
Ibbenbüren (pm) – Ein ausführliches Interview mit Bernd Leusmann und Michael Specht, den Geschäftsführern von agn Leusmann in Hamburg über die aktuelle Lage der Baubranche, innovative Strategien in der Architektur und die Bedeutung von Erfahrung für die Umsetzung nachhaltiger Großprojekte, nicht nur für die öffentliche Hand.
Die Bauwirtschaft erlebt herausfordernde Zeiten. Während viele Architekturbüros mit Auftragsrückgängen und Personalabbau kämpfen, präsentiert sich die Situation bei agn Leusmann in Hamburg differenzierter. Die Geschäftsführung spricht über die Gründe dieser Stabilität, die Chancen, die sich aus der Krise ergeben, und die zentralen Werte des Unternehmens.
Thema 1: Aktuelle Situation in der Baubranche
Die aktuelle Situation in der Baubranche ist von Unsicherheit geprägt. Viele Architekturbüros berichten von Schwierigkeiten. Bei agn Leusmann scheint dies nicht der Fall zu sein. Können Sie uns Einblicke in Ihre aktuelle Lage geben und erläutern, warum Sie die Krise gut meistern?
Bernd Leusmann: Es ist richtig, dass die Baubranche momentan vor großen Herausforderungen steht. Viele Architekturbüros mussten Stellen abbauen. Bei agn Leusmann sehen wir die Situation etwas anders, und das hat unserer Einschätzung nach mehrere Gründe.
Ein wesentlicher Faktor ist unser diversifiziertes Projektportfolio. Wir sind nicht allein auf klassische privat beauftragte Projekte wie Bürogebäude ausgerichtet, sondern haben den Großteil unserer Kunden im öffentlichen Sektor. Einen sehr starken Impuls erfahren wir hier aktuell aus dem Bereich der technischen Gebäude für kritische Infrastruktur, insbesondere Feuerwachen und Busbetriebshöfe.
Auch der Bildungsbau ist ein wichtiger Pfeiler.
Außerdem gewinnt der Bereich großer Bestandsprojekte an Bedeutung. Hier geht es um die Konvertierung von Bestandsgebäuden für neue Nutzungen, beispielsweise die Umwandlung des ehemaligen Vivo-Kaufhauses in Hamburg Ottensen in eine Schule oder die Restrukturierung eines ehemaligen Kaufhauses in ein gemischt genutztes Areal mit Büro-, Einzelhandels- und Wohnflächen, wie beim Beispiel des Klöpperhauses, dem denkmalgeschützten Eingang in die Mönckebergstraße in Hamburg.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit sowohl öffentliche als auch private Bauherren verstärkt auf Büros mit großer Erfahrung in der Umsetzung, Ausführungsplanung und Bauleitung zurückgreifen. Wir sehen uns definitiv in dieser Kategorie. Unsere Stärke in besonderen Gebäudeklassen und die umfassende Erfahrung mit technischen Gebäudetypen , die in unserer Gruppe mittlerweile einen Anteil von schätzungsweise 50 bis 60 Prozent ausmacht, sind hier entscheidend.
Nicht zuletzt profitieren wir von der Tatsache, dass wir Teil der agn Gruppe sind. agn ist eines der größten Architektur- und Generalplanungsbüros in Deutschland und jede unserer Niederlassungen hat verschiedene Schwerpunkte. Durch diese große Erfahrungsdichte können wir die unterschiedlichsten Projekte mit einer breiten Expertise umsetzen. So haben wir uns u.a. auch in den letzten Jahren einen Namen im Bau von Feuerwachen und Schulen sowie bei Konversionsprojekten gemacht. Das kann kaum ein anderes Büro in Deutschland.
