27. April 2025

Dipl.-Ing. Stefan Wulff, Geschäftsführender Gesellschafter bei OTTO WULFF, im Interview: „Das schaffen wir nur gemeinsam!“

Stefan Wulff, als Architekt führen Sie in dritter Generation das Familienunternehmen OTTO WULFF. Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 1932, damals noch als Holzbaubetrieb in Hamburg-Billstedt. Während der 1950er Wirtschaftswunderjahren entwickelte sich OTTO WULFF zu einem leistungsfähigen und erfolgreichen Bauunternehmen. Heute deckt das Unternehmen das gesamte Leistungsspektrum der Immobilien- und Bauwirtschaft ab. Zum Kerngeschäft zählen Grundstücksakquisition, Projektentwicklung, Hochbau, Infrastrukturbau sowie das Betreiben und Verwalten von Immobilien. An seinen Standorten in Hamburg, Berlin und Leipzig beschäftigt OTTO WULFF mehr als 650 Mitarbeitende.

Stefan Wulff

Wie hat das von Ihrem Vater und Großvater gegründete Familienunternehmen Sie in Ihrer Kindheit und als junger Erwachsener geprägt?

Stefan Wulff: Als Kind war ich viel bei meinen Großeltern, die damals noch direkt auf dem Firmengelände gewohnt haben. Ich habe das damals als großen Abenteuerspielplatz wahrgenommen und habe viele positive Erinnerungen. Vor allem die schönen Seiten sind mir im Gedächtnis geblieben. Doch auch die Herausforderungen, die das eigene Geschäft mit sich bringt, habe ich schon als Kind wahrgenommen.

Wie kamen Sie zur Architektur und wo haben Sie Ihr Studium absolviert?

Stefan Wulff: Nachdem ich die Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert habe, hat mich die Faszination für das Bauen doch gepackt. Nach drei Semestern im Studiengang Bauingenieurwesen in Kiel habe ich den Studiengang gewechselt und mich für Architektur in Hamburg entschieden, weil hier der Hochbau stärker gewichtet wurde.

Welche neuen Impulse haben Sie als Architekt in die ursprüngliche Bauunternehmung eingebracht?

Stefan Wulff: Nachdem ich zwei Jahre in einem anderen Unternehmen erste Erfahrungen gesammelt habe, bin ich 1995 als Bauleiter bei OTTO WULFF eingestiegen. Ab dem Jahr 2000 wurde ich Geschäftsführer und habe mich ab dann vor allem auf den Ausbau der Projektentwicklung konzentriert. Wir hatten auch vor 2000 schon Erfahrungen in diesem Bereich, doch das waren einzelne und kleine Projekte. Mein Werdegang als Architekt hat dazu beigetragen, dass die Projektentwicklung als Geschäftszweig gewachsen ist und wir unsere Position am Markt weiter ausbauen konnten. Fortan haben wir zunehmend Wert daraufgelegt, die gesamte Wertschöpfungskette einer Immobilie abzubilden.

Rahmenbedingungen

Ist die Einführung des Gebäudetyps E eine echte Innovation? Wird diese zu realen Kosteneinsparungen im Wohnungsbau führen?

Stefan Wulff: Die Idee des Gebäudetyps E ist durchaus als innovativ zu bezeichnen. Die Standards haben sich in den letzten Jahren immer weiter verschärft und erschweren uns das einfache und kostengünstige Bauen. Verstärkt wird dies durch diverse andere politische Entwicklungen. Mit dem Gebäudetyp E geht’s nun endlich in die richtige Richtung. Abzuwarten bleibt nun, wie sich das theoretische Konzept in der Realität entwickelt.

Der veraltete Gebäude- und Infrastrukturbestand bedarf einer Erneuerung oder Sanierung. Aufgrund regional unterschiedlicher wirtschaftlicher und demographischer Entwicklungen muss rückgebaut, um- oder neugebaut werden. Energiewende, Dekarbonisierung und Klimaanpassung erfordern ebenfalls erhebliche Bauinvestitionen. Angenommen, der Bundesfinanzminister bittet Sie um Ihre Meinung zu Bauinvestitionen mittels Sondervermögen oder Schuldenaufnahme, wie würden Sie darauf antworten?

Stefan Wulff: Wichtig für effektive Investitionen ist eine langfristige Planbarkeit, denn nur diese hilft uns weiter. Die Bau- und Immobilienbranche lebt in langen Zeiträumen und kann mit kurzfristigen Entwicklungen meist nur schwer arbeiten. Außerdem wäre eine Anpassung der grundsätzlichen Rahmenbedingungen wünschenswert, abseits von einzelnen Maßnahmen und Förderungen. Auch dies würde die langfristige Planbarkeit fördern. Die punktuellen Programme und Maßnahmen sollten sich zudem mit den grundlegenden Rahmenbedingungen ergänzen und nicht gegenseitig blockieren, wie es teils in Hamburg aufgrund städtebaulicher Verhaltensvorgaben der Fall ist.

