9. Mai 2024

Baukongress 2024: Einblicke in das Leitthema „Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette Bau“

Die Entstehung des außergewöhnlichen Free-Form-Holzbaus (240 m lang, 35 m breit) des Swatch Hauptsitzes in Biel. Foto: Blumer-Lehmann AG.

Aachen (pm) – Wo steht die Bau- und Immobilienbranche in Hinblick auf klimapositives Bauen? Welche Handlungsmöglichkeiten haben Städte und Kommunen angesichts von Starkregen, Dürren und Hitze und was bedeutet dies für die Bauwirtschaft? Mit welchen innovativen Verbindungstechnologien arbeitet der moderne Holzbau? Unter anderem diese Schwerpunkte setzt der „Baukongress – Die Zukunft des Bauens“ in einem seiner drei Leitthemen, Nachhaltigkeit. Außerdem behandeln die insgesamt zwölf Fachsessions vom 12. bis zum 13. Juni 2024 zentrale Herausforderungen der Branche bezogen auf Automatisierung und Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Hochkarätige Expert:innen präsentieren Trends und innovative Lösungsansätze für das Planen, Bauen und Betreiben von Gebäuden und Infrastruktur. Das Konzept ist einzigartig: Die Vorträge in den Fachsessions werden vorab durch mehr als 120 Fachleute aus Praxis und Wissenschaft gemeinsam ausgearbeitet.

Ist die Branche fit für 2050?

Professor Dr.-Ing. Markus Kuhnhenne, Lehr- und Forschungsgebiet Nachhaltigkeit im Metallleichtbau an der RWTH Aachen University, leitet die Fachsession „Klimapositives Bauen“. Diese beschäftigt sich vor allem damit, wie in der Bau- und Immobilienbranche eine wirksame CO2-Reduktion gelingen kann. Sechs Wissenschaftler:innen verschiedener Hochschulen sowie 13 Vertreter:innen aus Wirtschaft und Verbänden erarbeiten derzeit die Inhalte. Unter anderem ist die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) beteiligt, auf die der Begriff „klimapositiv“ zurückgeht. In die auf dem Baukongress vorgestellten innovativen Lösungen für Gebäudebestand und Neubauten fließt dieses geballte Know-how ein. „Die Diskussionen in den Fachgremien fördert enorm die Weiterentwicklung der Themen. Sowohl die Mitglieder der Gremien als auch die Kongressteilnehmer profitieren von den neuen Erkenntnissen“, so Kuhnhenne, der bereits beim Baukongress 2022 dabei war und Gründungsmitglied der DGNB ist.

Die Keynote „Bauen 2030 – Fit für 55?“ umreißt die Herausforderungen für das klimapositive Bauen im deutschen und europäischen Kontext. „Fit for 55“ bildet ein wichtiges Element des europäischen Green Deals. Hiernach muss die Wirtschaft ihre Netto-Treibhausgasemissionen (THG) bis 2030 um mindestens 55 Prozent reduzieren (verglichen mit 1990) und bis 2050 klimaneutral sein. Kuhnhenne beleuchtet kritisch, wo die Branche und einzelne Materialien auf diesem Weg stehen. Anschließend präsentieren mehrere Experten in kurzen Pitches den Stand bei verschiedenen Low Carbon Materials, zum Beispiel bei Stahl (ab 2026 wird der erste fossilfreie Primärstahl aus Schweden erwartet), Glas, Kunststoff und weiteren leichten Partnerwerkstoffen.

Außenfassaden aus Stampflehm

Professor Martin Haas, Freier Architekt BDA, Partner bei haascookzemmrich Studio 2050, wurde als ein Highlight für die Fachsession gewonnen. Haas ist Mitinitiator der DGNB und bekannt für die Entwicklung innovativer, nachhaltiger Architektur. Ein Beispiel ist der Bau des vielfach ausgezeichneten Alnatura Campus in Darmstadt mit Außenfassaden aus Stampflehm. Haas zeigt auf, wie die Dekarbonisierung die Architektur verändert. Er thematisiert auch die aktuelle Diskussion in der Architektur zu Low-Tech- und High-Tech-Lösungen. Anschließend stellt ein Vertreter des Deutschen Städtetages Strategien deutscher Städte in verschiedenen Regionen für einen klimaneutralen Gebäudebestand vor.

