1. Oktober 2025

Bauen für die Zukunft: Architektonische Resilienz von Logistikimmobilien als Antwort auf globale Krisen

Martin Pollpeter © plan4buildING GmbH

Gastbeitrag – Die Architektur von Logistikimmobilien steht an einem Wendepunkt. Während in der Vergangenheit primär Effizienz, Kosten und Ästhetik die Planung dominierten, fordern die aktuellen globalen Entwicklungen eine grundlegende Neuausrichtung: Resilienz muss zum integralen Bestandteil jedes Entwurfs werden. Extreme Wetterereignisse und die wachsende Gefahr von Infrastrukturausfällen sind nicht länger hypothetische Szenarien, sondern eine gelebte Realität, die das Fundament unserer Versorgungsketten bedroht. Trotz dieser unübersehbaren Herausforderungen wird das Potenzial einer vorausschauenden, risikobewussten Bauweise oft noch unzureichend genutzt.

Wenn das Klima die Bauweise herausfordert

Die Klimakrise manifestiert sich in immer kürzeren Zyklen mit verheerenden Auswirkungen. Starkregenereignisse verwandeln Bauflächen in Überschwemmungsgebiete, Hitzewellen strapazieren Materialien und Kühlsysteme, während Stürme Dächer abdecken und Fassaden beschädigen. Parallel dazu steigt die Anfälligkeit unserer Energieversorgungsnetze, sei es durch Überlastung, technische Störungen oder gar gezielte Cyberangriffe. Für Logistikzentren, die oft das Nervensystem regionaler und nationaler Lieferketten bilden, können solche Störungen fatale Konsequenzen haben. Nicht nur der Warenfluss wird unterbrochen, sondern auch die Bausubstanz selbst leidet massiv.

Besonders kritisch wird die Situation, wenn die Klimaveränderungen auf eine alternde Bestandsinfrastruktur treffen. Bauwerksprüfungen zeigen immer wieder, dass essenzielle Elemente wie Brücken, die einer regelmäßigen Überprüfung bedürfen, oft erheblichen Sanierungsbedarf aufweisen. Eine erzwungene Sperrung einer solchen Brücke, wie derzeit die weitreichenden Auswirkungen der A100-Sperrung in Berlin zeigen, verdeutlicht drastisch, wie einzelne Schwachstellen im Verkehrsnetz ganze Regionen lahmlegen können. Die architektonische Planung muss daher nicht nur die Resilienz des Gebäudes selbst, sondern auch dessen Einbettung in ein robustes und redundantes Infrastruktursystem berücksichtigen. Es geht darum, nicht nur das Risiko am Standort, sondern auch das Risiko der Anbindung zu minimieren.

Architektur als Risikomanagement: Mehr als nur Statik

Eine zukunftsfähige Logistikarchitektur muss über die reine Erfüllung bauphysikalischer und statischer Normen hinausgehen. Sie muss eine umfassende Risikoabschätzung in den Planungsprozess integrieren, die klimatische, topografische und infrastrukturelle Gegebenheiten detailgenau analysiert. Dazu gehören Fragen nach der Hochwassergefährdung des Areals, der Stabilität des regionalen Stromnetzes und der Verfügbarkeit von alternativen Versorgungsressourcen im Notfall.

Ein oft unterschätzter Aspekt ist die mikro-lokale Vernetzung der Immobilie. Befindet sich in der Nähe eine kritische Infrastruktur wie ein Krankenhaus, kann dies die Versorgungspriorität des Logistikzentrums im Krisenfall beeinflussen. Eine kluge architektonische Planung berücksichtigt solche Zusammenhänge, um potenzielle Vorteile zu nutzen oder Nachteile abzufedern. Entscheidend ist zudem die Planung von Zufahrtswegen: Bestehen bei Ausfall einer Hauptverkehrsader oder bei einer langfristigen Brückensanierung ausreichende und tragfähige Alternativrouten? Die Architekten sind hier gefordert, nicht nur das Gebäude, sondern das gesamte logistische Ökosystem zu betrachten.

Planungsansätze für eine widerstandsfähige Bauweise

Praxisbeispiele zeigen, dass eine resiliente Bauweise von Logistikimmobilien von Anfang an mitgedacht werden kann. Bei einem Projekt in einem stark regenexponierten Industriegebiet wurde beispielsweise eine erhöhte Bauweise mit einem unterirdischen Versickerungssystem gewählt. Die Energieversorgung wurde dreifach redundant ausgelegt, kombiniert aus externen Netzanbindungen, einer Photovoltaikanlage und Batteriespeichern. Ein hybrides Heizsystem bietet Unabhängigkeit vom Gasnetz. Sensorgestützte Monitoringsysteme erlauben dem Gebäudemanagement frühzeitige Reaktionen auf kritische Entwicklungen wie Wassereintritt oder Spannungsschwankungen. Ein wesentliches architektonisches Detail war hierbei die Gewährleistung mehrerer unabhängiger Zufahrtswege, die eine kontinuierliche Erreichbarkeit selbst bei lokalen Infrastrukturausfällen sicherstellen.