Innovationen

OTTO WULFF hat am EU-Projekt CIRCuIT* teilgenommen. Wie kam es dazu und was hat Sie motiviert, sich wissenschaftlich mit Kreislaufwirtschaft auseinanderzusetzen?

Stefan Wulff: Wir sehen Nachhaltigkeit als gesamtgesellschaftliches Thema an und setzen uns daher intensiv damit auseinander. Auch wir haben eine Verantwortung zu tragen und müssen bewusster mit unseren Ressourcen umgehen. Das ist nicht nur gesellschaftlicher Druck, sondern vor allem intrinsisches Bestreben, welches uns antreibt. Schon vor einigen Jahren haben wir den Stein mit dem Algenhaus in Wilhelmsburg ins Rollen gebracht. Als sich uns die Chance bot, am EU-Forschungsprojekt CIRCuIT teilzunehmen, haben wir die Gelegenheit genutzt. Wir möchten uns stets weiterentwickeln und sind stolz, dass wir mit so großartigen Partnern an diesem Projekt arbeiten durften.

Im Rahmen des Forschungsprojekts CIRCuIT entwickelten Sie ein innovatives Recyclingbeton-Rezept, die „Hamburger Mische“. Der 100 % aus Recylingmaterial bestehende Beton wurden erstmalig bei einem Schulbauprojekt in Hamburg-Eilbek für bestimmte tragende Innen- und Außenwände verbaut. Welche Erfahrungen haben Sie und die Projektbeteiligten damit gemacht?

Stefan Wulff: Wir haben mit dem Projekt in der Richardstraße bisher nur positive Erfahrungen gemacht. Lediglich die Bürokratie war hier eine kleine Hürde, denn die „Hamburger Mische” bedarf aktuell immer noch einer Zulassung im Einzelfall. Jedes Projekt, bei dem die „Hamburger Mische” zum Einsatz kommt, liegt außerhalb der Norm und muss daher genehmigt werden. Hier wäre ein Abbau der Bürokratie eine enorme Erleichterung. Die Richardstraße und auch die Musterbude auf unserem Firmengelände zeigen: Die „Hamburger Mische” funktioniert! Jetzt brauchen wir nur noch bessere Rahmenbedingungen und mutige Bauherrn.

Wie wurden die bauordnungsrechtlichen Nachweise für die „Hamburger Mische“ erbracht?

Stefan Wulff: Beton darf, wenn die Mischungsrezepte einem umfangreichen Regelwerk folgen, ohne größeren Prüfaufwand regelmäßig eingesetzt werden. Die „Hamburger Mische“ weicht sowohl qualitativ als auch quantitativ von der zulässigen Beimischung von Rezyklaten erheblich ab. Daher ist eine Zulassung im Einzelfall (ZiE) oder die Erwirkung einer allgemeinen Bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) der Rezeptur notwendig. Für eine vorhabenbezogene ZiE mussten umfangreiche Untersuchungen zu Betoneigenschaften bis zu Langzeitverhalten durch eine Materialprüfanstalt vorgenommen werden. Aus den Ergebnissen wurde ein Gutachten erstellt, das der Bauaufsicht zur Prüfung vorgelegt wurde. Durch die Vorkenntnisse aus dem Forschungsprojekt und die enge und offene Zusammenarbeit mit dem Amt für Bauordnung (ABH-31) und der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) konnten wir sehr schnell zu einer Genehmigung mit optimierten Prüfungen und Kosten gelangen. Die Überprüfung auf der Baustelle war in der Folge nicht aufwändiger als für herkömmlichen Beton. Die BSW hat vor Kurzem die Schaffung einer neuen Zulassungsstelle mit Schwerpunkt auf Reuse- und Rezyklingmaterialien beschlossen, um gerade diese Hürde bei der Wiederverwendung von Baustoffen zu erleichtern. In Deutschland ist Hamburg damit Vorreiter.

Kreislaufwirtschaft

Aktuell entwickeln Sie im Zuge von CIRCuIT ein kreislaufwirtschaftliches Pilotprojekt „Wilhelmsburger Rathausviertel” in Hamburg. Geplant sind rund 185 Eigentumswohnungen sowie frei finanzierte als auch geförderte Mietwohnungen. Es sollen 50 % recycelte Materialien und emissionsreduzierte, ressourceneffiziente Baustoffe verwendet werden. Auch die „Hamburger Mische“ soll dort zum Einsatz kommen. Das Werkstattverfahren für das durchmischte Wohnquartier hat Behnisch Architekten gewonnen. Kreislaufwirtschaft soll als zentraler Designansatz in das Planungsverfahren, die Grundrisskonzepte und die städtebaulichen Rahmenbedingungen einfließen.

Wie beurteilen Sie die Entwurfsideen von Behnisch Architekten?

