28. April 2024

Das neue Kulturzentrum schwere reiter  – der einzigartige Einsatz eines rohen Verbaustoffs

© Oliver Jaist

München (pm) – Aufgabe war es für die Künstler-Kooperation schwerer reiter – bestehend aus den Sparten Tanz, Theater und Musik – eine temporäre Übergangslösung auf dem Gelände des Kreativquartiers zu entwerfen, die in möglichst kurzer Bauzeit realisierbar sein sollte. Ihre bisherigen Räumlichkeiten müssen sie aufgrund baufälliger Substanz vorübergehend verlassen. Eine simple Bauweise mit einem klaren statischem System und Materialien, die größtenteils nach Rückbau wiederverwertet werden können, sollen den provisorischen Charakter des Gebäudes auf Zeit unterstreichen.

Vor dem Hintergrund des künstlerisch-lebendigen Kreativquartiers mit seinen alten Industriebauten und vor dem Hintergrund einer temporaren Übergangslösung mit straffem Zeitfenster für die Baukonstruktion begründet sich die Idee der Spundwände, die vor allem im Hafenbau und zur Sicherung von Baugruben zum Einsatz kommen. Für den temporären Bau der schweren reiter bilden sie aber nicht nur die Gründung, sondern auch die Außenhaut der Fassade. Ihre raffe Oberflächenbeschaffenheit aus rostigem Stahl mit der grobwelligen Profilierung entspricht dem Ready-made-Charakter des Kreativquartiers. Zusätzlich ermöglicht das zügige Einrammen der Spundwände bis zu 3,5m in die Erde gegenüber einer konventionellen Bauweise eine erhebliche Zeitersparnis. Die Bauzeit bis zum Beginn des Stahlbaus kann durch die Spundwände um bis zu 6 Wochen verkürzt werden. Ein weiterer Vorteil der Spundwände im Falle eines Rückbaus gegenüber dem Rückbau konventioneller Fundamentierungen: die Wiederverwendung ist durch einfaches Ziehen der Spundwände anderorts möglich, die Lebensdauer beläuft sich auch ohne spezielle Beschichtung auf mindestens 100 Jahre.

Das Raumprogramm wird vom Bestandsgebäude übernommen und in einen übersichtlich strukturierten, rechteckigen Grundriss übertragen. Hochgezogene Spundwände markieren alle Eingänge und Öffnungen, laden in das Gebäude ein und geben Orientierung. Der Haupteingang zur Kernfunktion des Gebäudes – dem Aufführungsraum – befindet sich direkt gegenüber dem bisherigen schwere-reiter-Gebäude auf der schmalen Nordseite und macht durch den räumlichen Bezug zum Bestand das Wiederfinden einfach. Dahinter gelangt man von einem großzügigen Foyer mit raumhohen Öffnungen, die den Blick zur Dachauerstraße freigeben, in den Aufführungsraum. Im Gebäudeinneren ist die Tragstruktur sichtbar und räumlich erfahrbar. Stahlfachwerkträger ergänzen das einfache statische System und spannen über die gesamte Breite des eingeschossigen Gebäudes von Spundwand zu Spundwand. Ihr First sitzt außermittig, um einen symmetrischen Aufführungsraum als Voraussetzung für eine optimale Akustik zu erhalten. Auf abgehängte Decken wird weitestgehend zugunsten der Raumhöhe verzichtet, die Untersicht auf die Stahlfachwerkträger mit dazwischenliegender Technik verstärkt den ungeschliffenen Charakter des Neubaus. Der Ausbau erfolgt losgelöst vom statischen System, wodurch die Flexibilität in der Anordnung der Räume und deren Nutzung gewährleistet wird. Die Wahl der Materialien fällt auf solide und robuste Baustoffe, die durch modulare Bauweise und hohem Vorfertigungsgrad zügig montiert werden können. Hinter den Spundwänden liegen bereits im Werk hergestellte Holzständerelemente. Die Ausführung der Innenwände entsprechen den Standards, lediglich die Wände für den Aufführungsraum müssen aufgrund des Schallschutzes und der Akustik höhere Anforderungen erfüllen.
Neben dem Veranstaltungsbereich gibt es einen zweiten Bereich für die Vorbereitung mit einem Probenraum und Büros der einzelnen Sparten, der über einen zweiten Eingang von der Westseite zugänglich ist. Durch die Zonierung über die beiden Eingänge funktioniert der Veranstaltungsbereich zwar unabhängig vom Probenbereich, kann aber bei Bedarf über Verbindungstüren zugeschaltet werden. Alle untergeordneten Räume inklusive Künstlergarderoben und Lagerbereiche bilden die Versorgungsachse für die beiden Bereiche. Die Anlieferung geschieht über die Rückseite mit direktem Zugang zum Lager. Strapazierfähige Gehwegplatten, die üblicherweise für Bürgersteige verwendet werden, werden sowohl als Bodenbelag in den Flurbereichen, im Lager und im Foyer eingesetzt, als auch in den Eingangsbereichen vor dem Gebäude und schaffen so eine Verbindung von außen nach innen.

Aber auch durch seine städtebauliche Position parallel, aber abgerückt zur Dachauerstraße nimmt der Interimsbau für die schweren reiter direkten Bezug zu seinen Nachbarn auf. Seine äußere Erscheinung, die von der Ferne an einen herkömmlichen Schiffscontainer erinnert, fügt sich in das Gesamtbild des divers gemischten Kreativquartiers ein, das von Ateliers, offenen Werkstätten, Studios, kunterbuntem Graffiti und viel Grün geprägt ist und eine inspirierende Kunstszene mitten in München möglich macht.

 

Mahlknecht Herrle Architektur ist ein junges Münchner Architekturbüro, das 2015 von den Architekten Lukas Mahlknecht und Alexander Herrle gegründet wurde.

In intensivem Austausch mit den jeweiligen Auftraggebern werden Projekte im Kontext von Mensch, Geschichte, Nutzung und Umgebung erarbeitet.

In ihren Entwürfen spiegelt sich Kreativität und Offenheit wider. Die experimentelle Herangehensweise verbindet sich mit langjähriger Erfahrung und schafft neue Lösungen durch Materialität und Umsetzungstechniken, die dem Anspruch nach Beständigkeit, Wandelbarkeit und Reduktion entsprechen. Das zehnköpfige Team arbeitet in Kooperation mit den väterlichen Büros in Brixen und Neuburg und bietet alle Leistungsphasen der Architektur.

Pressemitteilung: Mahlknecht Herrle Architektur GbR