28. März 2024

Corona-Krise: Stagnierende oder sinkende Mieten in den drei großen Segmenten Büro, Wohnen und Handel

Berlin (pm) – Die Corona-Pandemie hat vielfältige und umfassende Auswirkungen auf die Bau- und Immobilienwirtschaft. Im Unterschied zur Finanzkrise handelt es sich dieses Mal um einen realwirtschaftlichen Schock. Es ist bereits in der relativ frühen Krisenphase, in der wir uns aktuell befinden, absehbar, dass eine etwaige Zinserhöhung in sehr weite Ferne gerückt ist. Die Krise führt zu Aufschub oder Nichtzustandekommen bei Immobilientransaktionen. Daher werden die Transaktionsvolumina niedriger als in den Vergangenen Jahren ausfallen. Mietpotentiale sind vorübergehend nur noch deutlich eingeschränkt zu realisieren. Sie werden sich jedoch mittel- bis langfristig erholen. Die Auswirkungen auf die einzelnen Nutzungsarten sind sehr unterschiedlich. Die größten negativen Auswirkungen sind auf Gewerbeobjekte in B-Lagen, Hotel- und Einzelhandelsimmobilien mit höheren Non-Food-Anteilen zu erwarten.

Die Krise hat auch Auswirkungen auf Immobilienfondsgeschäft und Investoren. Vor allem bei den offenen Immobilien-Publikumsfonds ist der Vertrieb deutlich zurückgegangen und hat sich teilweise halbiert, sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass der Vertrieb fast ausschließlich über die persönliche Beratung erfolgt. Bei den institutionellen Investoren ist das Bild uneinheitlich. Ein Teil der Investoren hat Entscheidungen über Investitionen aufgeschoben, andere hingehen investieren weiter, einige jetzt erst recht. Schwer zu bewerten sind derzeit tasächliche coronabedingte Mietausfälle und die Auswirkungen der Mieterschutzmaßnahmen der Bundesregierung.

Institutionelle Investoren hoffen aber auch, dass die Krise Chancen beim Ankauf von Immobi-lien bringt. Aktuell werden von institutionellen Käufern Abschläge je nach Immobiliensektor und -qualität aufgrund der Corona-Krise gefordert. Des weiteren kann die Krise ein Katalysator für die Entwicklung eines Zweitmarktes im institutionellen Bereich sein.

Alle vier Referenten sind sich einig, dass die Folgen der Pandemie maßgeblich von der Dauer der Krise abhängig sind. Diese ist derzeit allerdings noch nicht abzusehen. Dies sind die Kernergebnisse der heutigen Online-Pressekonferenz „Folgen der Corona-Pandemie für die Bau- und Immobilienwirtschaft“. Referenten waren Prof. Dr. Felix Schindler, Head of Research Warburg-HIH Invest Real Estate, Karsten Jungk, Geschäftsführer und Partner, Wüest Partner Deutschland, Michael Schneider, Geschäftsführer der INTREAL und Dr. Sven Helmer, Managing Director LAGRANGE Financial Advisory.

Wirtschaftliche Unsicherheit so groß wie noch nie

Prof. Schindler wies zunächst auf die gestiegene wirtschaftliche Unsicherheit hin: „Es gibt eine signifikante Eintrübung der Stimmungslage in der Wirtschaft. Neben der Industrie ist auch der Dienstleistungssektor betroffen. Die Wahrscheinlichkeit einer globalen Rezession wird immer größer.“

Für die Immobilienbranche maßgeblich sind die Zinsen. Schindler sagt zu dem Engagement der Zentralbanken: „Die staatlichen Maßnahmen sowie die geldpolitischen Aktionen der Zentralbank helfen, die Folgen der Krise abzumildern. Die Zinsen werden damit längerfristig niedrig bleiben. Lower for longer wird immer mehr zu einer Gewissheit. Die expansive Geldpolitik der EZB zeigt sich auch im starken Anstieg des negativ verzinsten Anleihevolumens. Dies trägt dazu bei, dass der Spread zwischen den Renditen von Staatsanleihen und Immobilien weiterhin hochbleiben wird. Immobilien werden in Metropolen langfristig eine attraktive Assetklasse bleiben. Denn die Auswirkungen auf nachhaltige Core-Assets dürften geringer ausfallen als in Segmenten mit einem erhöhten Risikoprofil.“

Wohnimmobilien: Rückgang der Neuvermietungsmieten

Die direkten Auswirkungen auf den Immobilienmarkt fasst Karsten Jungk zusammen. In Bezug auf den Neubau schätzt er eine sinkende Bautätigkeit aufgrund konjunktureller Unsicherheiten im gewerblichen und Wohnsegment als wahrscheinlich ein. Eine gewisse stützende Funktion hat der Staat. Jungk dazu: „Der Staat als Auftraggeber und bereits umfangreich geplante energetische Sanierungen dienen als wichtige Stütze für die Bauwirtschaft.“

Wohnimmobilien gelten als sehr konjunkturunabhängig. „Es gibt mehrere Faktoren, die sich stabilisierend auf den Mietwohnungsmarkt auswirken. Dazu zählen neben unserem gut ausgebauten Sozialsystem, mit Kurzarbeitergeld und Arbeitslosenversicherung, auch die regulierten Bestandsmieten und die Schutzmaßnahmen des Bundes. Dennoch ist mit einem moderaten Rückgang der Neuvermietungsmieten zu rechnen. Mietwohnungen im Hochpreissegment sowie Serviced Apartments dürften zeitweilig am meisten unter Druck geraten.“