Unser weiterer Vorteil liegt sicherlich in unserer vielschichtigen Arbeitsweise und der breiten Palette an Gebäudeklassen, in denen wir Erfahrung haben. Während der Wohnungsbau aktuell daniederliegt und Büro- und Gewerbebau sowie Projektentwicklung kaum Chancen bieten, können wir Kompetenzen aus einem Bereich auf andere übertragen. Beispielsweise lassen sich Erfahrungen aus dem Bildungsbau auf den Bau von Feuerwachen oder Busbetriebshöfen übertragen, etwa im Hinblick auf Schulungsräume oder soziale Bereiche. Unsere gute Vernetzung innerhalb der Branche und die Bekanntheit unseres Namens bei Auftraggebern erleichtern zudem die Akquise neuer Projekte.
Überraschenderweise gibt es trotz der allgemeinen Situation weiterhin unglaublich große Bauvorhaben, wie die Bundeswehruniversität in Hamburg oder große Krankenhaussanierungen. Für solche Milliardenprojekte kommen ohnehin nur größere Büros in Frage, was uns mit unserer Größe von 60-70 Mitarbeiter:innen hier in Hamburg und 950 in der Gruppe zusätzliche Chancen bietet.
Wo sehen Sie angesichts der aktuellen Krise die größten Chancen für Architekturbüros?
Bernd Leusmann: Ein Aspekt, der eine Rolle spielen könnte, sind Gebäude für die Bundeswehr. Wir haben hier bereits Referenzen im Bereich von Betriebs- und Wartungsgebäuden für Hubschrauber. Sollte es zu einem Ausbau der Kapazitäten kommen, beispielsweise die Reaktivierung von Kasernen, sowie Schulungsgebäuden könnten sich hier neue Möglichkeiten für uns ergeben.
Darüber hinaus sind Infrastrukturprojekte ein wichtiger Punkt. Innerhalb der agn Gruppe haben wir Tochterunternehmen, die in diesem Bereich sehr aktiv sind, beispielsweise bei der Begleitung großer Elektrotrassenprojekte. Diese Projekte erstrecken sich oft über lange Zeiträume und umfassen erhebliche Investitionen. Wir gehen davon aus, dass das aktuelle Investitionsprogramm der Regierung diesen Bereich noch weiter verstärken wird. Auch der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes im weitesten Sinne, einschließlich der damit verbundenen Infrastruktur wie Busbetriebshöfe, bietet hier Potenzial.
Wir sind gespannt auf die Pläne der neuen Bundesregierung. Allerdings ist entscheidend, dass neben der Bereitstellung von Geldern für öffentliche Infrastrukturprojekte auch strukturelle Veränderungen, insbesondere bei Genehmigungsverfahren, vorangetrieben werden. Sonst können die Mittel nicht effektiv eingesetzt werden. Lange Wartezeiten auf Genehmigungen stellen auch bei uns ein großes Problem dar.
Ein weiterer, vielleicht unerwarteter Vorteil könnte die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal sein. In den letzten Jahren war es extrem schwierig, gute und erfahrene Mitarbeiter:innen zu finden, sowohl für uns als auch für öffentliche Bauherren. Wir sehen jetzt eine Verschiebung, da klassische Büros Mitarbeiter:innen freisetzen mussten, auf die wir und auch die öffentlichen Einrichtungen nun Zugriff haben. Das könnte Bewegung in die Bearbeitung auch von Verfahren bringen. Wir sehen in öffentlichen Projekten aktuell oft einen hohen Beratungs- und Betreuungsaufwand, da es dort in Teilen an Kapazitäten mangelt. Langfristig wünschen wir uns, dass der Bildungsbau, der in der Vergangenheit stark gefördert wurde, wieder an Bedeutung gewinnt.
Ein Fokus liegt auf der Expertise im Bau technischer Gebäude für die kritische Infrastruktur. Welche besondere Expertise ist für den Bau solcher Gebäude erforderlich und warum verfügt
agn Leusmann über diese?
