Stuttgart (pm) – Der umfassende Einsatz digitaler Technologien ist für die Zukunftssicherung der Bauwirtschaft unabdingbar. Das ist die Quintessenz des 2. Digitalisierungstages der Bauwirtschaft Baden-Württemberg am 7. November 2023 in Weissach. „Die Digitalisierung ermöglicht mehr Transparenz, höhere Qualität und mehr Effizienz beim Bauen und muss deshalb zügig vorangetrieben werden. Die öffentlichen Bauauftraggeber sollten dabei eine Vorreiterrolle einnehmen“, forderte Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Produktivitätssteigerungen durch innovative Technologien könnten helfen, die enormen Bauaufgaben der Zukunft zu bewältigen, etwa im Wohnungsbau, bei der energetischen Sanierung des Gebäudebestandes oder im Infrastrukturbereich. Der Fachkräftemangel könne durch höhere Produktivität zumindest teilweise kompensiert werden.
Inakzeptabel sei der nach wie vor geringe Digitalisierungsgrad der öffentlichen Bauverwaltung, so Möller. Unzureichend digitalisierte Arbeitsabläufe und Personalmangel in den Behörden seien Hemmnisse für das Bauen und bremsten den digitalen Wandel in der Bauwirtschaft. Dies gelte beispielsweise für die oft extrem langwierigen Baugenehmigungsverfahren, die mit Hilfe durchgängig digitalisierter Prozesse erheblich beschleunigt werden könnten. Auch die digitale Planungs- und Baumethode Building Information Modeling (BIM) sowie der vom baden-württembergischen Verkehrsministerium propagierte Qualitätsstraßenbau 4.0 (QSBW 4.0) würden abgesehen von einzelnen Pilotprojekten viel zu wenig genutzt. „Unsere Mitgliedsfirmen haben sich auf die neuen Anforderungen zur Qualitätsverbesserung im Straßenbau eingestellt und ihre Mitarbeiter entsprechend geschult, etwa im Bereich der Logistiksteuerung oder der Überwachung von Einbauprozessen. Von Seiten der Bauverwaltungen gibt es aber kaum entsprechende Ausschreibungen“, kritisierte Möller.
Er forderte daher die Politik auf, die Digitalisierung der Baubehörden zu forcieren. Grundsätzlich habe die Landesregierung die Problematik zwar erkannt und Digitalisierungsschritte angekündigt. So gehe das im Frühjahr gestartete Projekt „Virtuelles Bauamt“ zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren in die richtige Richtung und werde von der Bauwirtschaft begrüßt. „Dennoch besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf: Alle Baubehörden müssen umfassend und zügig digitalisiert werden. Denn nur mit einer modernen und effizienten Bauverwaltung können wichtige Zukunftsaufgaben wie die Bereitstellung von ausreichend bezahlbarem Wohnraum oder der Erhalt und Ausbau der Infrastruktur gemeistert werden“, betonte Möller.
Digitalisierung bietet große Chancen für Bauunternehmen
Die Bauwirtschaft ihrerseits hat die enormen Möglichkeiten der Digitalisierung längst erkannt und treibt den Einsatz digitaler Technologien voran. Beim Digitalisierungstag, der bei den rund 90 teilnehmenden Bauunternehmern auf sehr positive Resonanz stieß, ging es unter anderem um aktuelle Themen wie Robotik und künstliche Intelligenz, aber um auch um die Lösung von Schnittstellenproblemen oder den Schutz vor Cyberangriffen. „Die Digitalisierung bietet große Chancen für Baubetriebe, wie beispielsweise vereinfachte Arbeitsprozesse, mehr Effizienz sowie höhere Qualität und Präzision. Wir wollen die Unternehmen bei der digitalen Transformation umfassend unterstützen. Denn nur wer die neuen Möglichkeiten aktiv nutzt, ist für die digitale Zukunft am Bau gut gerüstet“, so Thomas Möller. Neben dem jährlich stattfindenden Digitalisierungstag bietet der Verband seinen Mitgliedsbetrieben regelmäßig Webseminare zu verschiedenen Aspekten der Digitalisierung an. Darüber hinaus stehen den Mitgliedern zahlreiche Informationsveranstaltungen des BIM Clusters BW offen, bei denen sich die Bauwirtschaft intensiv einbringt. Hinzu kommt ein umfangreiches Beratungsangebot des Verbandes zur Digitalisierung.
Quelle: Bauwirtschaft Baden-Württemberg
Landtag beschließt Gesetz zur Digitalisierung baurechtlicher Verfahren
Ministerin Nicole Razavi MdL: „Mit dem Virtuellen Bauamt machen wir die Verfahren schneller, effizienter und bürgerfreundlicher.“
Der Landtag von Baden-Württemberg hat am Mittwoch, 8. November 2023, den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Digitalisierung baurechtlicher Verfahren in zweiter Lesung verabschiedet. Damit ist der Weg zum „Virtuellen Bauamt“ frei. Die entsprechenden Änderungen der Landesbauordnung werden nach Verkündung voraussichtlich zum Jahreswechsel 2023/2024 in Kraft treten.
