19. April 2024

Ashurst LLP: Hybride Immobilien und das Baurecht – Was bringt die Zukunft?

Frankfurt (pm) – Die Corona-Krise hat gezeigt: Gerade in der Immobiliennutzung bedarf es neuer Lösungen, um den geänderten Bedarfen gerecht zu werden. Hybride Immobilienprojekte sind hier ein Ansatz. Welche Möglichkeiten bieten sie in der Stadt der Zukunft? Und welche rechtlichen Rahmenbedingungen sind nötig, um sie umsetzen zu können? Ein Gespräch mit Liane Muschter, Partnerin der Real Estate Praxis in der internationalen Kanzlei Ashurst LLP über die Zukunft hybrider Immobilien und juristische Herausforderungen für Post-Corona-Projektentwicklungen.

Frau Muschter, zu welchen Themen haben Sie Ihre Mandanten in den letzten Wochen besonders häufig beraten?

Wir bringen aktuell viele Transaktionen zum Abschluss, die noch vor der Krise initiiert wurden. Aber wir beobachten auch, dass im Markt aktuell große Unsicherheit herrscht. Viele Entwicklungen stehen aktuell still. Gleichzeitig sehen wir aber, wie neu gedacht wird, um innovative Modelle zu finden, damit Immobilienprojekte bei Gewinneinbrüchen durch alternative Geschäftsmodelle finanziert werden können. Wir brauchen solche flexiblen Raumlösungen, um auf die sich wandelnden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedarfe zu reagieren. Dies gilt auch für kurzfristige Umnutzungen bestehender Immobilien.

Sehen Sie Trends, was mögliche Umnutzungen angeht?

Hier gibt es verschiedene neue Ansätze, ich kann aus unserer Praxis einige Beispiele nennen: Wir haben in mehreren Ländern die Raumumnutzung bei medizinischer Betreuung gesehen – Hotelzimmer können dann in Krisenzeiten als medizinische Räume in Betracht gezogen werden, damit im Notfall mehr Kapazitäten für die Versorgung von Patienten geschaffen werden. Ein anderes Beispiel: Wir haben aktuell zwei Mandanten beraten, die Altersheime partiell in Hotels umstrukturieren wollen, um Angehörigen längere Aufenthalte zu ermöglichen. Und schließlich betrifft die Flexibilisierung auch das Thema Wohnen, da auch Gewerbeimmobilien in Innenstädten zu Wohnungen umgenutzt werden können und damit zur Revitalisierung der High Street beitragen.

Das Thema hybride Immobilien war schon vor Corona interessant. Erfährt es durch die Krise neue Schubkraft?

Corona hat uns gezeigt, dass wir in allen Teilen unserer Gesellschaft eine stärkere Flexibilisierung brauchen, um uns dem „neuen Normal“ anzupassen. Diskutierte man bislang eher theoretisch über hybride Nutzungsmodelle als Möglichkeit der Belebung von (Innen-)Städten, schafft die Corona-Krise nun neue Denkräume, sowohl bei Entwicklern und Investoren als auch bei Städten und Gemeinden. Es ist absehbar, dass Wohnimmobilien von der Krise profitieren werden, während klassische Büroimmobilien und Retail ihre Stellung in Innenstädten mittelfristig neu definieren müssen. Home Office, der Lockdown und die allgemeine Krise des Einzelhandels haben die Situation der High Street maßgeblich verschärft.

Wie aber kann das genau umgesetzt werden – welche rechtlichen Rahmenbedingungen benötigen wir dazu?

Wir haben es hier mit einem sehr komplexen Themengebiet zu tun, das bislang in Deutschland wenig etabliert und rechtlich kompliziert ist, weil diverse baurechtliche Bestimmungen, Stadtentwicklungsvorgaben und politische Implikationen ineinandergreifen. Unser Baurecht ist sehr statisch und unflexibel, da es ein Schutzrecht ist. Das ist gut so, aber es schafft enormen bürokratischen Aufwand für innovative Immobilienprojekte mit flexibler Raumnutzung. Das Baurecht sieht solche Gebäudekonzepte nicht vor, entsprechend müssen Flächennutzungspläne, Bebauungspläne und Bestimmungen zur Gebäudestruktur angepasst werden.

Ist das ein rein rechtliches Problem? Oder gibt es auch politische Herausforderungen?

Änderungen im Baurecht werden nur erfolgen, wenn Städte und Gemeinden die positiven Aspekte hybrider Immobilien erkennen und ein politischer Wille vorhanden ist, hier stadtplanerische Anpassungen vorzunehmen. Wir haben aktuell die Chance, gemeinsam Konzepte zu erarbeiten, um Lösungen für die Herausforderungen der Krise zu finden: Mehr Wohnflächen durch flexible Nutzung zu schaffen, den Stillstand im Bereich Retail und Office zu überwinden und nicht zuletzt neue Mobilitätslösungen zu finden.

Gibt es hier internationale Vorreiter, an denen Deutschland sich orientieren könnte?

Es gibt einige innovative Vorbilder von „Hybrid Houses“ aus Asien oder den VAE, allerdings betreffen die hybriden Nutzungen hier hauptsächlich Hochhäuser. In Deutschland gibt es inzwischen ähnliche Konzepte vertikaler Hybridgebäude, zum Beispiel ONE FORTY WEST in Frankfurt, die Einkaufsmöglichkeiten, Kitas, Wohn-, Office- und Hotelräume verbinden. Interessant wäre es aber auch, neue, spezifisch europäische Lösungen zu finden, die hybride Nutzungen in das städtische Gefüge integrieren. Damit könnte an historische Stadtmodelle angeschlossen werden, die seit dem Mittelalter Wohnen und Arbeiten eng miteinander verzahnt hatten. So könnte eine spezifisch europäische Stadt des 21. Jahrhunderts entstehen, die die Vorzüge der europäischen Stadtgeschichte nutzt, um Innenstädte zukunftsfähig zu machen.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft – was erwartet uns?

Bislang stießen die Befürworter flexibler Immobiliennutzungen auf das Gegenargument, dass das System in seiner aktuellen Form funktioniert und keiner grundlegenden Überarbeitung bedarf. Die Corona-Krise hat innerhalb kürzester Zeit das Gegenteil bewiesen und gezeigt: Es gibt einen Bedarf an neuen Konzepten – parallel dazu muss ein baurechtliches Umdenken folgen. Es ist an der Zeit, neue Wege zu beschreiten. Unser Anliegen als Kanzlei ist es, herauszufinden, welche Veränderungen innovative Konzepte erreichen können, welche langfristigen Auswirkungen durch Modellprojekte entstehen. Wir möchten einen Diskurs für das Thema hybride Immobilien in Deutschland eröffnen.

Pressemitteilung: Ashurst LLP / SCHWAN COMMUNICATIONS