Bernd Leusmann: Im Bereich der Feuerwachen können wir auf die Erfahrung aus mittlerweile rund 70 realisierten Projekten zurückgreifen. Diese schiere Menge an Erfahrung ist ein entscheidender Faktor. In den VgV-Verfahren, in denen wir uns bewerben, sind fundierte Referenzen und das entsprechende Know-how sowie überzeugende Konzepte von zentraler Bedeutung. Hier spielt unsere langjährige Erfahrung eine große Rolle.
Mit der Zeit entwickelt sich auch eine Art „Gespür“ im Umgang mit den Nutzenden. Durch die vielen Projekte hatten wir eine Vielzahl von Nutzenden am Tisch und wissen, wie man mit ihnen spricht und ihre Bedürfnisse erkennt. Auf der operativen Ebene sind hochtechnische Themen wie Atemschutzmaskenreinigung oder die Schwarz-Weiß-Bereiche sowie die Abläufe innerhalb einer Feuerwehr von entscheidender Bedeutung. Auch die Geschwindigkeit von Toren, Ausfahrten und Ausrückzeiten sowie die inneren Organisationswege sind wichtige Aspekte. Kolleg:innen, die bereits mehrere solcher Gebäude geplant haben, verfügen hier über ein selbstverständliches Wissen, das ein Garant für den Erfolg ist. Ähnliches gilt für Busbetriebshöfe, wo unsere Expert:innen die spezifische „Sprache“ dieses Bereichs sprechen. Unsere Fähigkeit, verschiedene „Dialekte“ zu sprechen, ist ein Schlüssel zu unserem Erfolg in unterschiedlichen Projektbereichen.
Es scheint, als ob aktuell besonders viele Gebäude dieser Art – Feuerwachen, Hauptzollämter – gebaut werden. Woran liegt diese Entwicklung und warum gewinnt dieses Thema immer mehr an Bedeutung?
Bernd Leusmann: Bei den Hauptzollämtern gibt es strukturelle Zusammenhänge. Bei dem Hamburger Hauptzollamt beispielsweise geht es um die Zusammenführung mehrerer Dependenzen. Zudem haben die Zollämter einen immer größer werdenden Aufgabenbereich. Dies erfordert zentrale Gebäude, in denen die verschiedenen Einheiten effizient zusammenarbeiten können.
Ähnlich verhält es sich bei Feuerwachen, wo übergeordnete Wachen für größere Bereiche zuständig sind. Hier werden die Anforderungen verschiedener Gemeinden zusammengefasst, um größere und leistungsfähigere Abwehrzentren zu errichten.
Bei den Busbetriebshöfen spielt die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten eine entscheidende Rolle. Die Verkehrsbetriebe der Städte und Regionen sind angehalten, ihre Busse auf Elektroantrieb umzustellen, was den Bau neuer oder die Anpassung bestehender Betriebshöfe notwendig macht. Auch Wasserstoffantriebe könnten hier in Zukunft eine Rolle spielen.
Ein weiterer Aspekt, insbesondere bei Feuerwehren, ist der zunehmende Bedarf an Hilfeleistungen aufgrund von Naturkatastrophen, die durch den menschengemachten Klimawandel verstärkt werden. Jahrhundertregenereignisse treten nun in kürzeren Abständen auf, und auch die Waldbrandgefahr nimmt zu. Hinzu kommt ein Sanierungsstau der letzten Jahrzehnte bei vielen öffentlichen Gebäuden, der nun abgearbeitet wird.
Thema 2: Neubewertung der architektonischen Kreation und Gestaltung
In welchen der aktuellen Projekte liegt der Fokus besonders auf der architektonischen Gestaltung und weniger auf der Umsetzung? Können Sie erläutern, warum dieser Aspekt für agn Leusmann zunehmend wichtiger wird?
Michael Specht: Obwohl wir oft als „Fertigmacher“ wahrgenommen werden, spielt der architektonische Anspruch in unseren Projekten eine zentrale Rolle.