Innovative Verbindungstechnologien im modernen Holzbau

Holzbau und Nachhaltigkeit gehen naturgemäß zusammen: Holz ist ein nachwachsender Rohstoff und speichert CO2. Im Bauwesen steigt seine Verwendung kontinuierlich, daher besteht hoher Bedarf an anwendungsorientierter Forschung. Novellierungen der Landesbauordnungen erlauben inzwischen mehrgeschossige Bauwerke in Holzbauweise, im europäischen Ausland wurden bereits Hochhäuser mit 24 Etagen errichtet. Die Keynote zur Fachsession „Moderner Holzbau mit ressourceneffizienten Verbindungen“ gibt einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen und Technologien, zum Beispiel die Verwendung von hochleistungsfähigen Holzwerkstoffen wie Brettsperrholz. Professor Dr.-Ing. Leif Arne Peterson, einer der drei Holzbauprofessoren an der FH Aachen, leitet die Fachsession. Unter anderem bereiten auch seine Kollegen Dr. Thomas Uibel und Dr. Wilfried Moorkamp im etwa 10-köpfigen Fachgremium die Vorträge mit vor. Anhand konkreter Leuchtturmprojekte beschäftigen sich die Fachleute vor allem mit den Details ressourceneffizienter Verbindungen von Holz mit Holz sowie mit anderen Baumaterialien, beispielsweise Natursteinen, Stahl und Beton in Verbindung mit Holz.

Kreislaufwirtschaft und innovative Verbindungen mit Holzschrauben

Aufgezeigt werden Lösungen für ein ganzheitlich nachhaltiges Bauwesen. „Wir müssen anfangen, die Gebäude von heute als Rohstofflager von morgen zu begreifen“, betont Peterson. Möglich wird dies durch digitale Zwillinge der Bauwerke. Die Übersicht über alle Bauteile und Materialien zeigt, was später erneut in anderen Gebäuden verbaut werden kann. Da die Bau- und Abbruchwirtschaft in Deutschland derzeit mehr als die Hälfte des Mülls verursacht, ist dies alles andere als trivial.

Spannende Forschungsergebnisse werden auch zu aktuellen Entwicklungen bei den Verbindungstechnologien erwartet. Vertreter mehrerer namhafter Schraubenhersteller werden die „Verbindungen mit Holzschrauben“ im Holzbau praxisnah präsentieren. Es geht zum Beispiel um Schrauben mit zwei Meter Länge, mit selbstbohrenden Spitzen oder um Modelle, die beim Eindrehen die Bauteile zusammenziehen oder sogar eine Vorspannung erzeugen. Diskutiert werden auch die Vorteile von Schrauben im Hinblick auf eine anzustrebende Kreislaufwirtschaft. Der Vortrag „Multifunktionaler Holz-Beton-Verbundbau“ thematisiert die Bedeutung der Verbundfuge in der Tragwerksplanung von Holzverbund-Konstruktionen.
Als eins der „Off-Site“-Angebote können Baukongress-Teilnehmende das Aachener Zentrum für Holzbau (AZH) in Simmerath besichtigen. Vorgestellt werden unter anderem Forschungsvorhaben wie die Entwicklung eines neuen Wandsystems. Das aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) der EU sowie des Landes NRW errichtete AZH verfügt über Prüfanlagen auf dem Niveau der führenden europäischen Forschungseinrichtungen.