Die Merkmale einer krisenfesten Logistikimmobilie sind vielschichtig. Dazu gehört eine multimodale Erreichbarkeit, die eine kontinuierliche Anbindung über verschiedene Verkehrsträger wie Straße, Schiene und Wasserweg ermöglicht, selbst wenn einzelne Routen durch Naturereignisse oder Infrastruktursperrungen beeinträchtigt sind. Eine autarke Energieversorgung ist durch die Integration von Photovoltaik, Blockheizkraftwerken, Batteriespeichern und Notstromaggregaten realisierbar, was den Betrieb bei externen Ausfällen sichert. Das technische Risikomanagementbeinhaltet die Implementierung von Frühwarnsystemen für Rauch, Temperatur, Wasserstand und Stromschwankungen, die wertvolle Sekunden zur Schadensbegrenzung verschaffen. Die digitale Infrastruktur muss ebenfalls redundant ausgelegt sein, mit dezentralen Servern und Offline-Betriebsfähigkeit für kritische Systeme, um Funktionsfähigkeit bei Internetausfällen zu gewährleisten. Eine klimasensible Bauweise berücksichtigt neben Statik und Materialwahl auch die Gestaltung des Umfelds durch Retentionsflächen, begrünte Anlagen und gezielte Verschattung zur Hitzeminderung und Wasserregulation. Schließlich ist die organisatorische Resilienz durch die Entwicklung klarer Notfallpläne und regelmäßiger Mitarbeiterschulungen ein unverzichtbarer Bestandteil der Gesamtkonzeption.

Technologie als architektonischer Partner

Moderne Technologien bieten Architekten leistungsstarke Werkzeuge zur Steigerung der Resilienz. Geoinformationssysteme (GIS) ermöglichen eine präzise Modellierung von Standortrisiken und sollten bereits in der Entwurfsphase zur Analyse von Überschwemmungsgefahren, Hitzeinseln oder Windlastzonen eingesetzt werden, ergänzt um Daten zum Zustand der umliegenden Verkehrsinfrastruktur. Simulationssoftware erlaubt es, die Widerstandsfähigkeit des Gebäudes unter Extrembedingungen virtuell zu testen und architektonische Lösungen im Vorfeld zu optimieren. Smart Grid-Technologien sind entscheidend für die intelligente Energieverteilung innerhalb der Immobilie und das Zusammenspiel verschiedener Energiequellen. IoT-Monitoring mit vernetzten Sensoren liefert Echtzeitdaten über Umwelt- und Betriebsbedingungen und ermöglicht präventive Maßnahmen. Die Nutzung von Digitalen Zwillingen als umfassende Echtzeit-Abbildung der Immobilie revolutioniert das Facility Management und die vorausschauende Instandhaltung. Ergänzend dazu bieten Satellitendaten und Predictive Maintenance die Möglichkeit, externe Risikoquellen mit internen Betriebsdaten zu verknüpfen und hochpräzise Frühwarnsysteme zu entwickeln.

Fazit: Resilienz als architektonisches Vermächtnis

Für Investoren und Projektentwickler bedeutet dies, Resilienz als Investment zu begreifen. Eine frühzeitige Resilienzplanung bereits in der Konzeptionsphase spart Kosten und sichert langfristig den Wert der Immobilie. Ganzheitliche Risikoanalysen, die geopolitische, soziale und insbesondere infrastrukturelle Aspekte wie den Zustand von Brücken und Straßen bewerten, sind unverzichtbar. Die Integration in kommunale Katastrophenschutzpläneund die Berücksichtigung der Nachrüstbarkeit bei der Planung sind ebenso entscheidend.

Die Botschaft an die Architekturszene ist klar: Resilienz ist nicht mehr nur ein technischer Zusatz, sondern ein zentrales Gestaltungsprinzip. Die Fähigkeit, kritische Infrastrukturen auch unter extremen Bedingungen funktionsfähig zu halten, wird zum Qualitätsmerkmal exzellenter Architektur. Indem wir uns dieser Verantwortung stellen, schaffen wir nicht nur Gebäude, sondern zukunftssichere Logistikdrehkreuze, die den Herausforderungen einer sich wandelnden Welt standhalten. Das ist unser architektonisches Vermächtnis für die kommenden Generationen.

Gastbeitrag von Martin Pollpeter
Martin Pollpeter ist Experte in der Steuerung komplexer Bauvorhaben und der nachhaltigen Generalplanung sowie Geschäftsführer der Bockermann Fritze plan4buildING GmbH. Mit einem gut eingespielten Team aus über 60 Köpfen legt er frühzeitig den Fokus auf die ganzheitliche Betreuung von Projekten – angefangen bei der Standortsuche und -analyse bis hin zur vollständigen und integralen Planungsleistung. Sein Tätigkeitsfeld erstreckt sich von der Gebiets- und Standortentwicklung mit allen Fachplanungen bis zur Generalplanung sowie dem umfassenden Projektmanagement. Dabei konzentriert er sich auf die erfolgreiche Realisierung von Gewerbe- und Logistikprojekten für Projektentwickler, Gewerbetreibende und Investoren im Bauwesen sowie für öffentliche Bauaufgaben. Mit einem vielseitigen Expertenpool bietet Martin Pollpeter professionelle Unterstützung – und zwar “vorzeitig nachhaltig” im gesamten Projektzyklus.