Nehmen wir das Beispiel Schulbau: Für uns ist eine Schule nicht nur ein Gebäude, sondern ein Lernort, der eine bestimmte Atmosphäre vermitteln muss – sowohl im Sinne des Wohlbefindens als auch der Schaffung einer optimalen Arbeitsumgebung für Lehrende und Lernende. Aus dieser Historie heraus ist es nur logisch, dass wir uns intensiv mit der zukünftigen Gestaltung von Lernräumen und offenen Lernlandschaften auseinandersetzen. Glücklicherweise werden Schulen heute nicht mehr so gebaut wie vor 20 Jahren mit reinen Flur- und Klassenraumstrukturen. Hier können wir neu denken und gestalten –wie das Vivo-Projekt zeigt: Die Herausforderung bestand hier darin, die Grundrissstruktur eines ehemaligen Kaufhauses mit tiefen Räumen und einem mehrgeschossigen Atrium in eine moderne Schule zu transformieren. Nun konnten wir unser Wissen über moderne Pädagogik und Raumkonzepte ideal einbringen. Ein besonderer Fokus lag dabei auf dem Umgang mit dem Bestand und der Bewahrung möglichst vieler Bauteile. Dieser Ansatz des Urban Mining erzeugt eine besondere Ästhetik, bei der die Spuren der Wiederverwendung sichtbar bleiben, aber in Kombination mit neuen Bauteilen eine spannungsvolle und inspirierende Lernumgebung entsteht. Beim Thema Re-use und Urban Mining geht es uns darum, aus gebrauchten Materialien und Möbeln ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, das sich in Teilen anders manifestiert als klassische Designansätze, aber den gleichen Anspruch an Qualität und Architektur hat.
Aber nicht nur im Schulbau legen wir Wert auf einen hohen architektonischen Anspruch. Auch bei Busbetriebshöfen und Feuerwachen, die ja Arbeitsstätten sind, wollen wir keine „Blechkisten“ errichten. Vielmehr ist es unser Ziel, funktionale Gebäude mit guten, langlebigen und nachhaltigen Materialien zu schaffen, auf die die Nutzenden stolz sein können und in denen sie sich wohlfühlen. Gerade bei Feuerwachen, wo die Einsatzkräfte im Schichtbetrieb viel Zeit verbringen, ist ein wohnlicher Charakter in den Aufenthaltsbereichen wichtig.
Wir gewinnen unsere Verfahren aufgrund unserer Konzeption, in die unsere langjährige Erfahrung einfließt, und weniger über den Preis. Bei einem kürzlich gewonnenen Betriebshof konnte laut Aussage des Auftraggebers niemand mit unserem Konzept mithalten, weil wir die Bedürfnisse und die funktionalen Zusammenhänge wirklich durchdrungen haben. Das Zusammenspiel aus einem guten Konzept, Funktionalität und einem hohen architektonischen Anspruch macht unsere Gebäude aus.
Unser Ansatz unterscheidet sich von Architekturbüros, die primär auf die Schaffung von ikonischen Wahrzeichen ausgerichtet sind, deren Standort eher zweitrangig ist. Wir denken stark aus den Bedürfnissen des Auftraggebers. Wir vergleichen unseren Ansatz oft mit der dänischen Baukultur, wo auch funktionale Gebäude wie Blockheizkraftwerke oder Industriehallen einen hohen gestalterischen Anspruch haben und sich positiv auf den Ort und die unmittelbare Nachbarschaft auswirken. Wir möchten mit unserer Architektur Impulse für das jeweilige Gebiet, den urbanen Raum, setzen.
Hier sehen wir einen neuen Trend in der Architektur, weg von reinen „Ego-Projekten“ hin zu einer stärkeren Fokussierung auf die Bedürfnisse der Nutzer und die Schaffung von qualitätsvollen, aber unaufgeregten Gebäuden. Unser Selbstverständnis ist es, die Nutzenden in den Vordergrund zu stellen und gute Architektur mit hoher Qualität, Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit zu schaffen. Das bedeutet, dass wir unser eigenes Ego manchmal zurücknehmen müssen. Durch diesen Ansatz stehen wir vielleicht weniger im Rampenlicht. Aber für uns steht im Vordergrund, Architektur für die Menschen zu schaffen, in der sie sich wohlfühlen, gerne arbeiten und die für alle Augen wohltuend ist, anstatt spektakuläre Gebäude zu entwerfen, die nach 20 Jahren abgerissen werden oder kaum noch nutzbar sind. Auch die Flexibilität von Bürogebäuden in Hinblick auf zukünftige Nutzungsänderungen ist ein wichtiger Aspekt.