Lösungen für Klimaanpassungen im urbanen Raum

Der Klimawandel erfordert auch im urbanen Raum Anpassungen, die für die Bau- und Immobilienbranche relevant sind: Städte und Kommunen müssen klimaresilient werden, das heißt die Folgen von Hitze, Starkregenereignissen und Dürreperioden bewältigen können. „Letztlich geht es um die Frage, wie wir die Aufenthaltsqualität in Gebäuden und Quartieren auch zukünftig sicherstellen können“, beschreibt Professor Karsten Kerres, Vorstandsvorsitzender des Institute of Smart City Engineering an der FH Aachen (ISCE), die Aufgabe. Er leitet die Fachsession „Paradigmenwechsel im Umgang mit der Ressource Wasser – Klimaanpassung im urbanen Raum und Konsequenzen für die Bauwirtschaft“. Diese stellt Herausforderungen der Städte und Gemeinden insbesondere in Hinblick auf wasserwirtschaftliche Infrastrukturen in den Fokus. Die Vorträge zu den Konsequenzen für Kommunen und Bauwirtschaft aus der Transformation von Städten und Wasserinfrastrukturen werden von 16 Expert:innen vorbereitet.

Zum Thema „Wassersensible Stadtentwicklung“ stellt der Architektur- und Ingenieurdienstleister Sweco Best-Practice-Beispiele aus Deutschland, den Niederlanden und Schweden vor. Es wird dargelegt, von welchen Lösungen aus dem Ausland die deutsche Bauwirtschaft lernen kann und welche übertragbar sind. Aus deutscher Perspektive schildert ein Vertreter der Wohnungsbaugesellschaft Vivawest Wohnen GmbH unter anderem, was die Umsetzung einer wassersensiblen Stadtentwicklung in der Praxis bedeutet. Die Stadt Duisburg hat solche Lösungen bereits auf einigen Neubau-Arealen realisiert. Diese werden vorgestellt und erläutert. In Deutschland gibt es bisher mehr Erfahrungen mit Neubaugebieten als mit innerstädtischen Bereichen. Noch fehlen schlüssige Gesamtkonzepte und Strategien, die über die Umgestaltung einzelner Straßenzüge hinausgehen. Auch hier wird die Fachsession interessante Einblicke und Anregungen liefern.

Von der Entsorgung zur Ressourcenwirtschaft

Städte und Kommunen werden zukünftig auch neue Wege im Umgang mit Schmutzwasser gehen müssen. Anstatt Wasser wie bisher gereinigt aus den Kläranlagen in Gewässer einzuleiten, wird zu überlegen sein, ob die wichtige Ressource nachhaltig genutzt werden kann. Wasserrückgewinnung und -wiederverwendung optimieren ihren Einsatz und wirken Knappheit entgegen. Sei es, dass landwirtschaftliche Flächen mit vorbehandelten Abwässern bewässert werden oder dass Brauchwasser Verwendungen zugeführt wird, die keine Trinkwasserqualität erfordern. Auch lassen sich Nährstoffe wie Phosphate und Baustoffe wie Zellulose oder mineralische Abwasserinhaltsstoffe rückgewinnen und wieder den Kreisläufen zuführen. Dies trägt auch zum CO2-minimierten Bauen bei. Der Baukongress bewertet die hierin liegenden Potenziale und setzt sich sowohl mit der Entwässerung bestehender Siedlungen als auch mit Umsetzungen bei der Quartiersentwicklung auseinander.

Der Kongress richtet sich an Entscheider:innen der Bau- und Immobilienwirtschaft sowie Expert:innen aus Wissenschaft und Politik. Er wird gemeinschaftlich organisiert von ABE (Aachen Building Experts e. V.), dem Cluster Bauen des RWTH Aachen Campus, der Fachhochschule Aachen sowie der RWTH Aachen University und veranstaltet von F.A.Z.-Konferenzen.

Informationen, Programm und Anmeldung: www.baukongress.de

Quelle: ABE (Aachen Building Experts e. V.)