26. April 2024

Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der Architektinnen und Architekten Österreichs 2019

Wien (pm) – Am 08. November 2019 wurden im Rahmen einer feierlichen Abendveranstaltung im ArchitekturHaus Kärnten die diesjährigen Gewinner_innen des ZV-Bauherrenpreises ausgezeichnet. Aus insgesamt 132 Einreichungen wurden zuvor 24 Projekte nominiert. Daraus ermittelte die Hauptjury, bestehend aus Andreas Cukrowicz (Architekt, Bregenz), Donatella Fioretti (Architektin, Berlin) und Albert Kirchengast (Architekturpublizist, Wien), die sechs Preisträger_innen des ZV-Bauherrenpreises 2019.

Um die Einreichungen und deren Genese beurteilen zu können, werden alljährlich alle Projekte im jeweiligen Bundesland von einer Nominierungsjury besichtigt. Je Bundesland werden bis zu drei Projekte nominiert, welche im Rahmen einer österreichweiten Reise durch die Hauptjuror_innen nochmals besucht werden, um die Preisträger_innen zu ermitteln.

„Nur so, nur vor Ort, nur in den Räumen, die Materialien „im Griff“, konnten wir unseres Urteils sicher sein. […] Es ging um Gestaltung, um die Übersetzung von vielfältigen Ansprüchen in Form. Es ging also darum, unsere Urteilskraft zu spitzen, mehr denn je die Hintergründe, die Prozesse mit in den Blick zu nehmen, die Baukunst erst ermöglichen. Gespräche sind hierfür zentral, nicht nur das eigene Schauen, Greifen, Fühlen, Räsonieren – denn der Preis würdigt explizit die Zusammenarbeit von Bauherren und Architekten.“ – Albert Kirchengast, Auszug aus dem Resümee der Hauptjury.

Der Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der Architekt_innen würdigt herausragende Bauten, Freiraumgestaltungen sowie städtebauliche Lösungen der letzten drei Jahre, die sich besonders durch die intensive Zusammenarbeit zwischen Bauherr_innen und Architekt_innen auszeichnen. Ein Großteil der rund 300 bisher ausgezeichneten Bauten ist zu einem fixen Bestandteil des Kanons der österreichischen Architekturgeschichte der jüngeren Vergangenheit geworden.

„Die innerhalb von 52 Jahren mit dem ZV-Bauherrenpreis ausgezeichneten Projekte geben nicht nur einen Überblick über das architektonische Schaffen, sie sind auch Spiegelbild gesellschaftlicher Tendenzen und politischer Schwerpunkte.“ – Maria Auböck, Präsidentin der Zentralvereinigung der Architektinnen und Architekten Österreichs.

Alle eingereichten Projekte werden von 11. bis 29. November 2019 im Rahmen einer Ausstellung im ArchitekturHaus Kärnten zu sehen sein. Ebenso werden die Preisträger_innen und Nominierten in der Reihe „Architektur im Ringturm“ am Schottenring 30, 1010 Wien ab 4. Dezember 2019 präsentiert.

Projekte in alphabetischer Reihenfolge nach Bundesland und Projekt
Jurytexte: Gabriele Kaiser

 

Burgenland:
Streckhof mit Schnapsbrennerei
Hauptstraße 43, 7372 Weingraben
Bauherrschaft: Elisabeth und Claus Schneider
Architektur: Juri Troy Architects, Wien
Fertigstellung: 8/2018

 

Streckhof mit Schnapsbrennerei, Foto: © Markus Bstieler

 

