18. April 2024

DAM PREIS 2023 – Die besten Bauten in und aus Deutschland

Frankfurt am Main (pm) – Der DAM Preis 2023 geht an AUER WEBER für die ERWEITERUNG LANDRATSAMT STARNBERG.

AUER WEBER Erweiterung Landratsamt Starnberg Foto: Aldo Amoretti
AUER WEBER Erweiterung Landratsamt Starnberg Foto: Aldo Amoretti

Die Erweiterung des Landratsamts Starnberg von Auer Weber hat die Jury begeistert. Wobei es eigentlich der Zusammenklang des Bestands und des Ergänzungsbaus ist, der letztendlich überzeugte. Denn selten treffen ein Alt- und ein Neubau so harmonisch aufeinander, was nicht zuletzt daran lag, dass hier im Abstand von 35 Jahren die gleichen Architekten am Werk waren. Und so ist heute nur mit scharfem Blick zu erkennen, wo der Bestand aufhört und die Erweiterung beginnt, welche bewährten und geschätzten Attribute des Bestands fortgeschrieben und wo zeitgemäß modernisiert wurde und eben doch ein neuer Charakter Einzug gehalten hat.

Seit 2007 werden mit dem DAM Preis jährlich herausragende Bauten in Deutschland ausgezeichnet. 2023 wird der Preis vom Deutschen Architekturmuseum (DAM) bereits zum siebten Mal in enger Zusammenarbeit mit JUNG als Kooperationspartner vergeben.

DIE FINALISTEN

Auf einer gesonderten Juryfahrt Anfang September 2022 wurden die fünf gewählten finalen Bauensembles von der Jury vor Ort besichtigt:

ALLMANNWAPPNER – Stadtbahntunnel Karlsruhe
AUER WEBER – Erweiterung Landratsamt Starnberg
ELEMENT • A ARCHITEKTEN / HIENDL_SCHINEIS ARCHITEKTENPARTNERSCHAFT – Bundesgeschäftsstelle des Deutschen Alpenvereins e.V., München
HÜTTEN & PALÄSTE – Scheune Prädikow, Prötzel
LRO LEDERER RAGNARSDÓTTIR OEI – Münchner Volkstheater

DIE BAUTEN IM AUSLAND

Nicht in der Auswahl für den DAM Preis, aber seit vielen Jahren ein fester Bestandteil dieser Übersicht zur deutschen Gegenwartsarchitektur, sind die Bauten von Architekturbüros aus Deutschland in anderen Ländern: In Shenzhen, China, haben Crossboundaries das Dach eines Bahnhofsgebäudes in einen 1,2 Kilometer langen »Skypark« verwandelt. Ein ungewöhnliches Museum ist mit dem Insectarium in Montreal, Kanada, entstanden. Die Architekten waren Kuehn Malvezzi und die ortsansässigen Büros Pelletier de Fontenay sowie Jodoin Lamarre Pratte architectes. Studio Anna Heringer hat in Bangladesch ein vollständig mit der Hand errichtetes Lehm-Bambus-Gebäude entwickelt – das Therapiezentrum Anandaloy mit eng damit verwobener Textilproduktion.

DAM PREIS 2023 – PREISTRÄGER

AUER WEBER
Erweiterung Landratsamt Starnberg

Die Erweiterung des direkt am See gelegenen Starnberger Landratsamts ehrt den Bestand und schreibt ihn in beeindruckender Weise fort. Es ist nicht selbstverständlich, dass Bestandsbauten erhalten und weiterverwendet oder erweitert werden – im Gegenteil werden besonders Bauten der Siebziger- und Achtzigerjahre skeptisch betrachtet, was ihre Zukunftsfähigkeit angeht.

 

AUER WEBER Erweiterung Landratsamt Starnberg Foto: Aldo Amoretti
AUER WEBER Erweiterung Landratsamt Starnberg Foto: Aldo Amoretti

In Starnberg war dies von Anfang an anders. Die Architekten Fritz Auer und Carlo Weber nahmen 1982 am Wettbewerb für das Landratsamt Starnberg teil. Fritz Auer erinnert sich, dass wesentliche Inspirationen für die städtebauliche Organisation von seiner Japanreise 1960 stammten, bei der er sich die Katsura-Villa – den kaiserlichen Nebenpalast – aus dem 17. Jahrhundert in Kyoto angeschaut hatte. Dessen horizontale Verteilung der Baumassen und Staffelung der Baukörper, die damit ihr sehr großes Volumen geschickt verbargen, die Zweigeschossigkeit mit umlaufenden Veranden im Obergeschoss, die Dachüberhänge und die sanft geneigten Dächer schienen ihm auch geeignete Mittel für das Grundstück in Starnberg zu sein.

