18. April 2024

40 EE-Standard: Serielles Sanieren setzt energetische Maßstäbe

Die Photovoltaikanlage auf dem Dach erzeugt im Jahresdurchschnitt mehr Solarstrom, als die Bewohnenden zur Deckung ihres Wärme-, Warmwasser- und Strombedarfs benötigen. Sie sind somit vollständig von fossilen Energieträgern entkoppelt und dauerhaft vor steigenden Energiepreisen geschützt. (c) Jens Willebrand

Berlin (pm) – Am 26. April 2023 wurde ein Leuchtturmprojekt der seriellen Sanierung feierlich abgeschlossen: Der Pilot der Wohnungsgenossenschaft am Vorgebirgspark (WGaV) eG ist das erste Projekt in der deutschen Energiesprong-Historie, das den ambitionierten Effizienzhausstandard 40 EE erreicht hat. Das Beispiel zeigt, dass auch kleine Marktakteure Großes für den Klimaschutz leisten können.

Wie viele Nachkriegsgebäude war das Mehrfamilienhaus in der Schwalbacher Straße 24/26 unzureichend gedämmt, wurde mit Gas beheizt und verbrauchte fünfmal mehr Energie als heutzutage technisch möglich ist. Nach der seriellen Sanierung erfüllt es bereits heute den hohen Energiestandard, der für Neubauten ab 2025 gesetzlich vorgeschrieben ist. Der Primärenergiebedarf reduzierte sich von 135 auf 22 kWh/m²/a, die CO2-Einsparung liegt bei 28 Tonnen pro Jahr. Durch die Kombination aus innovativ gedämmter Fassade, regenerativer Energieversorgung und einem effizienten Gebäudebetrieb erreicht das Bestandsgebäude ein energetisches Niveau, das einem hochmodernen Neubau in nichts nachsteht.

Hochgedämmte Thermohülle

Die ganzheitliche Sanierungslösung wurde vom Kölner Architekturbüro Zeller Kölmel konzipiert, vom Energiebüro vom Stein technisch sowie bauphysikalisch geplant und von Korona Holz & Haus ausgeführt. Zur Optimierung der Energieeffizienz erhielt das Gebäude eine zusätzliche thermische Hülle, die die bestehende Konstruktion wie eine zweite Haut umschließt. In einem ersten Schritt wurden Unebenheiten der Außenwand mit acht Zentimeter dicken Dämmschicht aus Mineralwolle ausgeglichen. Als zweite Schicht folgten 28 Zentimeter dicke Fassadenelemente aus Holz, die inklusive Zellulosedämmung, Fenstern, Lüftungsgeräten und Leerrohren im Werk vorgefertigt wurden. Eine zusätzliche Luftschicht erhöht den Wärmeschutz und reduziert die Feuchteentwicklung. Der U-Wert der Außenwände konnte durch diesen Aufbau auf circa 0,12 W/(m2K) gesenkt werden. Komplettiert wird die neue Gebäudehülle durch hochdämmende, vorgefertigte Dachelemente.

Die Fassadenelemente wurden inklusive Dämmung, Fenstern und Lüftung von Korona Holz & Haus vorgefertigt und mussten auf der Baustelle nur noch montiert werden. (c) Zeller Kölmel Architekten

Fossilfreie Energieversorgung

Zentrale regenerative Energiequelle des Gebäudes ist eine 64,8 Kilowatt-Peak (kWp) starke Photovoltaikanlage auf dem Dach, die pro Jahr 56.500 kWh Solarenergie erzeugt. Sie versorgt die Luft-Wärmepumpen, Lüftungsgeräte, Durchlauferhitzer und einzelnen Wohnungen mit grünem Strom. Im Jahresdurchschnitt erzeugt die Anlage sogar mehr erneuerbare Energie, als die Bewohnerinnen und Bewohner für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom benötigen. Der überschüssige Solarstrom wird ins Netz eingespeist. Aufgrund der niedrigen Vorlauftemperatur der Wärmepumpe wurden die Durchlauferhitzer und Heizkörper gegen neue Geräte ausgetauscht. Zusätzliche Ventilatoren sorgen für eine schnelle Erwärmung. Dezentrale Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung führen zu weiteren Energieeinspareffekten.

Kreislaufgerechte Konstruktion

Das viergeschossige Mehrfamilienhaus aus den 60er Jahren ist das erste Energiesprong-Projekt, das die Prinzipien des kreislaufgerechten Bauens in den seriellen Sanierungsansatz integriert. Dazu wurde eine Konstruktion entworfen, die nachhaltig, rückbaubar und recyclingfähig ist. Die Fassadenelemente sind in Holztafelbauweise hergestellt, mit Zellulosedämmung gefüllt und wurden so geplant, dass sich die verbauten Materialien am Ende des Lebenszyklus wieder sauber voneinander trennen lassen. Dies ermöglicht eine weitere Nutzung im Rahmen der zirkulären Bauwirtschaft. Das Projekt in der Schwalbacher Straße wird so zum Materialdepot für Bauvorhaben von morgen. Großen Wert legten die Architekten zudem auf eine hochwertige Fortschreibung des Städtebaus. Gerade im Hinblick auf die architektonisch und qualitativ oft wenig überzeugenden Nachkriegsbauten bietet sich im Rahmen der seriellen Sanierung die Chance, die energetische Modernisierung mit der gestalterischen Optimierung zu verbinden.