Herr Leusmann, Sie sind schon viele Jahre in der Architekturszene in Hamburg aktiv. Sehen Sie hier auch diese Neubewertung des Stararchitekten?
Bernd Leusmann: Es gibt seit einigen Jahren ganz sicher einen Wandel von einer sehr starzentrierten Szene hin zu einer größeren Vielfalt. Früher gab es gefühlt nur den „Stararchitekten“, aber heute werden auch kleinere Büros und Büros mit unserem Profil stärker beachtet. Es geht nicht mehr nur um einen PR-getriebenen Architektenkult, sondern um eine größere Bandbreite an Ansätzen und Qualitäten. Auch kleinere Büros werden stärker wahrgenommen. Wie es dann bspw. in zehn Jahren aussehen wird, ist schwer zu sagen. Ich glaube aber, dass der von uns verfolgte Ansatz, das Ego mehr in den Hintergrund zu stellen und sich stärker auf die Nutzenden, das Material und die Nachhaltigkeit zu konzentrieren, zunehmend wichtiger werden wird. Gebäude sollen eine Qualität und Aufenthaltsqualität haben, die lange anhält.
Thema 3: Standort Hamburg
Kommen wir auf den Standort Hamburg und agn Leusmann innerhalb der agn Gruppe zu sprechen. Welchen Stellenwert hat zukunftsweisendes Bauen bei agn und welche Rolle nimmt agn Leusmann dabei ein?
Michael Specht: Schön ist, dass agn so interdisziplinär besetzt ist, mit Architekt:innen, Fachleuten für technische Gebäudeausrüstung, Bauphysiker:innen, Tragwerksplaner:innen und Expert:innen für die Objektüberwachung. Auch die Gebäudeleittechnik ist vertreten, da der technische Anteil einen großen Einfluss auf die Nachhaltigkeit hat. Intelligente Steuerungen für Heizung, Lüftung usw. sind enorm wichtig, werden aber oft nicht optimal eingestellt und betrieben. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht es uns, das Thema Nachhaltigkeit ganzheitlich zu betrachten und in unsere Projekte zu integrieren.
Die agn Gruppe mit ihren über 900 Mitarbeiter:innen in verschiedenen Disziplinen bietet hierfür eine hervorragende Basis. Aus Hamburg können wir definitiv wichtige Impulse geben, insbesondere durch das Engagement von Kolleginnen wie Sonja Steenhoff. Es wurde kürzlich ein agn Nachhaltigkeitskompendium erarbeitet, das intern veröffentlicht wurde und als eine Art Findex dient, um schnell und einfach Informationen zu diesem Thema zu finden. An dessen Erstellung waren wir aus Hamburg maßgeblich beteiligt.
Die Tatsache, dass die agn alle diese Disziplinen unter einem Dach vereint, ist definitiv eine Besonderheit und ein echter Generalplanervorteil. In dieser Größe gibt es nicht viele Generalplaner, die alle Leistungen intern erbringen. Neben uns gibt es zwar noch einige andere, aber wir gehören sicherlich zu den größten fünf bis sechs Büros in Deutschland in dieser Kategorie.
Wo liegt die Bedeutung von agn Leusmann für Hamburg? Mit welchen Bauprojekten oder inwiefern tragen Sie zur Weiterentwicklung der Stadt bei?
