27. April 2024

Ausgezeichneter Wohnungsbau 2020

München (pm) – Architektur ist, so hat es Ernst Bloch einmal formuliert, der „Produktionsversuch von Heimat“. Ein starker Begriff, wie ich finde, der die Architektur weit über die technische Disziplin, ein ordentliches Haus abzuliefern, hinaushebt. Zu Recht. „Heimat“ – was ist das eigentlich? Ein Wort, das es in dieser Konnotation nur in der deutschen Sprache gibt, ein Begriff, der missbräuchlich nationalisiert und vorsätzlich verkitscht worden ist. Genau deshalb meiden ihn viele Menschen, insgeheim treibt die Menschen aber genau diese Sehnsucht nach Heimat an, wie die Suche nach einem unbekannten Ort. Heimat ist sicher keine Postadresse eines Wohngebäudes, auch nichts, was in vier Wänden stattfindet. Heimat ist, soziologisch gesprochen, die Projektionsfläche für die Sehnsucht nach bleibenden Werten.

Es war wiederum Ernst Bloch, der mit seiner Definition von Heimat eine heute noch gültige Interpretation des Begriffs geliefert hat. Danach ist Heimat das, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war.“ Der Begriff wird dadurch entörtlicht, auf das uns sozial und kulturell Prägende gelenkt und gleichzeitig noch weniger greifbar. Die Stadt ist nach Georg Simmel eben doch keine Ansammlung von Häusern, in denen Menschen wohnen, sondern eine Ansammlung von Menschen, die auch Häuser bauen. Ähnlich Albert Schweitzer, der formulierte: „Erst bauen Menschen Häuser, dann bauen Häuser Menschen.“ Eine Ansicht, die in ihrer positiven Wirkung schwer belegbar ist – oder macht ein hübsches Einfamilienhaus automatisch glücklich? –, in ihrer negativen Wirkung aber evident. Als vor einigen Jahren in den Banlieues von Paris die Barrikaden brannten, waren neben den sozialen und migrationspolitischen Ursachen schnell auch die städtebaulichen gefunden. Die Trabantenstadt in ihrer Seelenlosigkeit als Zuchtanstalt für das Böse im Menschen. Dieser Zusammenhang zwischen Architektur, Städtebau und sozialen Unruhen wurde in fast allen überregionalen Medien thematisiert. Die Architektenschaft hört es nicht gerne, aber wenn man ehrlich ist, haben auch die deutschen Trabantenstädte der 60er- und 70er-Jahre bei vielen Menschen eine posttraumatische Belastungsstörung hinterlassen.

Wenn heute in Zeiten extremer Flächenknappheit in deutschen Großstädten bei Bürgerversammlungen über Verdichtung und Hochhäuser gesprochen wird, löst das mehrheitlich Entsetzen aus. Gleichzeitig fotografieren wir die engen Altstadtgassen unserer unzerstörten oder wiederaufgebauten Altstädte mit ebenso großem Entzücken wie die engen Gassen Venedigs, die Silhouette von Orvieto oder die pittoresken Dörfer der Cinque Terre. Wenn die GFZ oder die GRZ dieser Siedlungen bekannt wären, würde man das abstrakt für menschenfeindliche Architektur halten. Das macht klar: Dichte allein ist kein Problem, wenn die städtebauliche Qualität stimmt.

Ein Haus steht nicht für sich allein, sondern korrespondiert mit der Umgebung. Seine Qualität resultiert gleichermaßen aus dem privaten „Inneren“ wie aus seiner Interaktion mit dem Draußen, also mit den halböffentlichen Räumen und dem öffentlichen Raum. Diese Schichtungen zwischen dem privaten, halböffentlichen und öffentlichen Raum sind der Wesensgehalt der europäischen Stadt seit ihrer Entstehung. Das Private in der europäischen Stadt gab (und gibt uns heute) Schutz, Sicherheit und die Autonomie, unsere eigene Individualität im Stadtorganismus zu entwickeln. Dem gegenüber liegt der öffentliche Raum mit der Agora, dem Ort der gemeinsamen Willensbildung, wenn man so will, dem Sitz des kollektiven Bewusstseins, der Keimzelle der Demokratie im Diskurs über gute und schlechte Stadtregierung, über der Stadt 5 Bestes, das gemeinsam zu suchen ist. Gute Architektur produziert aber nicht nur Heimat, sondern auch Ästhetik, Maßstäblichkeit, Interaktion zwischen Alt und Neu, technischen Fortschritt z. B. in ökologischen Fragen. Gute Architektur ist Wellness für unsere Augen.

Es gibt kaum ein langlebigeres Produkt in unserer Volkswirtschaft als Gebäude. Deshalb soll man auf dem Stand des jeweils noch nicht widerlegten Irrtums ökologisch bauen, deswegen muss Architektur das Umfeld aktiv berücksichtigen und dort, wo Bestandsgebäude umgenutzt oder reaktiviert werden, die Historie respektieren, ohne sie für unantastbar zu erklären. Schlechte Baukultur ist eine Sünde, die jahrzehntelange Reue nach sich ziehen kann, so lange eben, wie man das anschauen muss, was nicht hätte gebaut werden dürfen. Das, was unbedingt hat gebaut werden müssen und woran wir uns erfreuen, findet sich in diesem Jahresband zu ausgezeichnetem Wohnungsbau im doppelten Wortsinn.