Den Büroflächenmarkt sieht WüestPartner in robuster Verfassung. „Dennoch wird ein Konjunkturrückgang zu einer abnehmenden Zahl an Bürobeschäftigten führen, was sich kurz- und mittelfristig dämpfend auf die Nachfrage auswirken wird. Bereits jetzt kann eine rückläufige Vermietungsleistung beispielsweise in Frankfurt a.M. beobachtet werden. Infolge dessen ist mit stagnierenden Mieten in Top-Lagen und einem Rückgang in B-Lagen zu rechnen. Eine besondere Herausforderung dürfte die Krise für das zuletzt stark gewachsene Coworking-Segment werden.“

Krisengewinner: Logistik und Rechenzentren

Als „Krisengewinner“ sieht Jungk vor allem Logistikimmobilien und Rechenzentren. In diesen Segmenten wird der Bedarf steigen. Dazu sagt Prof. Schindler: „Längerfristig dürften die Erfahrungen der Krise dazu führen, dass für bestimmte Güter wie Medikamente und medizinische Ausrüstung eine erhöhte Lagerhaltung erfolgen wird. Ebenso dürften Unternehmen ihre Lieferketten überprüfen und diversifizierter aufstellen sowie in einigen Bereichen die Just-in-Time-Produktion überdenken und die Lagerbestände erhöhen. Davon dürften die Logistikimmobilien profitieren.“

Institutionelle Anleger müssen Portfolios neu adjustieren

Michael Schneider von der INTREAL schildert die Krisenfolgen für Immobilienfonds und Anleger: „Bei den offenen Immobilien-Publikumsfonds sehen wir einen deutlichen Rückgang des Vertriebs. Einige Anbieter sprechen von einer Halbierung. Allerdings beobachten wir derzeit keine großen Rückgabeverlangen. Bei den institutionellen Fonds ist das Bild differenzierter. Ein Teil der Anleger muss aufgrund der Talfahrt des Aktienmarktes seine Anlagestrategie adjustieren. Die Portfolioallokation hat sich plötzlich verschoben und teilweise zu einer Überallokation von Immobilien geführt. Allerdings gibt es auch in der Krise Auflagen von neuen Spezialfonds und Kapitalzusagen. Immobilien sind offenbar für viele eine alternativlose Assetklasse.“

In Bezug auf das Thema Bewertungen zeigt sich Schneider entspannt: „Aktuell gibt es keine kurzfristigen Auswirkungen der Krise auf die Bewertungen – auch nicht bei Publikumsfonds, die ihre Objekte quartalsweise bewerten müssen. Das liegt daran, dass bei einer Verkehrswertberechnung laut Wertermittlungsverordnung ein „ordentlicher Geschäftsverlauf ohne außerordentliche Sondereffekte“ unterstellt werden muss. Ob sich mittel- und langfristig die nachhaltigen Mieten und damit verbunden die Bewertungen ändern, ist zu beobachten.“

Institutionelle Investoren rechnen mit krisenbedingten Marktchancen

Dr. Sven Helmer von LAGRANGE beobachtet, dass der Markt im Bereich der institutionellen Anleger sich entsprechend positioniert. Das Hauptproblem für Institutionelle ist momentan die Unsicherheit über die Preise und Bewertungen. Helmer dazu: „Wir beobachten zudem, dass einige Investoren in der aktuelle Marktphase versuchen, Immobilien mit Abschlägen zu kaufen. Allerdings halten die Discounts sich in Grenzen. Wir schätzen sie zum Beispiel bei Büroimmobilien in B-Lagen im Moment auf circa fünf bis sieben Prozent. Diese Abschläge können sich je nach Dauer und Ausprägung der Krise noch weiter erhöhen oder bei einer schnellen Erholung wieder verschwinden.“

Er fügt hinzu: „Wir sehen daher Zeichnungen für Core-Produkte – Lebensmittelhandelsimmobilien, öffentliche Mieter, bezahlbares Wohnen – oder Produkte im Bereich Büro Value Add, um die Chancen wahrzunehmen.  Die neuen Fonds sind ohne oder mit wenig Bestandsimmobilien und investieren in der Regel über die nächsten zwei Jahre, so dass viele sich jetzt über die Fonds positionieren, um dann über die nächsten zwei Jahre einzukaufen. Somit hätte man nicht einen kurzfristigen Erwerb von Immobilien. Die großen Investoren (Top 50 US, Top 30 Europa) gehen nun verstärkt in Opportunity und Value Add Fonds. Zwei Fondsmanager haben für zwei Fonds mit jeweils 800 Mio. Euro Eigenkapitel in den letzten Wochen eingesammelt.  Die Fonds sind jetzt schon wieder für neue Anleger geschlossen, weitere werden aufgelegt. Wenn man jetzt zu lange wartet, muss man dann später wieder zu hohen Preisen von den Opportunity und Value Add Fonds einkaufen, die den Gewinn dann bereits gemacht haben.“

Eine weitere Folge der Krise ist, dass sie die Entwicklung eines Zweitmarktes im institutionellen Bereich vorantreiben wird. „Zweitmärkte werden an Bedeutung gewinnen. Transaktionen am Zweitmarkt sind ein gutes Mittel, um einerseits die Portfolios anzupassen und andererseits Marktopportunitäten zu nutzen, ohne dass die Bestandsfonds durch Anteilscheinrückgabe gefährdet werden“, so Helmer.

Pressemitteilung: Lagrange Financial Advisory GmbH, INTREAL, Warburg-HIH Invest, W&P Immobilienberatung GmbH