Bernd Leusmann: Wir haben bereits über zwei bedeutende Revitalisierungsvorhaben gesprochen: das Vivo und das Klöpperhaus. Das sind definitiv Leuchtturmprojekte mit einer starken öffentlichen Wahrnehmung. Aktuell starten wir mit der Revitalisierung eines ehemaligen Siemens-Gebäudekomplexes am Lindenplatz, ebenfalls unter Denkmalschutzauflagen. Solche Themen liegen uns sehr.
Aber auch in der jüngsten Vergangenheit waren wir an wichtigen Projekten beteiligt. Das CCH, das Springerquartier und die Stadthöfe sind hier zu nennen, bei allen drei Projekten war agn Leusmann maßgeblich in der Ausführungsplanung involviert. Auch wenn man sagen könnte, „nur“ in der Ausführungsplanung, so ist diese doch entscheidend für die Umsetzung der architektonischen Ideen und Konzepte. Wenn man heute durch die Stadthöfe geht, spürt man die Qualität, die dort geschaffen wurde, und darauf sind wir stolz, da unsere Kolleg:innen hier intensiv gearbeitet haben. Ohne diese präzise Ausführungsplanung wäre diese Qualität nicht entstanden. Auch beim CCH waren wir Teil des Konzepts, auch wenn der Name des Entwurfsarchitekten präsenter ist. Ähnliches gilt für das Springerquartier. Hier liegt die Zufriedenheit in der geleisteten Arbeit und dem erreichten Ergebnis. Wir wissen, wie anstrengend diese Projekte waren, aber die Qualität, die am Ende sichtbar wird, macht uns schon stolz.
Thema 4: Nachhaltigkeit
Damit kommen wir direkt auf den Aspekt der Nachhaltigkeit: Woher kommt das Engagement für nachhaltiges Bauen bei agn Leusmann und welchen Stellenwert hat es für Sie?
Michael Specht: Unser Engagement für nachhaltiges Bauen hat sich historisch in unserem Büro über ein Projekt in Kiel für die Universität entwickelt. Dabei ging es um die Sanierung eines großen Gebäudekomplexes aus den 70er Jahren und einen Neubau für die juristische Fakultät. Während beim Neubau die Nachhaltigkeit zunächst eher im Kontext der Zertifizierung betrachtet wurde, lag unser Fokus bei den Bestandsgebäuden von Anfang an stärker auf diesem Thema. Das Land Schleswig-Holstein und die Stadt Kiel verfolgen hier ambitionierte Ziele im Hinblick auf die CO2-Neutralität.
Wir konnten uns in dem Vergabeverfahren durchsetzen und haben dann in einer kleinen, engagierten Projektgruppe gemeinsam mit unserer Bauphysik aus der agn Gruppe und Frau Dr. Anja Rosen, die damals noch Mitarbeiterin unserer Tochterfirma Energum war, intensiv an dem Thema gearbeitet. Wir haben uns Beispiele aus anderen Projekten angesehen, wie das Rathaus in Korbach mit seinem Ansatz zur Wiederverwertung von Beton, und innovative Ideen entwickelt, wie die Nutzung von Energiepfählen in einem Retentionsbecken.
Dieser Auftrag war für uns der Startpunkt, das Thema Nachhaltigkeit wirklich detailliert zu durchdenken. Wir haben verschiedene Möglichkeiten ausgelotet, beispielsweise im Umgang mit Abdichtungsmaterialien oder der Rückkehr zu verklemmten statt verklebten Verbindungen, um die spätere Wiederverwendbarkeit zu gewährleisten, ganz im Sinne des Urban Mining. Es war ein Stück weit ein Trial-and-Error-Prozess in Zusammenarbeit mit der Industrie.