Stefan Wulff: Unsere Zusammenarbeit mit Behnisch Architekten basiert auf der Grundlage eines integrativen Workshopverfahrens. Wir haben hier unter ganz anderen Rahmenbedingungen als bei einem klassischen Wettbewerbsverfahren gearbeitet. Das Team von Behnisch ist mit einer anderen Herangehensweise an das Projekt herangetreten. Erst im zweiten Schritt ist der eigentliche Entwurf entstanden. Das gesamte Verfahren war geprägt von einem Miteinander. Wir haben alle im Laufe des Prozesses viel gelernt, mit- und voneinander. Das Vorgehen hat entscheidend zum Erfolg und zur Qualität des Verfahrens und der Ergebnisse beigetragen.

© Behnisch Architekten / moka studio

Vor welche Herausforderungen stellt Sie als Projektentwickler und Bauunternehmer der kreislaufwirtschaftliche Ansatz im „Wilhelmsburger Rathausviertel“?

Stefan Wulff: Wir haben in den letzten Jahren schon viel in Sachen Kreislaufwirtschaft bewegt. Wir haben uns ausgetauscht, diskutiert, gemeinsam geforscht und gelernt. Dennoch sind wir noch nicht so weit, dass wir den Ansatz bei jedem Projekt anwenden können. Der maßgebliche Grund dafür ist, dass es noch keine Infrastruktur gibt. Da wäre zum Beispiel die Materialverfügbarkeit. Es gibt noch keine Lager oder Katalogisierung von Material. Das muss alles noch aufgebaut werden.

Auf der anderen Seite wäre auch hier, wie in so vielen anderen Bereichen, der Abbau von Bürokratie von essenzieller Bedeutung. Projekte die aktuell schon mit der „Hamburger Mische“ umgesetzt werden, brauchen zum Beispiel jedes Mal eine Genehmigung im Einzelfall. Somit bleibt die Anwendung nur eine Nischenlösung. Nur wenn sie zur Norm wird, ist sie eine echte Alternative zum klassischen Beton. Die Strukturen müssen also in vielen Bereichen noch nachgezogen werden, um auch echte Anreize, für ein Bauen nach dem kreislaufwirtschaftlichen Ansatz, zu schaffen.

Im „Wilhelmsburger Rathausviertel” soll bezahlbarer Wohnraum entstehen. Wie lässt sich der soziale Wohnungsbau mit dem kreislaufwirtschaftlichen und nachhaltigen Ansatz wirtschaftlich gestalten?

Stefan Wulff: Neben den fehlenden Strukturen und den bürokratischen Hürden ist auch die Wirtschaftlichkeit eine der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Diese geht mit der Schaffung der Strukturen einher. Je besser diese gewachsen sind, desto wirtschaftlicher lassen sich kreislaufwirtschaftliche Projekte gestalten. Es gibt diverse gute Ideen, Konzepte und auch schon erste Wege, für die Realisierung. Wilhelmsburg zeigt es. Es bleibt abzuwarten, was sich letztlich durchsetzt und in der Praxis angewendet wird. Der Ansatz der Kreislaufwirtschaft wird nicht für alle Projekte anwendbar sein. Dennoch müssen wir alle gemeinsam daran arbeiten, dass sie ein fester Bestandteil der gebauten Zukunft wird. Das muss unser aller Ziel sein!

Wie lautet Ihr Wahlspruch?

Stefan Wulff: Das schaffen wir nur gemeinsam! Es erfordert nicht nur mutige Bauherren, die bereit sind, kreislaufwirtschaftliche Projekte zu realisieren, sondern es braucht auch mehr Unterstützung und Erleichterung aus der Politik. Nur so können Strukturen geschaffen, bürokratische Hürden erleichtert werden und Kreislaufwirtschaft gefördert werden!

Vielen Dank für das Interview.

_________
*Der Name des EU-Projektes CIRCuIT steht für Demonstrating systemic urban development for circular and regenerative cities und zielt darauf ab, innovative Lösungen zur Schließung des Kreislaufs von städtischen Materialien und Ressourcenströmen im Bausektor („circular construction“) aufzuzeigen. In den vier Projektstädten Hamburg, Kopenhagen, London und Helsinki-Vantaa arbeiten seit Juni 2019 über 30 kommunale Partner, Unternehmen und wissenschaftliche Institutionen gemeinsam an kreislaufwirtschaftlichen Ideen und Ansätzen und zeigen diese an realen Demonstratoren auf. In Hamburg koordiniert die Senatskanzlei das Projektteam, das sich aus Expertinnen und Experten der Technischen Universität Hamburg, den Hamburger Unternehmen EGGERS Gruppe, OTTO WULFF Bauunternehmung GmbH und OTTO DÖRNER GmbH & Co. KG sowie dem Beratungsbüro e-hoch-3 eco impact experts GmbH & Co. KG zusammensetzt.