28. März 2024

DGfM: „Die neue Ministerin kann auf die Mauerwerksindustrie bauen“

Für DGfM-Geschäftsführer Dr. Ronald Rast enthält der Koalitionsvertrag genau die Weichenstellungen, die ein innovativer, klimaneutraler Industriestandort braucht. Die Mauerwerksindustrie wird die Politik bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben aktiv unterstützen. (c) DGfM | Christoph Große

Berlin (pm) – Auf die kommende Bundesregierung warten große Herausforderungen: die Wirtschaft muss angekurbelt, die Wohnungsfrage gelöst und die Klimaziele erreicht werden. Der Koalitionsvertrag skizziert auf 177 Seiten, wie Deutschland zu einem modernen, klimaneutralen Industriestandort umgebaut werden soll. Im Interview erläutert Dr. Ronald Rast, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau e.V. (DGfM), warum die Mauerwerksindustrie bei der Schaffung von klimaneutralem, kostenoptimiertem und sozialverträglichem Wohnraum ein unverzichtbarer Partner für die Politik ist und die Arbeit des neuen Bauministeriums nach Kräften unterstützen wird.

 

Herr Dr. Rast, der Koalitionsvertrag wird von der Wirtschaft auf breiter Front gelobt. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Dr. Ronald Rast: Ich schließe mich den lobenden Worten an. Dass das Bauministerium nach 23 Jahre endlich als eigenständiges Ressort mit am Kabinettstisch sitzt, ist ein absolut starkes Signal. Wenn alles, was geplant ist, auch wirklich so umgesetzt werden kann, wären wir sehr zufrieden. Die Zielmarke von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr – davon 100.000 Sozialwohnungen – ist ambitioniert, aber mit vereinten Kräften und flankiert von einem starken, durchsetzungsfähigen Ministerium machbar. Wenn man bedenkt, dass 30 Prozent der CO2-Emissionen, 40 Prozent des Ressourcenverbrauchs und 50 Prozent des Abfallaufkommens durch das Bauen verursacht werden, wird deutlich, dass unsere Branche nicht nur ein zentraler Hebel zur Erreichung der Wohnungsbauziele, sondern auch zur Erreichung der Klimaziele ist.

Welche politischen Baustellen muss die neue Bauministerin Klara Geywitz als Erstes angehen?

Dr. Ronald Rast: Wichtig ist es, dass die geplanten Maßnahmen schnellstmöglich umgesetzt werden. Bis zur parlamentarischen Sommerpause sollten die gesetzlichen Weichen so gestellt sein, dass die Unternehmen eine langfristige Planungsperspektive erhalten, um möglichst schnell ihre Kapazitäten auszubauen, und die Investoren schnell klare förder- und steuerpolitische Rahmenbedingungen bekommen, damit ohne Attentismus Entscheidungen insbesondere für mehr sozialen und bezahlbaren Wohnungsbau getroffen werden können. Die neue Regierung hat potenzielle Hindernisse identifiziert und konkrete Lösungsansätze präsentiert. Durch höheres und dichteres Bauen sowie eine erweiterte Befreiung von Bebauungsplänen soll teures und knappes Bauland effizienter genutzt werden. Mit der Anhebung der linearen Abschreibung von zwei auf drei Prozent und in Aussicht gestellten weiteren Abschreibungen werden Investitionen in den Mietwohnungsbau deutlich attraktiver. Die Genehmigungszeiten sollen durch eine vollständige Digitalisierung der Bauleitplanverfahren, eine bessere Personalausstattung in den Bauämtern sowie eine Ausweitung genehmigungsfreier Gebäudetypen halbiert werden. Um Neubau und Bestandssanierung in der geplanten Größenordnung und Geschwindigkeit realisieren zu können, sind nahezu doppelt so viele Fachkräfte nötig, wie nach dem Ausscheiden der Babyboomer-Jahrgänge in den nächsten 5-7 Jahren noch zur Verfügung stehen werden. Durch eine Aus-, Fort- und Weiterbildungsinitiative, die Entfristung und Ausweitung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes sowie eine Erhöhung des Frauenanteils will man zusätzliche Arbeitskräfte mobilisieren. Das alles könnte im Zusammenspiel für den dringend benötigten Schub auf den Baustellen sorgen.

Gibt es auch Punkte, die Sie kritisch sehen?

Dr. Ronald Rast: Die Fokussierung auf den Energieeffizienz-Standard KfW 40 im Neubau sollte dringend überdacht werden. Der hohe planerische und bauliche Aufwand ist so kostenintensiv, dass er in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zur eingesparten Energie steht. Um diesen Standard zu erreichen, ist komplexe instandhaltungs- und wartungsintensive Gebäudetechnik notwendig. Hinzu kommt die vergleichsweise kurze Lebensdauer. Während ein Haus aus Mauerwerk bis zu 100 Jahre und mehr stehen kann, muss die in ihm verbaute Gebäudetechnik im gleichen Zeitraum mindestens dreimal erneuert werden. Der KfW 40-Standard ist also mit hohen Folgekosten verbunden, die steigende Mieten nach sich ziehen. Dieses Beispiel zeigt sehr gut, dass Klimaschutz, Bezahlbarkeit und soziale Ausgewogenheit zusammen gedacht werden müssen. Das hat auch die neue Bundesregierung erkannt. Ab 2022 soll die Förderprogrammatik im Wohnungsneubau von eingesparter Energie auf eingesparte CO2-Emissionen pro Quadratmeter Wohnfläche umgestellt werden, was wesentlich zielführender ist.