Der burgenländische Hakenhof ist ein organisches Gebilde. Raum um Raum streckt er sich in die Tiefe der schmal-langen Grundstücke – je nachdem über Generationen gediehen. Dort und da wachsen ihm Quertrakte, die den Straßenraum fassen oder das „Hintaus“. In Weingraben, beim großelterlichen Hof, fand man eine besondere Situation vor: Beim Nachbarn liegt die hintere Scheune verdoppelt da. Erst dahinter erstrecken sich malerische Streuobstwiesen, die wiederum zur offenen Landschaft vermitteln. Von dieser Konstellation ließ man sich beim eigenen Wochenenddomizil inspirieren, das als zweigeschossige Neuninterpretation dieses Typus gelingt. Vieles an diesem Projekt ist mustergültig – mitunter, dass der oft fatale Wunsch des Städters, auf dem Land Ruhe zu finden, ein „Häusl mit Ausblick“ zu errichten, diesmal mehr als gut ausgeht. Die Hausherrin war sensibilisiert für das Alte, stammt aus dem Dorf, ihr Mann bringt aus Vorarlberg den Architekten mit. Der ist wesentlich dafür verantwortlich, Lebens-Wünsche zu konkretisieren, ohne Kapriolen zu schlagen. Kein Wunder geriet man doch gemeinsam ins Schwärmen über die gekalkten Wände der umgbenden Baukultur. Hier wollte man sich einfügen. Die angrenzende Scheune verhalf dabei zur zündenden Idee: einem Weiterbauen ohne Anbiederung. Ziegelwand, Ausfachung, Ziegelwand – dieser karge, doch poetische Rhythmus wird übernommen und setzt sich in der Organisation des neuen Grundrisses fort: Raum, Treppe, Raum, ein Dreitakter zwischen halbmeterdicken Mauerklammern, die umlaufend Stauraum bieten und Loggien als dienstbare Pufferräume ausbilden. In diesen Mauerzug wurde eine Massivholzstruktur eingesetzt. Oben zieht man sich zurück, ganz oben, im Spitzboden, blickt man über die Dächer. Ein Leben am Rande zur Natur, ermöglicht durch die Fortschreibung der dörflichen Textur, die zeitgemäße Aneignung einer landwirtschaftlichen Typologie. Entstanden ist ein strenges und ebenso sympathisches, beidseitig durchlässiges Wohnhaus mit optimiertem Zuschnitt für eine junge Familie. Darüber hinaus ein Lehrbeispiel, welch ungehobenen und anregenden Schatz alte Formen noch heute böten – und dabei doch so viel Raum zur Anverwandlung. Dass Idylle Realität werden kann ohne falschen Schein, aus dem uneitlen Zusammenspiel von Geschichte und Gegenwart – gibt es ein gewichtigeres Argument für dieses Projekt? Vielleicht nur jenes, dass man sich einig darin war, hier am liebsten gleich das ganze Wochenende zu verweilen.

 

Oberösterreich:
Wagyu-Stall am Hausruck
Aigen 9, 4902 Atzbach
Bauherrschaft: Hubert und Diana Huemer
Architektur: Atelier Herbert Schrattenecker, Wien
Tragwerksplanung: DI Weilhartner ZT GmbH, Ried im Innkreis
Fertigstellung: 2018

Wagyu Stall am Hausruck, Foto: © Stefan Gruber

 

Der zeitgenössische Bauer: Landschaftspfleger, Tierpfleger – mit Sinn fürs gute Produkt, auf der Suche nach Kunden mit Geschmack. Hier aber ist es eine ganze Bauernfamilie und eine Bäuerin, die nach dem Architekten ruft, sich nicht auf den Rat der Kammer und die Industrie-Ästhetik verlässt. Ein veredeltes Produkt verlangt nach der richtigen Architektur. Sie spielt hier eine große und zugleich kleine Rolle. Zunächst waren nämlich viele gewichtige Entscheidungen über die Zukunft der siebenköpfigen Familie mit Nebenerwerbsbetrieb zu treffen. Die zeitliche Klammer: 2009 der Ausstieg aus der wenig ertragreichen Milchproduktion; 2016 die Errichtung eines neuen Stalls. Dazwischen liegt die Neuerfindung des eigenen Betriebs, der zum Unternehmen am umkämpften Markt der Feinkostprodukte avanciert. Wie so oft, fällt der Name des Architekten in Gesprächen mit Freunden. Der Wunsch an ihn: viel Holz und Komfort für die Tiere! Und so entstand dieser pagodenartige Stall, der etwas von der fremdländischen Art der Rinder ins Hausruckviertel bringt, ohne ein Fremdkörper zu sein. Er steht gut und (bislang noch) luftig neben dem alten Hof. Architektur nimmt hier wieder Teil an der bewussten Lebensplanung, lastet nicht schwer. Denn eines wurde bald klar: entweder man blickt in die Zukunft, oder man hat keine Chance. Heute schmeckt man die Qualität des feinziselierten WagyuFleisches: edel wie Marmor. Sehen sollte man sie eben auch in der Landschaft, das Wirtschaftsgebäude den Schritt zur Verfeinerung des Produkts symbolisieren. Die Familie half mit, ihn zu errichten und steht nun stolz davor. Ihre Geschichte ist beeindruckend und dabei sehr sympathisch – im Stall selbst halten sich auch Menschen gerne auf, klettern hinauf auf den „Balkon“, wo das Stroh lagert, bestaunen das schlanke Holzstabwerk, analysieren die Konstruktion, die eben etwas Fremdes und doch Vertrautes an sich hat. Der Weg der verarbeiteten, kernfreien Fichten und Tannen vom Wald bis hierher ist bekannt. Nicht industriell – klein geschnitten, verleimt – sondern bis zu neun Meter lang sind die am Fußpunkt eingespannten Stützen, verbunden durch die lokale Zimmermannskultur. Hochgehoben sind die Diagonalaussteifungen, wie bei einem Schirm schwebt das Dach ganz elementar über dem geräumigen, luftigen Stall. Der Architekt hat vor langer Zeit türkische Holzstrukturen studiert. Sein ansprechendes Tragwerk spiegelt das Selbstverständnis der Familie: Grenzen kennen, an Grenzen gehen – zur Verbesserung der Dinge.

