Ab dem 1. August 2024 wird Dr. Stefanie Weidner als Vorständin eine neue Rolle in der Werner Sobek AG übernehmen. Seit 2022 lenkt sie als Büroleiterin das Büro in Kopenhagen und verantwortet als Director of Sustainability Strategies wichtige Nachhaltigkeitsinitiativen. Dr. Stefanie Weidner, die ihre akademischen Wurzeln in Stuttgart und Melbourne hat, erwarb ihren Doktortitel mit „Summa cum laude“ im Bereich urbaner Dichte und Nachhaltigkeit am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart.
Wie haben Sie zur Architektur gefunden?
Stefanie Weidner: Ich wurde schon früh familiär geprägt. Sowohl mein Vater als auch später mein Stiefvater waren Architekten. Dadurch waren Bauwerke, Design und Geometrie bei uns in der Familie immer ein beliebtes Thema. Natürlich hatte ich auch andere Interessen, wie Schauspiel oder Sportwissenschaften, die ich nach der Schule hätte weiterverfolgen können. Letztendlich habe ich mich dann aber doch für Architektur und Stadtplanung entschieden.
Bei wem und wo haben Sie studiert?
Stefanie Weidner: Studiert habe ich an der Universität Stuttgart und an der University of Melbourne. Von den Stuttgarter Architekturprofessoren Cheret, Behling und Schürmann und nicht zuletzt Werner Sobek habe ich während des Studiums am meisten mitgenommen.
Wer oder was hat Sie als Architektin geprägt?
Stefanie Weidner: Bei einem Seminar an der Uni gleich zu Beginn meines Studiums wurde ich erstmals mit den Auswirkungen der gebauten Umwelt auf unseren Planeten konfrontiert. Seitdem ließ mich das Thema nicht mehr los. Für mich war klar, dass meine Arbeit als Planerin nur dann Sinn hat, wenn es uns gelingt, eine lebenswerte Umwelt zu erhalten. Daher habe ich Nachhaltigkeit für mich persönlich zur Grundvoraussetzung für mein Handeln gemacht. In Werner Sobek habe ich einen Lehrer gefunden, der in diesen Bereichen sehr viel Wissen und Erfahrung hat. Er hat mich für viele Aspekte unseres Handelns sensibilisiert und meine Ausbildung unterstützt. Diese frühe Förderung war für mich sehr wichtig.
Sie sind zur Vorständin der Werner Sobek AG berufen worden. Welche Akzente möchten Sie in Ihrer neuen Position setzen?
Stefanie Weidner: Ich freue mich sehr über diese Möglichkeit, die Arbeit unseres Unternehmens durch meine fachliche Expertise in führender Position begleiten zu können. Durch unseren Firmengründer liegt der Fokus der Werner Sobek AG seit jeher auf der Nachhaltigkeit. Mein Ziel ist es, diese Grundhaltung zu stärken und in neue Leistungsbereiche zu integrieren. Verstärkt möchte ich auch Forschungsansätze verfolgen, mit Startups zusammenarbeiten und dazu beitragen, dass unsere Vorreiterposition im Ingenieurwesen bestehen bleibt. Dafür hoffe ich auch auf Bauherren, die mutig genug sind, Innovationen zu fördern und mit uns die Transformation des Bauwesens voranzubringen.
Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie in Ihrer Rolle als Frau und Mutter in der Kombination mit Ihrer Position als Vorständin?
Stefanie Weidner: Natürlich ist es auch für mich eine Herausforderung, gleichzeitig dem Unternehmen und meiner Familie gerecht zu werden. Dass sich mit der Geburt eines Kindes die Prioritäten verschieben, werden sicher die meisten Eltern bestätigen können. Darin liegt aber auch eine Qualität: Man wird quasi dazu gezwungen, noch zielorientierter, selektiver und fokussierter zu arbeiten. Zeit wird noch wesentlich wertvoller als bisher. Sicher sind Mütter – vor allem in meinem Alter, d.h. mit Mitte 30 – bislang die absolute Ausnahme in Vorständen. Nicht zuletzt wird das daran liegen, dass bis vor wenigen Jahren Vorständinnen keinen Mutterschutz nehmen konnten, ohne ihr Amt zu verlieren. Auch dafür möchte ich in den nächsten Jahren sensibilisieren. Umso mehr freut es mich, dass die WSAG so zukunftsorientiert agiert.