Schwierige Grundstückszuschnitte, Lagen an städtebaulich tektonischen Gräben, Altbausubstanz, die man zu anderer Zeit vielleicht abgerissen hätte, für all das finden sich im 2020er-Jahrgang gute und beste Beispiele: Architektur, die gefällt, ohne gefällig zu sein, Raumkonzepte, die auf unterschiedliche Lebensformen reagieren, Orte zum Leben mit Lebensqualität, Bauten, die das Kriterium, Wellness für die Augen zu sein, erfüllen. Der Respekt gebührt sowohl den jeweiligen Baumeistern wie auch den dahinterstehenden Investoren (erfreulicherweise nicht selten öffentliche Bauherren), es nicht so gemacht zu haben, wie es alle gemacht hätten. Das ist eben der kleine Unterschied.

Aufgepasst, in diesem Buch wird Heimat produziert!

Text: Ulrich Maly

 

Fakten zum Wettbewerb:

Der Award Deutscher Wohnungsbau wurde 2019 zum ersten Mal ausgelobt. Dieses Jahr hat die Jury Preise in zehn Kategorien ausgesprochen: Außenraum/Landschaftsarchitektur, Modularer Wohnungsbau, Nachverdichtung, Nachhaltiges/Energiekonzept, Partizipative Planung, Premiumwohnen, Quartiersentwicklung, Revitalisierung/Umbau, Sozialer Wohnungsbau und Wohnhochhaus.

Im Buch sind die besten 35 Projekte dokumentiert. Die Jury vergab einen ersten Preis, eine Sonderauszeichnung, vier Anerkennungen und 29 Auszeichnungen. Partner des Wettbewerbs sind das InformationsZentrum Beton, das Architektur-Magazin Baumeister, die Messe München mit der ExpoReal, BAUINDUSTRIE sowie der ivd.

1. Preis:

Metropolenhaus Am Jüdischen Museum
Auftraggeber: Metropolenhaus AM Jüdischen Museum GmbH & Co. KG
Architekten: bfstudio Partnerschaft von Architekten mbB Benita Braun-Feldweg & Matthias Muffert

FOTO: SE­BASTI­AN WELLS, BER­LIN

 

Sonderauszeichnung:

Altes Garmisch neu gelebt
Auftraggeber: VEHBL GbR Baugemeinschaft Quartiersentwicklungsgesellschaft Konstanz
Architekten: Beer Bembé Dellinger Architekten und Stadtplaner GmbH

FOTO: STEFAN MÜLLER-NAU­MANN, MÜNCHEN

 

Anerkennungen gingen an:

Eisberg
Auftraggeber: Privat
Architekten: rundzwei Architekten Reeg und Dufour GmbB

Stadtvillen Freiburg
Auftraggeber: IBA Immobilien GmbH, IWP-Immo-Wohnbau-Projekt GmbH & Co. Breisgau
Architekten: sacker

Liebighöfe
Auftraggeber: Stadtbau Aschaffenburg GmbH
Architekten: Bruno Fioretti Marquez

Gropiusallee
Auftraggeber: WGD Wohnungsgenossenschaft Dessau e.G.
Architekten: Heide & von Beckerath

 

Folgenden Objekten hat die Jury eine Auszeichnung zugesprochen:

Außenraum/Landschaftsarchitektur:

Hartenecker Höhe, Auftraggeber: Stadt Ludwigsburg, Architekten: Planstatt Senner, Überlingen

Modularer Wohnungsbau:

LiWood Punkthaus, Auftraggeber: GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München mbH, Architekten: Grassinger Emrich Architekten GmbH

Nachhaltiges Energiekonzept:

P#01 Das Nest, Auftraggeber: NEST Ecoproject Verwaltung GmbH, Architekten: NEST Architekten GbR

Erstes energieautarkes Mehrfamilienhaus Deutschlands, Auftraggeber: Wilhelmshavener Spar- und Baugesellschaft eG, Architekten: Wilhelmshavener SPAR + BAU Wohnungsgesellschaft

Nachverdichtung:

AHOJ! Zu Hause im Richardkiez, Auftraggeber: urban space Immobilien Projektentwicklung GmbH & Co. KG, Hamburg, Architekten: Arnold und Gladisch Architekten BDA

Wohnhaus Buchauerstraße, Auftraggeber: Eurytos Hausbau GmbH & Co. KG, Architekten: Reinhart + Partner Architekten und Stadtplaner mbB

Platensiedlung, Auftraggeber: ABG Frankfurt Holding, Architekten: LiWood Holzmodulbau AG, Stefan Forster GmbH

Partizipative Planung:

Der kleine Prinz, Auftraggeber: Baugemeinschaft Der kleine Prinz, Architekten: dressler mayerhofer rössler srchitekten und stadtplaner gmbh