Wie lässt sich Wohnungsbau realisieren, der hohen Klimaschutzanforderungen gerecht wird und trotzdem für alle bezahlbar ist?

Dr. Ronald Rast: Bezahlbares Wohnen fängt immer mit wirtschaftlichem Bauen an. Modulare, typisierte und serielle Bauweisen senken die Kosten ebenso wie der Verzicht auf teure Extras, wie z.B. Tiefgaragen. Mit typisiertem Mauerwerk ist es möglich, einen Quadratmeter Wohnraum zu Bauwerkskosten von unter 2.000 Euro zu errichten, der zudem noch eine gute Ökobilanz aufweist. Geht man von einer realistischen Standzeit von 80 Jahren aus, ist dieses Wohngebäude über den gesamten Lebenszyklus sogar umweltfreundlicher als ein vergleichbares Gebäude in Holzleichtbauweise. Der ökobilanzielle Vorteil resultiert aus der Wärmespeicherfähigkeit des Materials, die zu einem geringeren Heizenergiebedarf führt, sowie aus der überdurchschnittlichen Wiederverwertungsquote von 94 Prozent am Ende des Lebenszyklus. Weiteres Einsparpotenzial eröffnen regionale Baustoffe. Während die Preise für Holz, Baustahl und Dämmstoffe in den letzten Monaten förmlich explodiert sind, gab es bei Mauersteinen lediglich moderate Preisanpassungen im niedrigen einstelligen Bereich. Die Unabhängigkeit von internationalen Wertschöpfungsketten und die kurzen Transportwege zahlen sich hier aus. Da lange energie- und emissionsintensive Transporte entfallen, wird zudem die Umwelt entlastet.

Die neue Bundesregierung will den Flächenverbrauch begrenzen. Wie kann neuer Wohnraum geschaffen werden, ohne neue Flächen zu versiegeln?

Dr. Ronald Rast: Neben der Verdichtung in Form von Aufstockung, An- und Umbau wird die Umnutzung eine größere Rolle spielen. Dabei sind auch unkonventionelle Lösungen gefragt. Laut einer aktuellen Umfrage von PricewaterhouseCoopers wird sich der coronabedingte Trend zum Homeoffice nach der Pandemie verstetigen. Das hat zur Konsequenz, dass Büroflächen in bester Innenstadtlage teilweise frei werden. Nach Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. ließen sich durch die Umwandlung von Büro- in Wohngebäude bis 2040 rund 1,9 Millionen neue Wohnungen schaffen. Und dies zu Kosten, die bis zu 60 Prozent unter denen eines Neubaus liegen. Zudem werden durch die Weiterverwendung vorhandener Bausubstanz Energie und Ressourcen eingespart. Ein weiterer positiver Aspekt ist die CO2-Einsparung in Höhe von bis zu 9 Millionen Tonnen pro Jahr, die sich dann aus der Reduzierung des Pendelverkehrs ergibt.

Klimaneutrales Bauen fängt mit klimaneutral hergestellten Bauprodukten an. Hat die neue Bundesregierung hier die richtigen Weichen gestellt?

Dr. Ronald Rast: Der im Koalitionsvertrag verankerte Maßnahmenmix aus Technologieoffenheit, Transformationsfonds, Superabschreibungen, Förderprogrammen, Investitionshilfen, Carbon-Leakage-Schutz sowie Abschaffung der EEG-Umlage ist richtig und wichtig. Am aller wichtigsten ist aber der schnelle und konsequente Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur. Dazu muss im größeren Umfang in unsere Anlagentechnik investiert werden, wozu die überwiegend mittelständischen Firmen geeignete Förderungen benötigen. Für uns als Mauerwerksindustrie ist es auch elementar wichtig, dass uns die vorgelagerten Partner in der Prozesskette, also die Kalk- und Zementhersteller, mit klimaneutralen Vorprodukten beliefern. Denn nur dann können wir klimaneutral produzieren. Auch wenn das Thema von einigen nach wie vor kritisch gesehen wird, müssen wir über CO2-Abscheidung und CO2-Nutzung diskutieren. In Baden-Württemberg wurde ein Pilotprojekt gestartet, bei dem abgeschiedenes CO2 aus Zementwerken zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe, sogenannter eFuels, genutzt wird. Wenn CO2 nicht nur abgeschieden wird, sondern die Grundlage für klimafreundliche Technologien bildet, hat dies einen doppelt positiven Klimaeffekt, der absolut begrüßenswert ist. Ein weiteres Thema ist die Forschungsförderung. Wenn wir unsere Mauersteine in Zukunft mit klimaneutralen Vorprodukten herstellen, muss durch entsprechende begleitende Forschungsaktivitäten gesichert sein, dass die finalen Bauprodukte alle Anforderungen an sicheres und nachhaltiges Bauen weiterhin gewährleisten. Auch die Realisierung vollständig rückbaubarer und recyclingfähiger Baukonstruktionen bedarf noch intensiver Forschung und Entwicklung, die unsere überwiegend mittelständische Baustoffindustrie nicht ohne staatliche Unterstützung stemmen kann.

Pressemitteilung: Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau e.V.