19. April 2024

Der «Future Tree»: Pilotprojekt für parametrische Planung und neuartige Baumethoden

Das Holzdach des Future Tree besteht aus reziproken Knoten. Im parametrischen Modell konnten unter anderem die Maschenweite und die Wölbung angepasst werden. © Basler & Hofmann AG / Stefan Kubli

Zürich (pm) – Am eigenen Erweiterungsbau in Esslingen, Kanton Zürich, erprobt Basler & Hofmann in einer Entwicklungspartnerschaft mit der ETH Zürich und mit der Erne Holzbau neue Planungs- und Bauverfahren, die direkt aus dem Forschungslabor kommen. Den offenen Aussenpavillon «Future Tree» – eine kombinierte Holz-Beton-Konstruktion – hat das Projektteam vollständig parametrisch geplant. Das Holztragwerk wurde mit einem Fertigungsroboter bei der Erne Holzbau erstellt. Für die geometrisch komplexe Betonstütze kam ein neuartiges Bauverfahren der ETH Zürich zum Einsatz – das so genannte Eggshell-Verfahren, das eine gänzlich neue Formensprache im Betonbau ermöglicht.

Die Möglichkeiten der Digitalisierung maximal ausloten

Beim Bauen ist man gerne auf der sicheren Seite: Nur, was sich bewährt hat, wird verwendet. Neuartige Bauverfahren, die sich noch in der Erforschung befinden, kommen selten zum Zug. Das Ingenieur-, Planungs- und Beratungsunternehmen Basler & Hofmann nutzt deshalb seine eigenen Bauvorhaben dazu, neue Technologien und Wege zu erproben. Der Bürostandort in Esslingen ist so immer wieder zum unternehmensinternen Entwicklungslabor geworden: 1996 mit dem ersten Minergie-Bürogebäude im Kanton Zürich, 2010 mit einem annähernd energieautarken Bürohaus, dessen Energiebedarf dank eines neuartigen Erdspeicher-Konzepts ganzjährig durch die Sonne gedeckt wird. Beim jüngsten Erweiterungsbau lautete nun der Anspruch, die Möglichkeiten der Digitalisierung im Planungs- und Bauprozess maximal auszuloten. Das Gebäude wurde komplett als digitaler Zwilling erstellt, bevor draussen der erste Spatenstich gesetzt wurde. Gebaut wurde direkt aus dem Modell, d.h. gänzlich ohne Papierpläne – von der Bauleitung über die Bauausführung bis zur Produktion von Bauteilen. Komplettes Neuland betrat das Unternehmen mit einem Pavillon, der den Innenhof des Erweiterungsbaus überspannt, und dem das Planungsteam aus gutem Grund den Namen «Future Tree» gegeben hat. Er entstand in einer Entwicklungspartnerschaft zwischen Basler & Hofmann und Gramazio Kohler Research, Professur für Architektur und Digitale Fabrikation an der ETH Zürich, und der Erne Holzbau.

Die Idee des «Future Tree»

Der Erweiterungsbau liegt auf der Rückseite des bestehenden Gebäudes und bildet mit seinen beiden Seitenflügeln einen spitzen Winkel. Dadurch entsteht ein Innenhof, der einen idealen Raum für eine interessante architektonische Form bietet. Hier sollte ein offener Aussenpavillon entstehen, der sowohl die Blicke aus dem Erdgeschoss als auch aus den darüber liegenden Stockwerken auf sich zieht. Das Architektenteam entwickelte eine baumähnliche Konstruktion, die aus einer geometrisch komplexen «Krone» – einem Hebelstabwerk aus Holz – und einer ungewöhnlich geformten und strukturierten Betonstütze besteht. Geometrisch komplexe Formen sind mit konventionellen Planungs- und Baumethoden nur mit enormem Aufwand zu realisieren und waren bisher Prestigebauten vorbehalten. Das parametrische Planen und neue Baumethoden eröffnen diese Formenwelt nun auch für alltäglichere Bauobjekte.
 
Parametrische Planung der «Krone»

Anders als bei einem herkömmlichen Entwurfs- und Planungsprozess wird bei einer parametrischen Planung die gewünschte Konstruktion nicht gezeichnet, sondern programmiert. Die Entwurfsabsicht wird anhand verschiedener Parameter in einem Programmcode erfasst. So entsteht ein parametrisches Modell des Bauvorhabens. Einige Parameter sind fix vorgegeben wie zum Beispiel die Abmessungen des Pavillons, andere können, wenn das Modell einmal erstellt ist, beliebig variiert werden. Die Dachstruktur des Future Tree besteht aus so genannten reziproken Knoten. Im parametrischen Modell konnten zum Beispiel Maschenweite, Knotengrösse und Wölbung verändert und damit die gesamte Geometrie der Struktur automatisch angepasst werden. Da das Modell mit den statischen Programmen verknüpft war, konnte schnell überprüft werden, welche Auswirkungen eine Veränderung in der Geometrie auf das Tragverhalten hat. Auf diese Weise wurden in einem iterativen Prozess architektonischer Entwurf und Tragverhalten aufeinander abgestimmt und optimiert. So sind zum Beispiel die Knoten im Bereich der Auskragung grösser, um der Struktur dort mehr Steifigkeit zu verleihen. Kaum ein Knoten in der «Krone» des Future Tree gleicht einem anderen. Die Vorspannkabel konnten so angeordnet werden, dass die aus Schraubverbindungen bestehenden Anschlüsse der Holzkonstruktion möglichst wenig beansprucht werden. Das parametrische Modell ermöglichte es zudem, die 30 Zentimeter langen Schrauben in der komplexen Geometrie kollisionsfrei zu platzieren.