„Das ist ein echter Durchbruch für die digitale Verwaltung. Wir machen die Verfahren schneller, effizienter und bürgerfreundlicher – zum Vorteil aller“, sagte Nicole Razavi MdL, Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen, in Stuttgart: „Mit dem Virtuellen Bauamt können Antragsteller und Behörden künftig das komplette Verfahren medienbruchfrei digital durchlaufen – vom Bauantrag bis zur Baugenehmigung. Das spart Zeit, Geld und Nerven.“
Das sind die wichtigsten Änderungen in der Landesbauordnung (LBO) und der zugehörigen Verfahrensverordnung (LBOVVO):
· Um die Bearbeitungszeiten zu verkürzen, sollen Anträge und Bauvorlagen künftig direkt bei den unteren Baurechtsbehörden eingereicht werden und nicht mehr über die Gemeinden. Zugleich wird sichergestellt, dass die Gemeinden unverzüglich über die Vorhaben informiert werden. Das ist dank des Virtuellen Bauamts ohne Zeitverzug möglich und wird rechtlich abgesichert.
· Die Beteiligung angrenzender Nachbarinnen und Nachbarn wird auf Fälle begrenzt, in denen diese tatsächlich unmittelbar betroffen sind – also bei Abweichungen, Ausnahmen oder Befreiungen von nachbarschützenden Vorschriften. So sieht es auch die Musterbauordnung vor, und so wird es in nahezu allen Bundesländern bereits gehandhabt. Das bedeutet nicht, dass die Nachbarinnen und Nachbarn in ihren sie selbst betreffenden schützenswerten Rechten eingeschränkt werden, verschlankt aber das Verfahren erheblich. Indem Abweichungen, Ausnahmen oder Befreiungen künftig vom Bauherren ausdrücklich beantragt werden müssen, wird sichergestellt, dass von Anfang an klar ist, ob nachbarliche Belange tangiert werden oder nicht. Zudem müssen die Baurechtsbehörden auch allen nicht beteiligten Nachbarinnen und Nachbarn, die in ihren Belangen berührt sein könnten, ihre Entscheidung bekanntgeben. Damit wird sichergestellt, dass alle rechtzeitig von einem Vorhaben erfahren.
· Baurechtliche Entscheidungen sollen künftig elektronisch bekanntgegeben werden können. Dies ermöglicht es, digitale Baugenehmigungsverfahren medienbruchfrei, also durchgängig elektronisch durchführen zu können. Derzeit ist in der LBO noch eine formelle, schriftliche Zustellung vorgeschrieben.
· Nach aktueller LBO-Fassung können Anträge und Bauvorlagen elektronisch eingereicht werden. Künftig soll dies verpflichtend der Fall sein. Ab 1. Januar 2025 soll eine Einreichung in Papierform ausgeschlossen sein – eine Frist, die für Antragstellende und Baurechtsbehörden einen weichen Übergang ermöglicht.
37 Baurechtsbehörden testen im Silent-Go-Life
Die Plattform „Virtuelles Bauamt Baden-Württemberg (ViBa BW)“ wird seit November 2022 von Pilotkommunen erprobt und dabei auch den landesrechtlichen Voraussetzungen angepasst. Bereits 196 der insgesamt 208 Baurechtsbehörden im Land haben sich angemeldet. Seit Sommer laufen die ersten Tests unter Realbedingungen im Beta-Testbetrieb. „Die ersten 37 Pilotbehörden testen die Plattform heute bereits ausgiebig im Silent-Go-Life“, sagte Ministerin Razavi. „Die Tests verlaufen sehr gut: Bis Ende 2023 wollen wir den Großteil der teilnehmenden Behörden in den Silent-Go-Life nehmen. Unser Ziel ist es, dass im nächsten Jahr alle Baurechtsbehörden das Virtuelle Bauamt nutzen können.“
Hintergrund: Virtuelles Bauamt
Das Virtuelle Bauamt ist eine End-to-End-Lösung: von der Antragsstellung, über die Beteiligung von Behörden, Bearbeitung des Vorgangs bis zur Bekanntgabe der Entscheidung sollen alle Verfahrensschritte digital erfolgen. Herzstück ist der digitale Vorgangsraum – ein Bereich, in dem Bauherr, Bauamt und alle anderen betroffenen Behörden direkt und simultan am Antrag arbeiten können. Das macht die Antragsbearbeitung nicht nur schneller, sondern auch komfortabler. Das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen setzt beim Virtuellen Bauamt auf die Nachnutzung des „Digitalen Bauantrags“ aus Mecklenburg-Vorpommern im Sinne des „Einer-für-Alle-Prinzips (EfA)“. Dabei entwickelt ein Bundesland eine Software, die alle Bundesländer dann nutzen können.
Quelle: Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen