11. Dezember 2024

„Es kommt immer auf die Mischung an“

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker. Foto: Thomas Müller, IBA Thüringen

Siegen (pm) – Nach einem Interview des Grünen-Fraktionschefs Anton Hofreiter im „SPIEGEL“ wird in Deutschland über den Bau von Einfamilienhäusern diskutiert. Wir haben mit Univ.-Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker gesprochen, die in Siegen im Lehrgebiet Gebäudetechnologie und Bauphysik tätig ist. Sie war bis 2020 im Sachverständigenrat für Umweltfragen tätig und ist Mitglied im Club of Rome.

 

Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hat in einem „SPIEGEL“-Interview Zweifel am Bau neuer Einfamilienhäuser geäußert. Seitdem wird in Deutschland debattiert, es gibt Kritik und Unterstützung. Was spricht denn generell gegen Einfamilienhäuser?

Die kurze Antwort lautet: Grundsätzlich nichts. Wir brauchen eine kluge Mischung aus Einfamilien-, Mehrfamilienhäusern, generationengerechtes Wohnen usw. Auf diese Mischung kommt es überall an. Die lange Antwort lautet: Die Bunderegierung hat Flächenverbrauchsreduktionsziele definiert, von deren Erreichung wir weit entfernt sind. Es ist deshalb nicht abwegig, dass Metropolen und große Städte mehr Wohnungen als Einfamilienhäuser bauen – das ist auch schon heute möglich und sollte in ein Gesamtkonzept eingebunden werden. Aber im politischen Berlin geht es oft um Zuspitzungen. Und Verbote bringen nichts. Vorschriften für die Lebensweise der Menschen ebenso wenig.

Im urbanen Raum ist das Anliegen schon allein bedingt durch die hohe Baudichte verständlich. Wie sieht es aber in ländlichen Gebieten aus?

Im urbanen Raum haben wir bis jetzt einen enormen Zuzug in die Städte – ich frage mich schon länger, ob wir diesen Zuzug immer weiter bedienen können. Das hat alles irgendwann Grenzen. Deshalb ist es wichtig, kleine Städte und den ländlichen Raum im Blick zu haben. Es würde vielen Gemeinden helfen, wenn sie in Sachen Wohnen oder Mobilität zusammenarbeiten können. Unsere Förderpolitik und Städtebauförderung unterstützen das nicht in ausreichendem Maße. Da müssen wir besser werden.

Ist der Traum von Haus mit Garten überholt?

Keineswegs. Die Corona-Pandemie zeigt uns gerade, wie wichtig es ist, ein wenig Platz um sich zu haben. Sobald man Einfamilienhäuser verbietet, werden sie noch begehrter und noch teurer. Das Ergebnis wäre, dass Menschen ins Umland ziehen und dort groß bauen. So schafft man keinen Wohnraum. Das ist kontraproduktiv.

Wie sieht das konkret in Regionen wie Südwestfalen aus, ist der Bau von Einfamilienhäusern hier sinnvoll?

Auch hier kommt es auf die Mischung an. Keine Region gleicht der anderen, und das ist auch gut so. Ich staune, dass immer nur über den Neubau gesprochen wird. Deutschland braucht ein Umbaurecht. Wir müssen den Bestand zukunftsfähig machen. Die Frage ist hier, wie versetzen wir Menschen in die Lage, ihre Häuser gerne zu sanieren? Was kann der Gesetzgeber hier besser ausgestalten? Wie können wir auf der Quartiersebene mehr für Klimaschutz aber auch für die soziale Stabilität tun? Wie bekommen wir unsere Innenstädte wieder lebendiger? Was wird aus den vielen Gebäuden, die vielleicht leer bleiben werden.

Inwiefern sind Einparteienhäuser schlecht fürs Klima?

Ein Einfamilienhaus unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten konsequent geplant und gebaut, d.h. klug platziert, flächeneffizient, energiesparsam, mit guten Materialien, den Lebenszyklus im Blick generationengerecht, kindergerecht usw. usf. ist es ganz bestimmt besser als ein schlecht geplantes und gebautes Mehrfamilienhaus. Klar ist: Man bringt bei Mehrfamilienhäusern mehr Menschen bei gleicher Fläche unter. Und das ist ein Vorteil. Schlecht für Ressourcen und Klima ist dagegen, wenn man Zersiedlung und Bauen im Außenbereich betreibt, ohne ÖPNV, ohne Nahversorgung, ohne kleinteilige Strukturen usw. Diese Wohnsiedlungen bleiben isoliert und Menschen fahren dann meist mit Autos zur Arbeit, meist in Städte. Das bedeutet mehr Verkehr und kostet auch Lebenszeit. Deshalb: Eine Ansammlung von diesen Gebäuden, selbst wenn sie energie- und flächeneffizient sind, macht noch keine nachhaltige Raum- oder Stadtentwicklung aus: Wir müssen es immer vor Ort entscheiden.

Eigenheime können also auch so ausgestaltet sein, dass sie klimafreundlicher sind – etwa durch Photovoltaikanlagen, Dachbegrünungen oder entsprechende Energieeinsparmaßnahmen?

Richtig. Das kann man. Noch besser wäre es, Energie nicht nur für Heizung und Warmwasser zu sparen, sondern die graue Energie, die in den Materialien mitsteckt, auch im Blick zu behalten. Hier stehen wir noch am Anfang, Stichwort Kreislaufwirtschaft. Und ja: Fläche ist eine nicht vermehrbare Ressource. Deshalb ist es klug, sie, wenn man sie schon bebauen muss, für weitere Funktionen zu nutzen, etwa Photovoltaik oder Solarthermie, Begrünung, Dachterrassen – immer mit Blick auf die regionale Baukultur. Gerade im Bestand ist noch sehr viel zu tun. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen egal ob Eigentümer oder Mieter bei einer urbanen Energiewende mitmachen, Sanierungen in ihr Tempo gehen können. Hier muss die Förderpolitik flexibler werden. Wir müssen uns um Quartiere kümmern. Gemeinsam sanieren, Energie gewinnen, Flächen nutzen. Wir müssen vielerorts zu kleinteiligen Strukturen zurück, das schafft mehr soziale Stabilität und übrigens auch kurze Wege.

Welche Alternativen gibt es etwa für junge Familien, die den Wunsch nach einem Eigenheim haben? Für viele kommt der Kauf oder Bau einer Immobilie erst gar nicht in Frage. Gibt es genug bezahlbaren Wohnraum in Deutschland?

Die Frage beinhaltet schon die Antwort. Dort wo es an Wohnraum mangelt, in begehrten Großstädten gibt es nicht genug bezahlbaren Wohnraum, Stichwort Angebot und Nachfrage. Aber der Markt war nie gerecht. Der Wohnungsbau muss nicht ausschließlich, aber eben auch kommunal adressiert werden. In der nächsten Legislaturperiode erwarte ich, dass die Politik dem Thema Wohnen, der sozialen Frage unserer Zeit schlecht hin, und der Stadtentwicklung das nötige Gewicht einräumt. Wenn man z.B. nichts gegen Spekulationen in Grundstücksmärkten unternimmt, können auch soziale Wohnungsbauunternehmen nichts ändern. Und junge Familien sind besonders betroffen. Wenn wir es nicht schaffen die Kluft zwischen Stadt und Land zu mildern, bekommen wir ganz andere Probleme.

Pressemitteilung: Universität Siegen