 

 

Vorarlberg:
Haus obd’r Lech
Oberlech 56, 6764 Lech
Bauherrschaft: Clemens Schmölz
Architektur: Hein Architekten / Matthias Hein, Bregenz Gernot Thurnher, Feldkirch
Tragwerksplanung: Andreas Gaisberger, Dornbirn
Fertigstellung: 1/2018

 

Haus obd’r Lech, Foto: © David Schreyer

 

Man wandert über satte Wiesen, den Weg weist die frische Fichtenschalung. Der zweigeschossige Einhof mit flach geneigtem Blechdach liegt da und genießt die Ruhe der Zwischensaison. Keine einfache Almhütte mehr, sondern ein Luxusobjekt, finden hier drei Paare mitsamt Weinsortiment und Koch (Einliegerwohnung) mietbaren Raum. Die Transformation merkt man dem soliden Haus äußerlich nicht an. Weiterbauen lautet das Thema, zur Revitalisierung eines hochdesolaten Holzbaus. Der Zimmermann riet schon zum Abriss, als das Interesse des Eigentümers nach dem Bauforscher rief, der eines der ältesten Häuser weit und breit entdeckte – ein Walserhaus aus dem 14. Jahrhundert mit seltener Bohlen-Balkendecke. So wurde, was von der Strickstruktur zu retten war, gerettet. Ostseitig, anstelle des bereits in den 1950er-Jahren verlorenen Wirtschaftstrakts, entstand ein Zubau in Holzmassivbauweise. Die ursprüngliche Kubatur sollte wiederhergestellt werden, obschon die Bauordnung nur zehn Prozent Zugewinn erlaubte. Das gelingt durch Neuinterpretation des „Schopfs“ – luftige Loggien, in den Baukörper eingeschnittene Zellen von überraschender innenräumlicher Wirkung. Durch den Wechsel von der Vertikal- zur Stülpschalung blieb der neu-alte Anbau ablesbar. In ihn sind größere Fensteröffnungen mit Schiebeläden eingelassen, während thermisch ertüchtigte, zweiflügelige Fenster mit Balken für die Gesamterscheinung bestimmend bleiben. Im Inneren wird das gelungene Zusammenspiel noch deutlicher: Weder ist das Alte inszeniert noch steht es plump neben dem Neuen. Die Räume verströmen den Geist von Wertschätzung und Neugier, der alle hier Tätigen angespornt hat. Vor allem aber herrscht Gemütlichkeit – ein mächtiger Kamin zieht sich im Mittelflur nach oben in den zentralen Aufenthaltsraum. Luxus wird dabei auf ganz eigene Weise artikuliert, weiß sich zurückzuhalten, unterliegt dem Respekt gegenüber Geschichte und Kontext: Wer die Geschichte des Hauses nicht kennt, meint eher, es müsse sich um eine behutsame Erweiterung handeln. Schön ist die Könnerschaft im Holzbau; der gewisse Witz erfreut, den sich das Meisterliche leistet: Vom hölzernen „Spion“ bis zu den „Zirbenaugen“, die für Abwechslung sorgen bei so viel Weißtanne. Vieles ist durch den Dialog der Handwerker entstanden, auf die man sich hierorts verlassen kann – Handwerker, die auf der Skala des Möglichen den richtigen Ton treffen. Dieses Weiterleben durch Transformation gelingt wohl nur innerhalb einer solcherart hochentwickelten Baukultur.

