Mit dieser Entwicklung müssen Aus- und Weiterbildung in Hamburg Schritt halten können. Das Handwerk wird weiter entschlossen seinen Beitrag leisten. Aber auch der politische Wille zur Förderung eines leistungsstarken Klimahandwerks darf nicht nachlassen.“
Melina Koch, Jungmeisterin für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik: „Um in Häusern Energie und CO2 zu sparen, ist die Wärme oft der entscheidende Hebel. In Hamburg müssen zehntausende Heizungssysteme erneuert oder optimiert werden, außerdem sollen im großen Maßstab Wärmepumpen die fossilen Brennstoffe ersetzen. Die Technik ist in den vergangenen Jahren immer komplexer und digitaler geworden, das macht den Job herausfordernd und wichtig für die Wärmewende. Der Bedarf an Fachkräften ist im Bereich Heizung und Klima so groß, da müssen wir die Ansprache der jungen Menschen verändern. So können auch junge Frauen in diesen Berufen erfolgreich sein und es gilt Quereinsteiger:innen für diese Berufe zu gewinnen und ihnen den Einstieg zu erleichtern. Die Ideen und Maßnahmen dieses Runden Tisches sind erste und wichtige Bausteine für mehr Fachkräfte in den Hamburger Klimagewerken.“
Matthias Alms, Dachdecker- und Klempnermeister und Gebäudeenergieberater: „Das Potenzial für Solarenergie auf Hamburgs Dächern ist riesig und an vielen Stellen ungenutzt. Gleichzeitig sind viele Dächer im Altbau unsaniert und ein Grund für hohe Heizkosten im Winterhalbjahr. Das Problem ist: In Dachdeckerbetrieben wie auch in den anderen Klimagewerken gibt es viel zu wenig Nachwuchs. Ohne Fachleute können wir die Nachfrage der Kunden nicht bewältigen und die Klimaziele nicht umsetzen. Deshalb wollen wir mehr junge Leute für unsere Berufe begeistern – in den Klimagewerken gibt es spannende und sichere Jobs, und die Verdienstaussichten sind für Spezialisten oder Selbstständige oft ähnlich gut wie in akademischen Berufen. Eine wichtige Antwort auf den Fachkräftebedarf kann eine gezielte Zuwanderung sein, hier gibt es viele bürokratische Regelungen, die noch viel einfacher gestaltet werden können.“
Prof. Hans Schäfers, HAW Hamburg: „Durch den Runden Tisch haben wir eine ganz praktische Idee entwickelt und schon in die Umsetzung gebracht: Studierende für Nebenjobs und in den Semesterferien an Betriebe im Klimahandwerk zu vermitteln. Die Firmen suchen händeringend Leute mit Vorkenntnissen, nicht für alle Handgriffe braucht man einen Meister- oder Gesellenbrief. Gleichzeit wissen viele angehende Umweltingenieure oder Energietechnik-Experten nichts von den Bedarfen der Betriebe und jobben in der Gastronomie oder Logistik. Im Klimahandwerk sind sie viel dichter dran an ihrem späteren Berufsfeld und sammeln wertvolle Erfahrung. Wenn wir über die Jobbörsen der HAW, der Handwerkskammer und der Innungen viele erfolgreiche Vermittlungen schaffen, ist das ein Gewinn für beide Seiten und ein weiterer Baustein im Kampf gegen den Fachkräftemangel.“
Die Zahlen
Nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks fehlen bundesweit bereits heute 190.000 Fachkräfte in den klimarelevanten Gewerken in Handwerk (Nord-Handwerk 10/22). Eine GWS-Studie aus 2021 zeigt, dass auf dem Weg zu einem klimaneutralen Deutschland im Jahr 2030 bundesweit rund 360.000 zusätzliche Arbeitsplätze benötigt und geschaffen werden. Laut Fachkräfte-Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit 2021 liegen die Bereiche Klempnerei, Sanitär, Heizung und Klimatechnik (SHK) nach den Pflegeberufen in Hamburg auf dem 2. Platz. In der SHK-Branche dauert es laut BA-Analyse im Schnitt 102 Tage, bis eine Stelle neu besetzt werden kann. Im Bereich Elektrotechnik liegt die Vakanzzeit in Hamburg sogar bei durchschnittlich 121 Tagen. Mit rund 1.050 Lehrstellenangeboten für 2023 (Stand 01.11.2022) verzeichnet die Lehrstellenbörse der Handwerkskammer Hamburg ein Plus von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Insbesondere in Berufen des Klimahandwerks steigt die Zahl der freien Ausbildungsplätze: z.B. 162 Anlagenmechaniker:innen SHK, 167 Elektroniker:innen, 31 Mechatroniker:innen für Kältetechnik, 38 Dachdecker:innen, 7 Zimmer:innen, 6 Schornsteinfeger:innen. (Stand 01.11.2022).
