28. März 2024

Ein smartes Haus für jedermann

(c) Sascha Hüttenhain Photography

Siegen (pm) – Mithilfe von intelligenten Stromzählern und Analysesoftware können Haushalte Strom sparen. Bislang aber haben die Sorge um die Datensicherheit und die Komplexität der Technik den Durchbruch verhindert. Das EU-Projekt GECKO, das vom Bereich für IT-Sicherheit und Verbraucherinformatik der Universität Siegen geleitet wird, entwickelt jetzt sichere und nutzerfreundliche Ideen für das Stromsparhaus der Zukunft. 15 Haushalte aus Siegen und Umgebung werden gesucht, mit deren Hilfe die Technik unter Alltagsbedingungen erdacht und getestet werden soll.

Als vor einigen Jahren die ersten intelligenten Stromzähler auf den Markt kamen, dachten viele, dass damit das große Energiesparen im Haushalt beginnen würde. Die Apparate messen sehr genau, welche Hausgeräte wann wie viel Strom verbrauchen – und spiegeln damit das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer wider. Informatikerinnen und Informatikern gelang es sogar, aus den Daten herauszulesen, wann Menschen zu Bett gehen oder wann sie Fernsehen schauen. Doch es zeigte sich, dass man mit diesen Daten allein wenig anfangen kann. »Die Daten allein sind totes Kapital«, sagt Professor Dr. Gunnar Stevens und erklärt: »Die Kunst besteht darin, daraus richtig gute Ideen für Anwendungsfälle und Energiesparlösungen zu entwickeln, die von den Verbrauchern am Ende auch akzeptiert werden.« Stevens ist Experte für Verbraucherinformatik an der Universität Siegen und weiß, dass sich viele Menschen unbehaglich fühlen, wenn sie nicht wissen, was eine Software eigentlich macht, wenn sie sich fremdbestimmt fühlen und spüren, dass Algorithmen ein Eigenleben führen. »Will man eine sinnvolle smarte Technik für den Haushalt entwickeln, dann muss diese transparent sein und verständlich machen können, warum sie etwas tut«, sagt Stevens.

Siegener Haushalte als Reallabore

Solche Lösungen will Stevens zusammen mit seinem Team, anderen Forschungsinstituten und Unternehmen in den kommenden vier Jahren in dem EU-Projekt GECKO entwickeln. Dafür wurden über das Projekt eigens 15 Nachwuchsforscherinnen und -forscher angestellt. Mit dabei sind Fachleute für Künstliche Intelligenz oder Sozialwissenschaften. Stevens Arbeitsgruppe hat vor allem die Nutzerinnen und Nutzer im Blick. Aktuell – im Spätherbst 2021 – werden Haushalte in der Region Siegen gesucht, die Interesse daran haben, an dem Projekt teilzunehmen. »Wir werden in den Haushalten Smart-Home Technik installieren, um wichtige Verbrauchsdaten zu erfassen und intelligente Bedienkonzepte zu erforschen. Das eigentliche Ziel ist es aber, gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Ideen für smarte Energiesparlösungen zu finden. Es wird eine Auftaktveranstaltung geben, in der das Team den technischen Hintergrund erklärt, außerdem Besuche vor Ort oder auch Gruppentreffen, in denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über ihre Erfahrungen austauschen. Von Anfang an nah am Menschen zu sein, sei ganz entscheidend.

Welche Anwendungsfälle für eine intelligente, nachhaltige und verbrauchernahe Steuerung des Haushalts das GECKO-Projekt am Ende hervorbringen wird, ist noch offen. Aber natürlich gebe es bereits interessante Ansätze, sagt Stevens: etwa das Konzept des »Smarten Vergleichsportals«. Die Idee besteht darin, dass die Algorithmen aus Stromverbrauch und Nutzerverhalten herauslesen, welche Geräte relativ viel Strom verbrauchen und daraus errechnen, ob sich der Kauf eines sparsameren Gerätes lohnt. Die Software könnte aktuelle Preise in Internet-Shops abfragen und dann ermitteln, wann sich der neue Apparat amortisiert hat. Ähnlich könnte die Software errechnen, ob sich der Kauf einer Photovoltaik-Anlage lohnt – und dabei die Vergütung für eingespeisten Strom beziehungsweise aktuelle Strompreise berücksichtigen.