Sie waren bislang schon Director Sustainability Strategies bei Werner Sobek. Welche Nachhaltigkeitsstrategien verfolgen Sie bei Ihren Projekten?
Stefanie Weidner: Werner Sobek hat schon Ende der 1990er Jahre den Begriff „Triple Zero“ geprägt: Null Energie aus fossilen Energieträgern, Null Emissionen (sowohl operative als auch graue), Null Abfall über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Dieses Idealbild eines nachhaltigen Gebäudes ist Basis unserer Arbeit. Es wird ergänzt durch soziale und mikroklimatische Aspekte. Unser Ziel ist es, dass möglichst jedes Bauwerk einen Mehrwert für seine Nutzer:innen und für die Umwelt generiert. Dies kann beispielsweise durch eine außergewöhnlich inklusive Nutzung erfolgen oder indem das Gebäude zur Verbesserung des Mikroklimas vor Ort beiträgt. Für mich ist es wichtig, Nachhaltigkeitskriterien nicht nur isoliert zu betrachten. Erst wenn ein Bauwerk in möglichst vielen Punkten stimmig ist, ist es nachhaltig. Wie die jeweiligen Aspekte gewichtet werden, ist dann wiederrum orts- und projektabhängig.
Was sind die wichtigsten Faktoren für Sie als Vorständin eines Fachplanungsbüros, um die Klimaschutzziele zu erreichen? Wie setzen Sie diese in die Praxis um?
Stefanie Weidner: Klimaschutz fokussiert sich aktuell sehr stark auf Treibhausgasemissionen. Zum einen ist dies gut und wichtig, da diese Emissionen stark zum Klimawandel beitragen. Andererseits sind Emissionen nur ein Teil des großen Ganzen, wenn auch ein wichtiger. Übermäßiger Süßwasserkonsum, der Verlust von Biodiversität und der Raubbau an unseren Ressourcen zählen neben vielen weiteren ebenfalls zu den Problemen, die wir alle dringend angehen müssen. Nicht alle davon können wir als Planende beeinflussen – aber es ist schon eine ganze Menge, was wir als Fachplaner:innen und Ingenieur:innen erreichen können!
Wir haben über die letzten Jahre hinweg unsere internen Arbeitsprozesse optimiert, sodass Nachhaltigkeitsbetrachtungen wie z.B. zu Treibhausgasemissionen oder Recyclingfähigkeit standardmäßig in unsere Berechnungen einbezogen werden. Variantenuntersuchungen sind bei uns verpflichtend einem Qualitätssicherungsteam vorzustellen und werden kritisch bzgl. ihrer Nachhaltigkeit hinterfragt. Aus intrinsischer Überzeugung heraus möchten wir damit Bauherren dazu bewegen, nicht immer nur in konventionellen Mustern zu denken, sondern für eine lebenswerte Zukunft einzustehen.
An der Universität Stuttgart haben Sie sich mit adaptiven Gebäudehüllen und Tragwerken beschäftigt. Das übergeordnete Ziel der Adaptivität ist eine Minimierung des Material- und Energieverbrauchs sowie eine Reduktion der mit dem Bauwerk verbundenen direkten und indirekten Emissionen von Treibhausgasen. Auf dem Campus wurde ein adaptives Hochhaus, der Demonstrator D1244, errichtet. Welche Erkenntnisse wurden bisher gewonnen? Welche Erkenntnisse werden in die Praxis umgesetzt?