Prinz-Eugen-Park, Auftraggeber: Progeno Wohnungsgenossenschaft eG, Architekten: Lang Hugger Rampp GmbH

Holzhaus am Waldpark, Auftraggeber: Baugruppe Holzhaus am Waldpark, Architekten: Scharabi Architekten PartG mbB

Premiumwohnen:

Wohn- und Geschäftshaus Feilitzschstraße, Auftraggeber: Witte Projektmanagement GmbH, Architekten: Kupferschmidt Architekten GmbH

WAVE Waterside Living, Auftraggeber: Bauwerk Capital GmbH & Co. KG, Architekten: GRAFT Gesellschaft von Architekten mbH

Stadthaus G82, Auftraggeber: Christina und Michael Rogusch, Architekten: pier7 architekten GmbH

Quartiersentwicklung:

Quartier 52° Nord, Auftraggeber: BUWOG Bauträger GmbH, Architekten: ASTOC Architects & Planners , Köln; kba Architekten und Ingenieure GmbH, Berlin; PA GmbH Pätzold Architekten; Stefan Wallmann Landschaftsarchitekten BDLA, Berlin

Am Bramfelder Dorfgraben, Auftraggeber: Wohnungsverein Hamburg von 1902 eG und C.E. Danger GmbH & Co. KG; Architekten: Hohaus Hinz & Seifert Architekturgesellschaft

Gebäudeensemble im Kringsgat, Auftraggeber: K+ Projekt GmbH, Architekten: Kirchner Architekten Partnerschaft mbB

Fasanenhöfe, Auftraggeber: Eurytos Hausbau GmbH & Co. KG, Architekten: Reinhart + Partner Architekten und Stadtplaner mbB

Le Quartier 1 im Wohnpark am Ebenberg, Auftraggeber: Reuter Real Estate GmbH, Architekten: Kupferschmidt Architekten

Wohnen im Eichenpark, Auftraggeber: Saccullo Massivhaus GmbH, Architekten: Guder Hoffend Architekten

Hafengold, Auftraggeber: Deutsche Wohnwerte GmbH & Co. KG, Architekten: Fischer Architekten GmbH Architektur und Stadtplanung BDA

Parklogen Schwabing, Auftraggeber: LIP Ludger Inholte Projektentwicklung GmbH, Architekten: prasch buken partner architekten PartG mbB

Revitalisierung/Umbau:

SonnenTurm im Finkenpark, Auftraggeber: Evangelisches Siedlungswerk in Bayern Bau- und Siedlungsgesellschaft mbH, Architekten: AGZ Zimmermann Architekten GmbH BDA

Gründerviertel, Auftraggeber: Wohnungsbaugesellschaft Ostholstein mbH, Architekten: Architekten Philipe Roden & Rolf Kuhfeldt Partnerschaft

Sozialer Wohnungsbau:

Wohnanlage Deininger Weg, Auftraggeber: Stadt Neumarkt in der Oberpfalz, Architekten: Diezinger Architekten GmbH

Paul-Zobel-Straße, Auftraggeber: HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH, Architekten: Heide & von Beckerath

Familiengerechtes Bauen in den Donauauen, Auftraggeber: Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Ingolstadt GmbH, Architekten: Therese Strohe Michael Ullrich Architekten Partnerschaftsgesellschaft mbB, Berlin

Brüxer Straße, Auftraggeber: Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Erlangen mbH, Architekten: grabow klause architekten partmbb

Wohnanlage Peisserstraße, Auftraggeber: Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Ingolstadt GmbH, Architekten: Diezinger Architekten GmbH

Wohnhochhaus:

Strandhaus by Richard Meier, Auftraggeber: QaS Lighthouse GmbH & Co. KG (Quantum Immobilien AG und Engel & Völkers AG); Architekten: Richard Meier and Partners Architects LLP

Die Autorin

Cornelia Dörries studierte Soziologie in Berlin und Manchester. Sie war langjährige Redakteurin beim Deutschen Architektenblatt. Als freie Journalistin publiziert sie vorrangig in den Bereichen Stadtentwicklung, Stadtgeschichte, Architektur und Innenarchitektur.

Die Jury

  • Lars Krückeberg, Gründungspartner GRAFT Architekten GmbH, Sieger der Kategorie Umbau 2019
  • Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur
  • Ulrich Nolting, Geschäftsführer InformationsZentrum Beton
  • Josef Schmid, Mitglied des Ausschusses für Wohnen, Bau und Verkehr im Landtag
  • Sabine Schneider, Editorial Manager des Architekturmagazins „Baumeister“
  • Inga Stein-Barthelmes, Geschäftsbereichsleiterin Politik, Kommunikation und Presse des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie

 

Cornelia Dörries

Ausgezeichneter Wohnungsbau 2020

Die besten Wohnungsbauten 2020

  1. 272 Seiten, 300 farbige Abbildungen und Pläne

23 x 30 cm, gebunden

€ [D] 98,- / €[A] 100,80; sFr. 132,00

ISBN: 978-3-7667-2488-5

 

Pressemitteilung: Callwey GmbH