8. Oktober 2024

Architektin Ingrid Spengler zum „UmweltHaus“: „Wir bauen die Ästhetik einer nachhaltigen Zukunft“


Nürnberg (pm) – Seit mehr als 25 Jahren ist die UmweltBank mit nachhaltigen Anlage- und Finanzierungsmodellen erfolgreich am Markt und zuletzt stark gewachsen. Um alle Mitarbeitenden unter einem Dach zu vereinen, baut die Bank derzeit in ihrer Heimatstadt Nürnberg ihren neuen Firmensitz. Getreu ihrem Leitmotiv Ökologie und Ökonomie miteinander in Einklang zu bringen, entsteht das „UmweltHaus“ als 13-stöckiges Holzhybridhochaus. Gleichzeitig markiert der Bau den ersten Baustein für ein neues nachhaltiges Stadtviertel, das „UmweltQuartier“ am Nürnberger Nordwestring. Im Zentrum der Planungen stehen die ressourcenschonende Bauweise und ein umfassendes Energiekonzept. Beim europaweiten Architekturwettbewerb im Jahr 2020 sicherte sich das Architekturbüro Spengler Wiescholek aus Hamburg den 1. Preis und den Auftrag. Die verantwortliche Architektin Ingrid Spengler spricht über die Ansprüche, die Bauherrin und Planer:innen an das Projekt stellen und wie nachhaltige Bauweisen die Ästhetik zukünftiger Bauwerke prägen.

(c) spengler wiescholek Architektur//Stadtplanung | bloomimages

Frau Spengler, was ist für Sie als Architektin das Besondere am UmweltHaus?

Ingrid Spengler: Die UmweltBank will als Bauherrin ein Statement bauen und mit dem UmweltHaus zeigen, wie sich Wirtschaftlichkeit und ökologische Nachhaltigkeit bestmöglich miteinander vereinbaren lassen. Das Besondere ist für uns, dass wir bei diesem Projekt wirklich nachhaltig bauen dürfen, denn das UmweltHaus ist ehrlich und echt, anstatt sich nur ein grünes Mäntelchen umzuhängen. Das heißt, dass sich die Auditor:innen jedes verwendete Material ganz genau anschauen und unsere Planung immer wieder bis ins letzte Detail hinterfragen. Diese Arbeitsweise ist sehr fordernd, aber auch sehr befriedigend und funktioniert nur mit einem starken Vertrauensverhältnis zwischen allen Beteiligten.

Was tun Sie, um den hohen Erwartungen an die ökologische Nachhaltigkeit des Bauprojekts gerecht zu werden?

Ingrid Spengler: Erstmal geht es dabei um grundsätzliche Entscheidungen, wie das Bekenntnis zu einer konsequenten Holzhybrid-Bauweise und die Auswahl der Baumaterialien. Für das UmweltHaus verwenden wir so wenig Beton und so viel Holz wie möglich, wir verzichten auf Verbundmaterialien und setzen stattdessen auf kreislauffähige Materialien und regionale Rohstoffe.

Bei der Planung haben wir uns vornehmlich an den strengen Kriterien für eine Platin-Zertifizierung der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) orientiert – und bereits die entsprechende Vorzertifizierung erhalten, dass wir den Platin-Standard nach aktuellem Stand auch erreichen werden.

Wir bauen in die Höhe, um wenig Fläche zu verbrauchen, denken den Schutz von Tieren und Habitaten am Gebäude mit und berücksichtigen die Wirkung, die das Gebäude in die umliegenden Quartiere ausstrahlt. Besonders ist auch die Fassade mit großflächiger Photovoltaik, die gleichzeitig als Witterungsschutz und Energielieferant dient.

Außerdem soll das UmweltHaus nicht nur im Bau nachhaltig sein, sondern auch im laufenden Betrieb. Deshalb haben wir zum Beispiel an der Fassade Laufgänge eingeplant, damit Wartungs- und Reinigungsarbeiten mit weniger Aufwand durchgeführt werden können. Das zahlt auch auf die Ökonomie ein, also auf die Wirtschaftlichkeit des ganzen Vorhabens, die ebenfalls ein wichtiges DGNB-Kriterium ist und zugleich die Kernkompetenz der UmweltBank.

Was hebt das UmweltHaus von anderen nachhaltigen, DGNB-zertifizierten Bauprojekten ab?

Ingrid Spengler: Die Verbindung von konsequenter Holzbauweise und großflächiger Fassaden-PV macht das UmweltHaus nach meinem Kenntnisstand einzigartig. Ich kenne jedenfalls in Europa kein Hochhausprojekt, das beim Material und dem Nutzungskonzept ähnlich kompromisslos ist. Offen gesagt wäre es viel einfacher, mit herkömmlichen Betonelementen zu arbeiten und die Fassade mit Grün zu dekorieren. Dann wäre es für die breite Öffentlichkeit immer noch ein „grünes Holzhochhaus“.

Aber der Teufel steckt im Detail: Während eine nicht erdgebundene, begrünte Fassade in der Regel mehr Energie verschlingt, als sie positive Effekte erzielt, leistet die Photovoltaik einen wesentlichen Beitrag, um den Energiebedarf des Hauses zu decken. Entscheidend dabei ist, dass wir beim Umwelthaus neu entwickelte, farbige PV-Paneele verwenden, die sowohl zur Energieerzeugung und als Fassadenverkleidung dienen und gleichzeitig Teil unseres ganzheitlichen Gestaltungskonzeptes sind. Ebenso macht der hohe Holzanteil, etwa bei tragenden Elementen und Decken, nicht nur Brandschutz und Statik komplexer, sondern stellt auch neue Anforderungen an die Ästhetik des Gebäudes: Im Grunde bauen wir hier die neue Ästhetik einer nachhaltigen Zukunft.