Klima- und sozialverträgliche Sanierung

Das Projekt startete im März 2022, die energetische Sanierung wurde fristgerecht im September 2022 abgeschlossen, die Fertigstellung der Umfeldmaßnahmen verzögerte sich aufgrund von Lieferproblemen bis April 2023. Die Sanierung erfolgte weitestgehend minimalinvasiv und war dadurch mit vergleichsweise wenig Eingriffen in die bewohnten Wohnungen verbunden. Innerhalb weniger Monate ist 992 Quadratmeter klimaneutraler Wohnraum zu weiterhin bezahlbaren Mietpreisen entstanden. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind durch die Sanierung komplett von fossilen Brennstoffen entkoppelt und damit dauerhaft vor steigenden Energiepreisen geschützt. Trotz Erhöhung der Kaltmiete um 1,50 Euro pro Quadratmeter werden die 16 Mietparteien durch Energieseinsparungen und den günstigen grünen Mieterstrom perspektivisch nicht mehr bezahlen als vorher.

Regionale Wertschöpfung

Darüber hinaus ist die serielle Sanierung auch ein Gewinn für die regionale Wirtschaft. Angesichts der zurückgehenden Neubauaktivitäten und des steigenden Modernisierungsdrucks entwickelt sich hier ein wachstumsstarker Markt, der Architekten, Planern, Bauunternehmen und Zulieferern vielfältige Geschäftschancen entlang der gesamten Wertschöpfungskette eröffnet. Laut Bauherr Thomas Meißner, Vorstand der WGaV, hat sich die serielle Sanierung nach dem Energiesprong-Prinzip nicht nur ökologisch, sondern aufgrund attraktiver Förderkonditionen auch ökonomisch ausgezahlt. Die Gesamtkosten der energetischen Modernisierung betrugen 1,9 Millionen Euro. Davon wurden 876.000 Euro über das BEG-Programm des Bundes und 235.000 Euro über das Interreg-Programm der EU gefördert. Aufgrund der guten Erfahrungen plant die WGaV bereits das zweite serielle Sanierungsprojekt. In unmittelbarer Nachbarschaft des fertiggestellten Piloten sollen drei fünfgeschossige Mehrfamilienhäuser mit 30 Wohneinheiten und einer Gesamtfläche von 2.460 Quadratmetern seriell auf den klimaneutralen NetZero-Standard gebracht werden.

(c) Jens Willebrand

Stimmen zum Projekt

„Ob Fachkräftemangel, Sanierungspflicht für Worst Performing Buildings oder 65 Prozent erneuerbare Energien beim Heizungstausch – das serielle Sanieren bietet bereits heute praxisnahe Antworten auf die Herausforderungen von morgen. Mit dem Förderprogramm Serielles Sanieren und dem BEG-Bonus für Serielles Sanieren hat das BMWK die Weichen gestellt, damit viele weitere Wohnungsunternehmen dem Vorbild der WGaV folgen.“
Uwe Bigalke, Teamleiter Serielles Sanieren bei der dena

„Dieses Projekt zeigt, das die rund 480 Wohnungsunternehmen und -genossenschaften im VdW Rheinland Westfalen intensiv an der klimagerechten Weiterentwicklung ihrer Wohn- und Stadtquartiere arbeiten. Dabei nutzen Sie zunehmend neue und innovative Modernisierungs-verfahren wie die serielle Sanierung nach dem Energiesprong-Prinzip. Das Ergebnis sind landesweit bereits zahlreiche realisierte Projekte – und es werden immer mehr, denn mit der neuen Modernisierungsförderung das Landes Nordrhein-Westfalen ist serielles und modulares Bauen und Modernisieren ausdrücklich förderfähig. Attraktive Förderkonditionen und hohe Tilgungszuschüsse ermöglichen ein energetisch zukunftsfähiges und vor allem bezahlbares Wohnen.”
Alexander Rychter, Vorstand des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen e.V.

„Die serielle Sanierung nach dem Energiesprong-Prinzip hat sich für uns sowohl ökologisch als auch ökonomisch ausgezahlt. Unser Beispiel zeigt, dass auch kleine Marktakteure gemeinsam Großes für den Klimaschutz leisten können.“
Thomas Meißner, Vorstandsmitglied Wohnungsgenossenschaft am Vorgebirgspark eG

„Trotz vieler Standardisierungen bietet die serielle Sanierung nach dem Energiesprong-Prinzip Gestaltungsspielräume für die eigene architektonische Handschrift. Uns war es u.a. wichtig, klimagerechtes und kreislauffähiges Bauen miteinander zu verbinden. Deshalb haben wir uns für eine Konstruktion entschieden, die nachhaltig, rückbaubar und recyclingfähig ist.“
Klaus Zeller, Zeller Kölmel Architekten

„Die Fassade ist ein versorgungstechnisches Multitalent, das viel Potenzial für die Weiterentwicklung der seriellen Sanierung bietet. Theoretisch ist es möglich, die technische Versorgung der Wohnungen weitestgehend über die Fassade zu realisieren.“
Jörg vom Stein, energiebüro vom Stein

„Wenn sich die Kompetenzen aus Architektur, Planung und Handwerk so gut ergänzen wie in diesem Projekt, können wir das Ziel des klimaneutralen Gebäudebestands mit vereinten Kräften voranbringen.“
Frederick Damm, KORONA Holz & Haus

Weiterführende Informationen zum Pilotprojekt

Pressemitteilung: Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena)

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