 

Ein Blickfang: Der Future Tree zieht mit seiner aussergewöhnlichen Formensprache zurecht neugierige Blicke auf sich. © Basler & Hofmann AG / Stefan Kubli

Das parametrische Modell – ein Gemeinschaftswerk

Das parametrische Planen löst auch Veränderungen im Planungsprozess aus: Während beim konventionellen Vorgehen Architektin, Ingenieur und Unternehmer sequentiell oder abwechselnd tätig sind, verlangt der parametrische Planungsprozess eine kontinuierliche Zusammenarbeit – auch mit der Bauherrschaft. Im parametrischen Modell werden sämtliche Informationen zum Entwurf, zur Statik und zur Fertigung aufgenommen und abgestimmt. Damit Fertigungsdaten wie zum Beispiel Vorbohrungen bereits in das Modell einfliessen können, ist selbst die Fertigungsplanung bereits Teil der Entwurfsphase. Das parametrische Modell wird so zum Gemeinschaftswerk, das eine nahtlose Prozesskette vom Entwurf bis zur Montage ermöglicht.

Automatisierte Bauverfahren

Die parametrische Planung erzeugt hochkomplexe Strukturen, die in der notwendigen Präzision von Menschenhand kaum mehr gebaut werden können. Die Entwicklung der parametrischen Planung geht deshalb eng einher mit dem Einsatz von Robotern im Bauwesen. Die Daten aus dem parametrischen Modell des Future Tree flossen direkt an die Produktionsmaschinen bei der Erne Holzbau. Der Roboter sägt, bohrt und positioniert die Holzstangen entsprechend dem Modell, der Mensch überwacht den Prozess und übernimmt die finale Verschraubung der Elemente.

Extrem dünne Schalung aus dem 3-D-Drucker

Um den Übergang zwischen dem Beton-«Stamm» des Future Tree und der Holzkonstruktion des Pavillons möglichst fliessend zu gestalten, war für die Betonstütze eine aussergewöhnliche Formgebung gewünscht. Ungewöhnliche Betonstrukturen verlangen bei einer herkömmlichen Bauweise eine aufwändige Schalungskonstruktion. Die Schalung wird dabei zu einem eigenständigen Kunstwerk, das letztlich jedoch nur «Abfall» ist. Forscherinnen und Forscher Gramazio Kohler Research haben gemeinsam mit dem Forschungsteam der Professur für Physikalische Chemie von Baumaterialien an der ETH Zürich ein neues Verfahren entwickelt, mit dem auf effiziente Weise aussergewöhnliche neue Formen im Stahlbetonbau realisiert werden können. Die Geometrie der Stütze wurde ebenso wie das Holzdach parametrisch geplant. Die Daten aus dem Modell wurden direkt an einen 3-D-Drucker übermittelt, der die Schalung der Stütze aus Kunststoff druckte. Diese Schalung ist nur 1.5 Millimeter dünn und wird zurecht «Eggshell» genannt. In eine derart fragile Schalung kann kein herkömmlicher Beton gefüllt werden. Der Druck des Frischbetons würde die Schalung zerstören. Die Materialwissenschafter der ETH Zürich entwickelten daher eine Betonmischung, die sich durch eine hohe Frühfestigkeit auszeichnet. Die Stütze des Future Tree erhielt dank des Eggshell-Verfahrens eine organische Form mit einer feingliedrigen Gitter-Struktur, die mit einer herkömmlichen Schalung nicht realisiert werden hätte können. Die Schalung selbst kann eingeschmolzen und wiederverwendet werden.

Aus Forschung wird gebaute Realität

Im Oktober 2019 wurden die Bauteile des Future Tree nach Esslingen transportiert und vor Ort montiert. Auch wenn es sich um ein vergleichsweise kleines Objekt handelt, konnte damit doch der Nachweis erbracht werden, dass die neuen Entwurfs-, Planungs- und Baumethoden nicht nur im Labor, sondern auch für ein «reales», gebrauchstaugliches Bauobjekt eingesetzt werden können. Der Future Tree gibt eine erste Ahnung davon, was mit diesen Methoden in Zukunft noch möglich sein wird.

Pressemitteilung: Basler & Hofmann AG