Was genau verstehen Sie unter der „Ästhetik einer nachhaltigen Zukunft“ – und was ist neu daran?

Ingrid Spengler: Das Haus ist nicht als Designobjekt entworfen, sondern als nachhaltiges Gebäude. Dabei ist unser Leitgedanke immer der der Suffizienz: Wir fragen uns stets, was wirklich notwendig ist. Dabei stellen wir die beiden Kriterien Langlebigkeit und Schönheit ins Zentrum unserer Planungen. Werner Sobek, einer der Initiatoren der DGNB, sagt, dass man schöne Häuser seltener abreißt. Sie sind schon deshalb nachhaltiger, weil sie länger leben. Und das stimmt!

Für das UmweltHaus heißt das, alle Materialien müssen nachhaltig sein und so schön, dass aus ihnen eine Ästhetik erwächst: Eine neue Ästhetik der Nachhaltigkeit und der Zukunft. Es geht nicht mehr nur um Geschmack, sondern um puristisches Arbeiten und die Verschmelzung von Sinn und Schönheit. Unsere Aufgabe als Architekt:innen ist es dabei, Baustoffe anders zu denken. Wir müssen bereit sein, ihre Purität zu ertragen, sie zu erleben und darin ihre Schönheit zu erkennen.

Deshalb fiel unsere Entscheidung beim UmweltHaus auf die Verwendung von Materialien, die sehr rein sind. Durch das hohe Maß an Holzsichtigkeit und die pur belassenen, in Farbe und Materialität abgestimmten Baustoffe entsteht eine Ästhetik, die die Betrachter:innen herausfordert und die nachhaltige Bauweise erlebbar macht.

Wie geht es mit dem UmweltHaus weiter: Wo stehen Sie aktuell und wann soll das Projekt abgeschlossen sein?

Im Mai 2022 haben wir den Spatenstich gefeiert und seit dem Jahreswechsel wächst das UmweltHaus nun auch in die Höhe. Aktuell entstehen die Treppenhäuser – nach den geltenden Vorschriften in Stahlbeton-Bauweise. Der Holzbau startet voraussichtlich im Spätsommer. Nach den aktuellen Planungen soll das Objekt 2025 für die Mitarbeitenden der UmweltBank bezugsfertig sein. Neben dem Hauptsitz der UmweltBank werden dort auch ein Bio-Fachmarkt mit Café und Büroflächen zur Miete ihre Heimat finden. Die UmweltBank wird das UmweltHaus nach Fertigstellung dauerhaft im Bestand halten. Da sind wir dann auch wieder beim Anspruch, nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch nachhaltig zu wirtschaften.

Vielen Dank für das Gespräch.

Ingrid Spengler (c) spengler wiescholek Architektur//Stadtplanung
INGRID SPENGLER
Dipl.Ing. Architektin und Stadtplanerin

Ingrid Spengler arbeitet als Architektin und Stadtplanerin im gesamten Spektrum der Planung vom städtebaulichen Maßstab bis zur hochbaulichen Ausführung.
Sie studierte an der Universität Karlsruhe und war am dortigen Lehrstuhl für Orts-, Regional- und Landesplanung wissenschaftlich tätig.

1980 erfolgte die Bürogründung in Hamburg, seit 1994 besteht die Partnerschaft mit Fredo Wiescholek. Bürositz ist Hamburg in Deutschland.

Die Architekturauffassung des Büros ist geprägt von einem ganzheitlichen Ansatz, der nicht Form, Funktion, Technik, Ökologie und Ökonomie als jeweils autarke Themen behandelt, sondern das eine aus dem anderen entwickelt und zu einem schlüssigen Ganzen verbindet. Das Büro entwickelt seine Konzepte stets aus der Aufgabe, der gründlichen Analyse der Besonderheit und der Geschichte des jeweiligen Ortes heraus. Wir fühlen uns dabei dem Respekt vor dem Bestand ebenso wie dem Blick in die Zukunft unserer bebauten und unbebauten Umwelt verpflichtet.
Die Entwürfe stehen nicht unter dem Primat eines beliebigen adaptierten „Designs“, sondern vertreten die Auffassung, dass die Sichtbarmachung von Funktion, Tragwerk, ökologischen Maßnahmen und die Reduktion auf das Wesentliche zu einem ansehnlichen Gebäude führt.
Die Bauten des Büros sind individuell und phantasievoll im Erscheinungsbild, folgen aber dennoch stets einer inneren Logik und sind nach klaren Ordnungsprinzipien strukturiert.

Das Büro nimmt kontinuierlich an hochbaulichen und städtebaulichen Wettbewerben teil und hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten.

Ingrid Spengler wurde 2008 als Mitglied in die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung und 2016 in die Freie Akademie der Künste in Hamburg berufen.
Seit 2014 ist Ingrid Spengler Mitglied der Gestaltungsbeiräte Bremen, Wolfsburg und Kiel. Als Preisrichterin bei Wettbewerben sowie als Gutachterin ist sie international tätig.

https://www.umweltbank.de/info/standort

Das Gespräch führte Andreas Schauerte, Geschäftsführer der KALTWASSER Kommunikation GmbH

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