Der nächste Schritt war die praktische Umsetzung auf der Baustelle: Erhalt und Aufarbeitung von Türen und Heizkörpern. Daraus entwickelte sich die Idee, Kalksandstein aus dem Abbruch zu reinigen und wiederzuverwenden. Wir setzen verstärkt auf Holz als CO2-schonenden Baustoff und arbeiten ressourcenschonend, beispielsweise durch den Einsatz von Decken mit Luftkörpern zur Reduzierung des quantitativen Betoneinsatzes Der neue Beton wird teilweise aus Gesteinskörnung recycelter Bauteile hergestellt. Der gesamte Prozess wird evaluiert, um den tatsächlichen CO2-Einspareffekt zu ermitteln.
Auch im Vivo-Projekt ist Nachhaltigkeit ein großes Thema: Hier wollten wir von Anfang an so viel Bestand wie möglich erhalten. In der Bewerbungsphase haben wir unsere Erfahrungen genutzt und einen besonderen Fokus auf den Erhalt und die Wiederverwendung von Bauteilen gelegt, von Brandschutztüren über Stahlprofile bis hin zu den 300 vorhandenen Türen.
Aus beiden Projekten haben wir einen immensen Erfahrungsschatz gewonnen, den wir ausbauen. Wir erhalten viele Anfragen und berichten regelmäßig über unsere Erfahrungen, sowohl unternehmensintern als auch in der Immobilienwirtschaft. Obwohl das Thema angesichts der aktuellen Krisen kommunikativ in den Hintergrund gerückt ist, bleibt es für uns wichtig und wird zunehmend selbstverständlicher.
In Ländern wie der Schweiz gibt es bereits verpflichtende Anteile von Recycling-Baustoffen in Neubauprojekten. In Skandinavien werden CO2-Verbrauchsgrenzen für Neubauprojekte festgelegt. Bei uns wird dies voraussichtlich ab 2028 ein Thema sein. Wir sehen uns hier gut positioniert, da wir uns schon frühzeitig mit diesen Fragen insbesondere in großen Projekten auseinandergesetzt haben.
Wichtig ist uns jedoch zu betonen, dass wir das Thema Nachhaltigkeit nicht dogmatisch sehen. Wir wollen nicht zwanghaft alles wiederverwenden oder immer mit Holz bauen. Das funktioniert in unseren Projekten aufgrund der Größe und der spezifischen Anforderungen wie Brandschutz oder Schallschutz nicht. Auch Budgetbeschränkungen oder die Wünsche von Bauherren und Nutzenden spielen eine Rolle. Entscheidend ist, dass man ausprobiert und dabei pragmatisch bleibt, ohne den Planungsprozess zu überlasten. Unsere bisherigen Erfahrungen helfen uns dabei, wirtschaftlich zu arbeiten und einen Balanceakt zwischen Nachhaltigkeit und anderen Anforderungen zu finden.
Sie haben bereits die rechtlichen Rahmenbedingungen angesprochen. Wie bewerten Sie diese im Hinblick auf modernes Bauen?
Bernd Leusmann: Wir sehen das als ein zweiseitiges Thema. Einerseits hören wir immer wieder, dass der moderne Bau aufgrund steigender Kosten kaum noch realisierbar ist, und es gibt Bestrebungen, die Vorschriften zu entschlacken, um die Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. Andererseits ist es richtig und notwendig, übergeordnete gesetzliche Rahmenbedingungen einzuführen, um dem gesellschaftlichen Wandel und der Notwendigkeit zur Berücksichtigung ökologischer Aspekte Rechnung zu tragen.
Wichtig ist unserer Meinung nach, dass die Regulierung nicht bis ins Detail geht, sondern eher allgemeine Leitplanken setzt, die dann pragmatisch gefüllt werden können. Ein wichtiger Aspekt ist die Forderung nach der Gebäudeklasse E, die von der Architektenkammer in München initiiert wurde und bereits auf Gesetzesebene diskutiert wurde. Eine Weiterentwicklung in dieser Richtung wäre wünschenswert und würde für uns eine Erleichterung bedeuten, da beispielsweise im Bereich des baulichen Schallschutzes die Anforderungen in den letzten Jahren teilweise absurd geworden sind.