 

Vorarlberg:
Schule Schendlingen
Wuhrwaldstraße 26, 6900 Bregenz
Bauherrin: Landeshauptstadt Bregenz, Abteilung Planung und Bau/Bernhard Fink
Architektur: studio bär, Bregenz; bernd riegger architekten, Dornbirn; Querformat, Dornbirn
Tragwerksplanung: Manfred Plankel, Bregenz
Fertigstellung: 8/2017

 

Schule Schendlingen, Foto: © Adolf Bereuter

 

Ein Gebäude, das durch die Durchdringung der Bauaufgabe auf struktureller wie formaler Ebene vollends überzeugt. Auch hier herrscht Kostendruck – wie so oft gibt es viele, die mitreden wollen. An der Spitze aber steht ein Pädagoge, der weiß, was er will. Die Klarheit seiner Vorstellungen spiegelt sich im Gebäude wider, einer Ganztagsschule für 6- bis 14-Jährige, die auf einem bereits 2012 ins Leben gerufenen Nachdenkprozess über zukünftige Bildungskonzepte beruht. In Schendlingen sollten diese Überlegungen erstmals gebaut werden. Dem Campus selbst kommt dabei keine geringe Bedeutung zu. Und so hört man oft beim gemeinsamen Rundgang vom „Raum als weiteren Pädagogen“. Flexibilität, Mehrfachnutzung, Clusterbildung – das Anforderungsbündel übersetzt das Architekten-Team in eine umso gelassenere, aber strenge Struktur, mit der es als Sieger aus dem zweitstufigen EU-weiten Wettbewerb hervorging. Den Anlass gibt der hohe Anteil an Schulkindern mit „Migrationshintergrund“ aus den Außenbezirken der Landeshauptstadt. Hier ist der Ort, an dem sie täglich mit der Stadtkultur in Kontakt kommen – die Straßen um die Schule wurden verkehrsberuhigt, üppige Glasflächen vermitteln zum Wohnquartier. Visuelle Hierarchien gibt es keine. Hier soll man allererst das Zusammenleben lernen. Dem „Prinzip Sichtbarkeit“ kommt eine wichtige Rolle zu, denn es sorgt für Aufmerksamkeit und Sorgsamkeit im Umgang miteinander und mit den Dingen. Diese Niederschwelligkeit ist Programm: Zum Direktor gelangt man nicht übers Vorzimmer, Sekretariat gibt es keines, das Lehrerzimmer ist ein Klassenraum und die Sonderunterrichtsräume wirken stets aufgeräumt. Der Stil: Eine Art neuer Brutalismus, in die tektonische Lehre gegangen; Beton, Glas und Holz, von der Decke abgehängt Akustikpanele aus Filz, die für ein bisschen Ornamentik sorgen – wenn man so will. Denn alles ist auf den Punkt gebracht, durch das helle und schön gemaserte, sägeraue Eschenholz und die satten Betonflächen (zweischaliger Sichtbeton) aber nicht spröde, sondern direkt, ungeschminkt. So kann man den Grundriss wie ein Diagramm studieren – ohne dass man sich in einem solchen befindet. Intelligent und kompakt ist dieser Musterschüler: Auflagen der Didaktik, Sicherheit, des Brandschutzes etc. – all das ist in eine Struktur integriert und bewältigt, die kraft ihrer sinnlichen Lapidarität zu Architektur wird. Der Dialog zwischen reformierter Pädagogik und anmutiger Gestaltung ist geglückt. Das gelingt dann, wenn Programme gut durchdacht sind und ambitionierte Architekten diesen Raum schenken.

 

Wien:
Stadtelefant
Bloch-Bauer-Promenade 23, 1100 Wien
Bauherrschaft: Bloch-Bauer-Promenade 23 Real GmbH/ Harald Höller, Christoph Leitner
Architektur: Franz & Sue, Wien
Tragwerksplanung: Petz ZT-GmbH, Wien
Fertigstellung: 12/2018

Stadtelefant, Foto: © Andreas Buchberger

 

