29. April 2024

„Deutschland hat seine Magnetwirkung verloren.“

Markus Böll Präsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg e.V. (c) Bauwirtschaft Baden-Württemberg e.V.

Stuttgart (ab) – Die Herausforderungen für die Bauwirtschaft sind auch in Baden-Württemberg groß. Energiewende, klimafreundliches Bauen und Fachkräftemangel sind einige der aktuellen Themen. Die konjunkturellen Entwicklungen sind vor dem gesamtwirtschaftlichen Hintergrund „noch befriedigend“, so Markus Böll, Präsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. „Ich bin froh, dass die Bauwirtschaft ein großes Polster hat. Die Delle wird kommen.“

Energiewende und klimafreundliches Bauen

„Die Bauwirtschaft trägt eine hohe Verantwortung für die Gebäude der Zukunft“, so Markus Böll. „Häuser müssen heute so gebaut werden, dass sie möglichst wenig oder gar keine Energie verbrauchen. Dazu benötigen wir eine bessere Kombination von regenerativen Energien und innovativen Bauweisen. So lassen sich energieautarke Häuser realisieren.“ Als Beispiel nennt er die thermische Bauteilaktivierung. Damit bezeichnet man Heiz- bzw. Kühlsysteme, bei denen wasser- oder luftführende Rohrleitungen durch Wände und Decken verlaufen und zugleich die hervorragende Speicherkapazität von massiven Bauteilen zur Temperaturregulierung nutzen. „Um die Energiewende voranzubringen, sollte diese Technologie möglichst flächendeckend zum Einsatz kommen“, so Markus Böll.

Förderpolitik

Eine kontinuierliche Förderpolitik der Bundesregierung und eine Erhöhung der Fördergelder seien dabei hilfreich. „Wer fordert muss auch fördern“, sagte Markus Böll und blickt mit Sorge auf die zahlreichen Stornierungen von Bauprojekten in Baden-Württemberg aufgrund der „sprunghaften“ Förderpolitik.

Es zeichne sich ab, dass das für 2023 angekündigte neue Förderprogramm „Klimafreundliches Bauen“ lediglich mit 1 bis 1,5 Milliarden Euro ausgestattet wird. „Dieser Betrag ist viel zu niedrig angesetzt. Seit Jahren werden den Bauherren immer neue und zusätzliche Kosten aufgebürdet. Die Messlatte liegt zu hoch. Da springen viele Bauwillige nicht mehr drüber, sondern sie springen ab“, kritisiert Markus Böll.

Abwrackprämie für Bestandgebäude

Zudem könnten nicht alle alten Bestandsgebäude saniert werden. Markus Böll schlägt daher eine Abwrackprämie für ungenutzte Altimmobilien vor. Dadurch würde man Anreize schaffen, um Altbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht lohnt, abzureißen. An ihrer Stelle könnten neue Wohngebäude entstehen, ohne zusätzlich Flächen zu verbrauchen.

Fachkräftemangel

Ein weiteres Problem, mit dem die Branche zu kämpfen hat, ist der enorme Fachkräftemangel, trotz gestiegener Ausbildungsquoten. Darüber klagen gut 40 Prozent aller Bauunternehmen. Hauptgrund ist der demografische Wandel. Überdies wird es immer schwieriger, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen, denn das Lohnniveau hat sich mittlerweile insbesondere in den osteuropäischen Ländern deutlich an den Westen angepasst.

„Deutschland hat seine Magnetwirkung verloren“ und hat es schwer im „Kampf um die besten Köpfe“ in der Bauwirtschaft, resümiert Markus Böll. „Der Fachkräftebedarf ist die größte Herausforderung unserer Gesellschaft.“ Die Herausforderung wird europaweit angenommen. Markus Böll berichtet, dass Polen mit steuerfreien Beträgen locke und Kroatien eine Prämie für Existenzgründer biete, die aus dem Ausland zurückkommen.

Die Bauwirtschaft Baden-Württemberg hat Lösungsvorschläge.

Um den Wettbewerb „fähiger Leute“ zu gewinnen, müsse bei den Arbeitnehmern „mehr netto vom brutto“ ankommen Markus Böll fordert einen „steuerfreien Respektzuschlag“.

Der Fachkräftemangel könne auch kurzfristig abgemildert werden, indem man Arbeitnehmern, die vor ihrem Ruhestand stehen, Anreize gebe, weiterzuarbeiten mit reduziertem Stundensatz und steuerlichen Anreizen. Das Know-how ginge dadurch nicht verloren.

Auch die Integration ausländischer Fachkräfte bleibe ein wichtiges Mittel, den Bedarf an Fachkräften zu decken.