Der Rahmen
Das Hamburgische Klimaschutzgesetz sieht u. a. eine Pflicht zur Installation von Photovoltaikanlagen ab 2023 auf Hamburgs Dächern im Neubau vor („Solardachpflicht“). Für Bestandsgebäude, bei denen die Dachhaut vollständig erneuert wird, greift die Pflicht ab 2025. Seit Mitte 2021 muss bei einem Heizungstausch ein Mindestanteil der Wärmeenergie aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Laut der Bundesagentur für Arbeit gibt es jedoch gerade in den Handwerksberufen, die für diese Arbeiten benötigt werden, große Engpässe.
Die Maßnahmen
● Die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) plant in Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer Hamburg ab 2023 eine mindestens zweijährige öffentlichkeitswirksame Kampagne, mit der für Berufe im Klimahandwerk geworben wird. Zielgruppe sollen vor allem junge Menschen sein, die in der Phase der Berufsorientierung sind. Es soll damit an die stadtweite Plakataktion aus dem März 2022 angeknüpft werden (Klimaberufe – hamburg.de).
● Es wird ein Pilotprojekt zur finanziellen Förderung von älteren Auszubildenden von über 25 Jahren geprüft. Auf diese Weise sollen jene, die derzeit ungelernt arbeiten verstärkt für eine Ausbildung gewonnen werden.
● Studierende einschlägiger Studiengänge (z.B. Regenerative Energiesysteme und Energiemanagement) sollen für Nebenjobs und Praktika mit Handwerksbetrieben zusammengebracht werden. So werden während des Studiums Erfahrungen in der Praxis gesammelt, die Energiewende unterstützt und potentielle spätere Arbeitgeber kennengelernt.
● Es sollen regelmäßige Fortbildungen für Lehrkräfte mit dem Schwerpunkt Klimahandwerk stattfinden, um im Austausch mit Schülerinnen und Schülern auf diesen Beruf aufmerksam zu machen.
● Es soll ein Beratungsnetzwerk für Weiterbildung und Fördermöglichkeiten über die Agentur für Arbeit geschaffen werden.
Die Teilnehmenden
Am Runden Tisch waren und sind dabei: Agentur für Arbeit; Bau-Innung Hamburg; Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (Sozialbehörde); Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB); Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA); CLUSTER Erneuerbare Energien Hamburg; Gehrke Heizungs- und Sanitärtechnik GmbH (Fachbetrieb); Hamburger Institut für Berufliche Bildung (HIBB); Handwerkskammer Hamburg; Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), Innung für Kälte- und Klimatechnik; ISOHAUS Bedachungen e. K. (Fachbetrieb); NFE Group (Norddeutscher Fachverband Elektro- und Informationstechnik e.V.); Sager & Deus GmbH; Schornsteinfeger-Innung; SHK-Innung Hamburg (Innung Sanitär Heizung Klempner Hamburg); Stromnetz Hamburg GmbH.
Pressemitteilung: Pressestelle Behörde für Umwelt, Klima Energie und Agrarwirtschaft, Handwerkskammer Hamburg