Eine neue Gründerzeit – in Wien wird so viel gebaut wie lange nicht. Hinterm neuen Hauptbahnhof, im Sonnwendviertel, entsteht ein so genanntes „Quartiershaus“, das sich durch Zurückhaltung abhebt. Aus den Synergien dreier Architekturbüros, die mit Gleichgesinnten eine Errichtungsgesellschaft gründen und gemeinsam als Baugruppe auftreten, entsteht ein robustes achtgeschossige Haus, in dem man arbeitet und wohnt. Dabei zeigt das kreative Kollektiv nicht nur Unternehmergeist, sondern vor allem Mut, lässt einen Bauträger auf dem Weg zurück, als dieser Qualitätsvorstellungen nicht teilt. Man macht sich die zentralen Themen des Gründerzeithauses von 1900 zu eigen, erkennt jene Qualitäten, die man in der Innenstadt zurückgelassen hat, um in der gebauten Realität der Gegenwart heimisch zu werden: hohe, nutzungsoffene, großzügig belichtete Räume und eine tragfähige Konstruktion. Tatsächlich ein bisschen wie bei Otto Wagner: der Architekt als Bauherr. Und doch hat gute Architektur heute weniger Platz in der Stadt, scheinen die Bedingungen schärfer, kalkulierter. Und so findet man im Ausdruck des Gebäudes nirgends ein Zuviel – und doch entsteht eine Fassade. Welche Form nimmt sie heute noch an? „Eine Ästhetik des dritten Blicks“ nennen das die Architekten. Das klingt nur kokett. Ihre Ästhetik der Knappheit ist der tatsächlichen Reduktion der Mittel geschuldet, die dennoch zu einem probaten formalen Ausdruck führt: Ein Haus, auf seine „Kernform“ reduziert, und doch sprechend, weil es der Zeit einen Spiegel vorhält. Denn natürlich ist das auch effizient, nämlich ein Sandwichsystem aus dem Industriebau mit sinnlich nachbearbeiteten Betonoberflächen, nüchtern zusammenfügt mit breiten, dunklen Silikonfugen. Wie die Haut eines Elefanten – nur, dass der gemeinhin keine weit ausladenden Balkonplatten umgehängt bekommt. An einem schwierigen Restgrundstück, einseitig von einer Tiefgarage bedrängt, ein kleines, baumbestandenes Plätzchen, eine öffentliche Kantine im Erdgeschoss, trotzt der Dickhäuter dem heterogenen Erscheinungsbild dieses Städtebaus, gemahnt an die Errungenschaften der Gründerzeit. Präzise Planung gegen Kostendruck, dezidierte Materialwahl, kluge Grundsatzentscheidungen, Haustechnik mit Hausverstand (Lüften-Können, Strahlungswärme), die Hinnahme eines Geschossverlusts zugunsten guter Raumhöhen, die mit Aufenthaltsqualität gleichzusetzen sind … Daraus entsteht ein Manifest in schriller Umgebung. Es ist eine muntere Aufforderung aus dem Kern der Disziplin, sich nicht bevormunden zu lassen, sondern durch Gestaltung Politik zu betreiben: gegen Konkurrenz, für Teilhabe.

 

Wien:
Universität für angewandte Kunst Wien
Oskar-Kokoschka-Platz 2, 1010 Wien
Bauherrschaft: BIG Bundesimmobiliengesellschaft, Unternehmensbereich Universitäten/Wolfgang Gleissner, Hans Peter Weiss, Andreas Stampfer
Architektur: Riepl Kaufmann Bammer Architektur, Wien
Tragwerksplanung: PCD ZT-GmbH, Wien; Conzett Bronzini Partner, Chur
Fertigstellung: 9/2018

© Bruno Klomfar

 