Stefanie Weidner: Die Forschungen laufen derzeit noch auf Hochtouren. Aktuell bewirbt sich der SFB 1244 für die dritte und letzte Förderperiode. Die bisherigen Forschungen haben bewiesen, dass es wirklich sinnvoll und möglich ist, Material und Ressourcen durch intelligente, adaptive Systeme zu ersetzen. Aber es wird sicherlich noch einige Zeit dauern, bis wir die ersten realisierten Projekte sehen. Leider ist das Bauwesen nach wie vor sehr träge und benötigt viel Zeit, bis Forschungsergebnisse breitflächig in die Praxis umgesetzt werden. Als erstes könnte ich mir vorstellen, dass nicht-lastabtragende Bauteile z.B. adaptive Fassadensysteme in der Praxis angewandt werden.
Sie sind auch Büroleiterin von Werner Sobek København in Dänemark. Wie unterscheidet sich die dänische Arbeitsweise von der in Deutschland?
Stefanie Weidner: Auch in Dänemark sind wir vor allem als Ingenieure und Nachhaltigkeitsexperten tätig und unterstützen die dänischen Architekt:innen bei zukunftsfähigen Projekten. Die dänischen Architekturbüros sind momentan auch außerhalb ihres Landes sehr erfolgreich. Das liegt meiner Meinung nach unter anderem an ihrer Entwurfsstärke, die stets den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Soziale Aspekte und auch die Einbindung in den städtischen Kontext spielen eine sehr große Rolle für die Dänen. Und häufig führt diese Denkweise auch gleichzeitig zu nachhaltigen Bauwerken.
In welchem Bereich nimmt aus ihrer Sicht Dänemark eine Vorreiterrolle ein? Was kann sich Deutschland von den Dänen abschauen?
Stefanie Weidner: Dänemark zeichnet sich durch eine sehr wissenschaftsvertrauende Bevölkerung aus. Das bedeutet, dass Fakten und Daten wie z.B. zum Klimawandel und seinen Auswirkungen in ganzer Breite Glauben geschenkt wird und die Anforderungen, die für ein entsprechend zukunftsfähiges Handeln notwendig sind, positiver angenommen werden. So hat sich Dänemark schon in den 1990er Jahren breitflächig in Richtung Fernwärme und fossilfreie Energie transformiert, während wir hier in Deutschland noch längst nicht auf dem dänischen Stand sind. Im Bereich Neubau gibt es seit 2023 ebenfalls eine sehr positive Entwicklung, denn jedes Gebäude über 1.000 m² Fläche muss einen verbindlichen CO2-Grenzwert einhalten, der alle paar Jahre nach unten korrigiert und somit nachgeschärft wird. So etwas gibt es in Deutschland leider nicht – dadurch ist häufig der ökonomische Zwang nachhaltig zu bauen nicht gegeben.
In welchen Bereichen nutzt ihr Büro Künstliche Intelligenz? Welche Ansätze finden Sie besonders zukunftsweisend?
Stefanie Weidner: Wir sind gerade dabei, den richtigen Umgang und die richtigen Einsatzmöglichkeiten für KI zu eruieren. Unsere Task Force Digital Think Tank beschäftigt sich intensiv mit genau dieser Fragestellung. Die Herausforderung liegt für mich in der Nachvollziehbarkeit der erzeugten Ergebnisse. Wenn wir planen und beraten ist es ja unser Anspruch, stets genau zu wissen, wie sich die Zahlen und Resultate zusammensetzen. Nur auf einen Knopf zu drücken und irgendwelche Ergebnisse zu erhalten, mag zwar zeitsparend sein. Es verhindert aber, dass man ein tieferes Verständnis für die Fragestellung entwickelt.
Wie lautet Ihr Wahlspruch?
Stefanie Weidner: Eine gute Frage – bislang habe ich tatsächlich noch keinen solchen Wahlspruch. Wenn ich mich für einen entscheiden müsste, wäre dies aber sicher folgender: „Die Bereitschaft zum Vorausdenken, Umdenken und Neudenken ist grundlegende Voraussetzung für eine generationengerechte Architektur“.