Wie man wirklich Energie spart

»Wichtig ist es auch, die Rebound-Effekte zu berücksichtigen, die am Ende die Energieeinsparungen wieder zunichte machen können«, sagt Stevens. Damit ist gemeint, dass Verbraucherinnen und Verbraucher mit dem Wissen, dass sie Strom sparen, fortan womöglich großzügiger Energie verbrauchen. Hat man sich zum Beispiel von seinem alten, stromfressenden Fernseher getrennt, könnte man zu einem sparsameren LED-Flachbildschirm greifen. Kauft man jedoch ein großes Modell, könnte der neue Fernseher am Ende genauso viel Strom verbrauchen wie der alte. Ähnlich kauften viele Autokundinnen und -kunden zwar effizientere Neufahrzeuge, so Stevens, wählten dann aber größere und schwerere aus. Viele solcher Effekte werden von den GECKO-Arbeitsgruppen in Aalborg (Dänemark) und in Glasgow (Schottland) untersucht. Damit wollen sie von vornherein vermeiden, dass die entwickelten Lösungen am Ende am Rebound-Effekt scheitern.

Technik, die wirklich akzeptiert wird

Stevens beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Verhältnis zwischen smarter Haustechnik und den Nutzerinnen und Nutzern. In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Projekt SmartLive hat sein Team vor einigen Jahren untersucht, wie sich die von Messgeräten erfassten Strom- und Verbrauchsdaten übersichtlich und intuitiv verständlich darstellen lassen. Aus dem Projekt ist das Start-up open.INC hervorgegangen, das heute vor allem für Industriekunden eine Analysesoftware mitsamt einer grafischen Oberfläche anbietet. Diese stellt die Messwerte und Ergebnisse in übersichtlichen Grafiken dar. »Während damals die Visualisierung der Daten im Vordergrund stand, beschäftigen wir uns in GECKO mit der menschlichen Seite«, sagt der Informatiker. Wie kann man Technik so gestalten, dass sie allen Konsumenten einen Mehrwert bietet, dass sie akzeptiert wird und keine Skepsis auslöst? Voraussetzung dafür sei, dass man die Nutzerinnen und Nutzer versteht und ihre Bedürfnisse kennenlernt. »Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die meisten Menschen digitale Überwachungskameras für den Privatgebrauch nutzen, um ihre Haustiere im Blick zu behalten?«

Entscheidend für die Akzeptanz ist vor allem auch die Datensicherheit. Viele Menschen, die heute über Suchmaschinen wie Google im Internet unterwegs sind, wissen sehr wohl, dass ihr Surf-Verhalten gespeichert wird. Etwas ganz anderes ist es aber, wenn rund um die Uhr smarte Stromzähler und andere Messgeräte das eigene Verhalten protokollieren. Wie viele Personen in einem Haushalt leben, wann die Hausbewohner aufstehen, so etwas kann intelligente Software heute spielend leicht herausfinden. »Neuronale Netze, selbstlernende Software, die Verhaltensmuster erkennt – all das ist in den vergangenen Jahren schrittweise zu sehr leistungsfähigen Systemen weiterentwickelt worden«, sagt Stevens. Außerdem gebe es heute sehr viel Rechenpower zu erschwinglichen Preisen. Das mache eine umfassende Datenanalyse möglich. »Allerdings kann man mit Daten Gutes und Schlechtes tun – deshalb entwickeln wir in GECKO Lösungen, die sehr sicher sind und vor Datenmissbrauch schützen.«

Lösungen für jeden

»Ganz wichtig ist dabei, dass wir die Software erklärbar machen«, sagt die Wirtschaftsinformatikerin Christina Pakusch, die in Stevens Team das GECKO-Projekt koordiniert hat. »Die Leute sollen wissen, was die Algorithmen mit den Daten anstellen und warum sie am Ende zu einem bestimmten Ergebnis kommen. Der direkte Draht zu den am Projekt beteiligten Haushalten liegt uns daher sehr am Herzen.« Die beteiligten Haushalte sollen die Bevölkerung möglichst repräsentativ abbilden. »Wir wollen nicht nur mit technikaffinen Menschen zusammenarbeiten, sondern insbesondere auch mit der Vielzahl von Menschen, die einfach gute Technik für den Alltag brauchen«, sagt Timo Jakobi aus der Forschungsteam. »Schließlich sollen am Ende Lösungen entstehen, die allen Menschen nützen.«

Das Projekt GECKO wird von der EU im Rahmen des Förderprogramms Horizon 2020 (Marie Skłodowska-Curie Innovative Training Networks, MSC-ITN) mit rund vier Millionen Euro gefördert. Die Projektkoordination liegt beim Bereich für IT-Sicherheit und Verbraucherinformatik der Universität Siegen. An dem Projekt sind Arbeitsgruppen von Universitäten und Forschungsinstituten aus Dänemark, Deutschland, Griechenland, Großbritannien, Norwegen und Schweden beteiligt. Hinzu kommen Konsortialpartner aus den USA, die aber nicht über die EU gefördert werden. Der Name GECKO ist ein Akronym für »building GrEener and more sustainable soCieties by filling the Knowledge gap in social science and engineering to enable responsible artificial intelligence co-creatiOn«. https://gecko-project.eu/

Pressemitteilung: Universität Siegen