Es gibt Widersprüche innerhalb von Gesetzgebungen, Normen und technischen Merkblättern, die unser alltägliches Planungsgeschäft enorm anstrengend machen. Wir brauchen Regulierungen, aber vereinfachte Leitplanken wären unserer Meinung nach die Voraussetzung für ein effizienteres Bauen.
Thema 5: Persönliche Hintergründe
Sprechen wir kurz über Ihre persönliche Hintergründe. Sie beide sind Geschäftsführer von agn Leusmann und kommen ursprünglich aus dem Handwerk. Was haben Sie gelernt und wie hilft Ihnen diese Erfahrung heute bei Ihrer Arbeit?
Bernd Leusmann: Ich bin gelernter Steinmetz und Bildhauer. Dadurch hatte ich sehr früh Kontakt zur Baustelle und habe körperlich gearbeitet. Man entwickelt eine andere Ansprache und ein anderes Verständnis für Handwerker:innen auf der Baustelle. Als ich dann Architektur studiert habe, war der Unterschied zu Kommiliton:innen, die direkt vom Abitur kamen, deutlich spürbar. Für mich war das Wissen um die Umsetzung auf der Baustelle, die Detailausführung und das handwerklich-pragmatische Denken immer sehr inspirierend für meine Arbeit.
Michael Specht: Dem kann ich nur zustimmen. Als gelernter Tischler steht für mich die Nähe zum Werkstoff an erster Stelle. Man weiß, wie man Holz bearbeitet, wie nicht, wie es sich anfühlt, wie es riecht und welche Atmosphäre es erzeugen kann. Dieses Wissen lässt sich auf die Art und Weise, wie man Räume und Oberflächen denkt, übertragen. Das heißt nicht, dass unsere Häuser immer aus Holz sind, aber man hat ein Gespür für Materialien und deren Wirkung. Dieses früh erworbene Gespür führt zu einer größeren Nähe zu dem, was man tut, als ein rein theoretischer Ansatz. Auch, wenn man ebenso auf rein theoretischer Basis sehr gute Architektur schaffen kann, bin ich überzeugt, dass unser Weg, eher haptisch zu entwerfen, näher am Menschen ist. Ein weiterer wichtiger Nebeneffekt ist, dass man auf der Baustelle genau weiß, „wie der Mensch tickt“ und wie man mit unterschiedlichen Persönlichkeiten umgeht.
Herr Specht, Sie halten sich häufig in Dänemark auf. Was macht die dortige Architekturszene anders und was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie daraus mitnehmen?
Michael Specht: Was dort anders ist, ist schwer in einem Begriff zu fassen. Jeder, der in Dänemark ein öffentliches Gebäude betritt, spürt, dass dort etwas anders ist. Ich habe nicht hundertprozentig entschlüsselt, was es ist, aber es hat viel mit der Art der Begegnung zu tun. Ein Beispiel ist die Stadtbibliothek in Aarhus, wo die Mitarbeiter:innen an einem offenen, runden Tisch stehen und freundlich auf die Besucher:innen zugehen, ganz anders als die oft abgeschotteten Informationsschalter in deutschen Bibliotheken. Auch die Helligkeit, das natürliche Licht, die Oberflächen, Gerüche und Geräusche spielen eine Rolle. In Deutschland werden oft alle Normen erfüllt, aber es fehlt an einem Feingefühl für die Bedürfnisse der Nutzenden. In Dänemark steht die Qualität des Ortes für die Gemeinschaft über den eigenen Belangen. In Deutschland ist es oft umgekehrt.
Die Dänen verstehen sich mehr als Gesellschaft und Gemeinschaft, während hierzulande eine stärkere Individualisierung zu beobachten ist. Die Qualität der öffentlichen Architektur beginnt mit der persönlichen Ansprache und dem Raum als Rahmen. Solange es an Offenheit und einer Bereitschaft zur Rücksichtnahme mangelt, werden wir den dänischen Ansatz nicht erreichen.
Quelle: agn Niederberghaus & Partner GmbH