Es ist immer beruhigend, wenn Bilder sich hinter Räumen verstecken müssen. Wenn der Raum mehr bewirkt als sein zweidimensionaler „Abdruck“. Gerade heute, da sich diese Beziehung in der Architektur verkehrt zu haben scheint. Die Qualität dieses Projekts liegt in der einfühlsamen Neuorganisation eines Baus von Karl Schwanzer, einem zentralen österreichischen Architekten der Nachkriegszeit. Vor allem aber auch in der radikalen, doch begründeten Umwandlung eines Gründerzeitgebäudes, dem zwei Quertrakte im Hof entnommen wurden. In beiden Fällen entstehen solide Räume ohne viel Brimborium. Das solcherart hervorgebrachte Atrium des Zollamtsgebäudes aber wird das universitäre Zusammenleben bereichern und beeindruckt seine Besucher ob seiner kraftstrotzenden Wirkung. Als habe man von den konstruktiven Erschwernissen der Baustelle einen Auftrag erhalten – darunter verläuft ein U-Bahn-Schacht – beeindruckt hier vor allem die konstruktiv-architektonische Leistung. In Zusammenarbeit mit einem bekannten Schweizer Ingenieur ist ein kleines tektonisches Meisterwerk aus nobel gegossenem Sichtbeton entstanden. Es wirkt archaisch und modern zugleich. Das erhabene wie elementare Alphabet aus Balken und Stütze, über mehrere Geschosse sich nach oben hin verjüngend, umgrenzt das neue Forum (inklusive Audimax) der Angewandten und schafft einen großzügigen, identitätsstiftenden Treffpunkt inmitten Wiens. Vis-à-vis sucht man ebenfalls die Rohheit des Schwanzertrakts zu bergen, den Deckenrost und die Primärstruktur herauszuschälen, um der studentischen Aneignung etwas Robustes zu entgegnen. Die Fassaden waren Tabu, im Inneren aber moduliert man die von  unlieben Schichten überfrachteten Räume, gestaltet eingestellte Meisterklassen, Werkstätten und Büros durch ein simples, nie banales System schwarzer Metall-Einbauten, das sich gut in die rationale Grundstruktur einfügt. Der Kampf mit heutigen Anforderungen und technischen Standards ist bestanden. Dass die nötigen Eingriffe, die vielfach „Bereinigungen“ waren, nicht nur solide und dauerhaft wirken, ohne schrille Farbigkeit oder Firlefanz auskommen, zudem aber in bestem Einvernehmen aller und bei laufendem Betrieb vonstattengingen, verweist auf ein honorables Teamwork. Architektur folgt hier dem Prinzip Dialog: mit den künftigen Nutzern, mit der alten Bausubstanz – ob gründerzeitlich oder spätmodern. Der dezidierte Formwille wird umso deutlicher an den wenigen Akzenten, die auf Respekt vor dem Bestand beruhen.

 

ZV-Bauherrenpreis 2019 Jury

Andreas Cukrowicz studierte Architektur an der TU Wien und der Akademie der bildenden Künste Wien. Seit 1996 betreibt er mit Anton Nachbaur-Sturm das gemeinsame Büro Cukrowicz Nachbaur Architekten in Bregenz. Er lehrte an der Kunstuniversität Wien, der FH Kärnten in Spittal/Drau und an der TU München und ist Mitglied im Gestaltungsbeirat Innsbruck sowie Vorsitzender des Landesgestaltungsbeirates Vorarlberg.

Donatella Fioretti studierte Architektur am Instituto Universitario di Architettura Venezia und gründete 1995 gemeinsam mit Ihren Partnern Piero Bruno und José Gutierrez Marquez ihr gemeinsames Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez Architekten in Berlin. Sie unterrichtete als Professorin für Baukonstruktion und Entwerfen an der Technischen Universität Berlin und ist derzeit Professorin für Baukunst an der Akademie der Künste in Düsseldorf.

Albert Kirchengast ist Architekturtheoretiker am Kunsthistorischen Institut in Florenz und derzeit Gastprofessor an der TU Wien. Er war Oberassistent an der ETH Zürich, Research Fellow an der Harvard GSD und hat 2017 promoviert. Sein Buch, „Franz Riepl baut auf dem Land. Eine Ästhetik des Selbstverständlichen“, erhielt 2018 den DAM Architectural Book Award. Im Herbst 2019 erscheint „Das unvollständige Haus: Mies van der Rohe und die Landschaft“ bei Birkhäuser.

ZV-Bauherrenpreis 2019

Der Preis wird jährlich seit 1967 vergeben und honoriert Persönlichkeiten oder Personenkreise, die sich als Bauherr_in, Auftraggeber_in oder Mentor_in in besonderer Weise für die Baukultur in Österreich verdient gemacht haben. Dabei steht die architektonische Gestaltung sowie der innovatorische Charakter im Vordergrund. Die Bauten sollen einen positiven Beitrag zur Verbesserung des Lebensumfeldes leisten. Es werden beispielhafte Projekte gesucht, bei denen die intensive Zusammenarbeit zwischen Bauherr_innen und Architekt_innen zu außergewöhnlichen Lösungen geführt hat. Ausgezeichnet werden herausragende Bauten, Freiraumgestaltungen sowie städtebauliche Lösungen, die in den vergangen drei Jahren entstanden sind.  Auslober ist die  ZV – Zentralvereinigung der Architektinnen und Architekten Österreichs.

Pressemitteilung: ZV – Zentralvereinigung der Architektinnen und Architekten Österreichs