AUER WEBER Erweiterung Landratsamt Starnberg Foto: Aldo Amoretti
AUER WEBER Erweiterung Landratsamt Starnberg Foto: Aldo Amoretti

Tatsächlich gewann der Entwurf und wurde realisiert. Schon der ursprüngliche Bau setzte in seiner städtebaulichen Anordnung in Form zweigeschossiger Pavillons mit umlaufenden Fluchtbalkonen und einem Wasserbecken sowie fingerartigen Höfen auf eine enge Verzahnung mit der Nachbarschaft. Die teils flügel-, teils kammartige Struktur der Erweiterung führt diese Idee fort. Ein öffentlicher Fußweg leitet durch den baumbestandenen Innenhof mit einem weiteren Wasserbecken hinunter zum Seeufer. Fast nebenbei gelangt man dabei in das großzügige Eingangsatrium, das über zierliche Treppen und Galerien zu den Büros führt. Sie sind nach außen orientiert, aber auch zu den Gängen hin stellen Glasbänder in den Trennwänden große Transparenz her. Die insgesamt drei Atrien haben Oberlichtbänder; es entsteht eine für Behörden überraschend freundliche Atmosphäre.

AUER WEBER Erweiterung Landratsamt Starnberg Foto: Aldo Amoretti
AUER WEBER Erweiterung Landratsamt Starnberg Foto: Aldo Amoretti

Dass »das schönste Landratsamt Bayerns«, wie der aktuelle Landrat es stolz nennt, von seinen ursprünglichen Architekten erweitert wurde, war sicher wesentlich. Sie nahmen aber nicht die 1987 noch intendierten Flächen für künftige Erweiterungen im Osten und Süden auf, sondern entwickelten das modulare Konzept im Westen weiter. Dort wurde additiv die im Bestand vorgezeichnete Figur aus Flügelbauten um eine Atriumhalle verdoppelt. Gestalterisch gleichen sich der Bestand und die Erweiterungen weitgehend. Der Übergang zwischen Alt und Neu ist fließend, die Fassaden und Einbauten sind neu, liegen aber teilweise noch unter dem alten Dach.

AUER WEBER Erweiterung Landratsamt Starnberg Foto: Aldo Amoretti
AUER WEBER Erweiterung Landratsamt Starnberg Foto: Aldo Amoretti

Außerdem wurden manche gestalterischen Entscheidungen von früher revidiert. So ist das Holz der äußeren, neuen Tragstützen nicht mehr natürlich belassen, sondern in dem Grauton lasiert, der der Patina der alten Tragstützen entspricht. Im Vergleich der Atrien ist die Interpretation und Weiterentwicklung der damals lässig verspielten Details hochspannend anzuschauen. Keine Spiegelungen unter den Decken, keine ulkigen Roste im Geländer an den Ecken, keine rhetorischen Glasdurchbrüche und keine mintgrünen Farbakzente an den Geländern mehr. Stattdessen herrscht eine schnörkellosere und klarere Architektursprache in den Details, die die Feinheit der bestehenden aufnimmt, aber professioneller und damit weniger warmherzig erscheint. Die Gebäudetechnik entspricht dem aktuellen Standard, die den Neubau zu einem CO2-neutralen KfW- Effizienzhaus 55 macht.

AUER WEBER Erweiterung Landratsamt Starnberg Foto: Aldo Amoretti
AUER WEBER Erweiterung Landratsamt Starnberg Foto: Aldo Amoretti

Der Jury hat besonders die Haltung der Architekten imponiert, ihr eigenes Werk zu reflektieren, neu zu interpretieren und in zeitgemäßer Sprache fortzuschreiben.
(Originaltext: Peter Cachola Schmal)

Stimmen aus der Jury

»Die clusterartige Anordnung mit intelligenten Grundrissen, die Zeitlosigkeit und helle Freundlichkeit des Gebäudes sind besonders im Bereich des Verwaltungsbaus eine Seltenheit. Dass es die Architekten geschafft haben, dies unter all den aktuellen energetischen und baulich-konstruktiven Anforderungen im gleichen Duktus fortzuschreiben und zu optimieren, ist (wiederholt) preiswürdig.«
Brita Köhler

»Die eigene Arbeit Korrektur zu lesen ist schwierig. Wie gerne verschließt man doch die Augen vor der eigenen Unzulänglichkeit, hakt ab, geht weiter. AUER WEBER haben sich der Auseinandersetzung mit dem eigenen Schaffen gestellt, genau hingeschaut und weitergedacht. Genau das brauchen wir heute: Architektur, die das Gestern ernst nimmt, das Heute versteht und deutlich über morgen hinausdenkt.«
Uta Winterhager

»Das Landratsamt Starnberg ist ein wunderbares Beispiel für das so kluge, aber dennoch so selten praktizierte Prinzip des Weiterbauens. Die Qualitäten des Gebäudes haben sich bis heute bewährt. Die Ergänzung hat trotz der technischen Herausforderungen unserer Tage nichts davon eingebüßt. Die Nutzer lieben das Haus. Besseres kann einem Gebäude nicht widerfahren«
Martin Haas

»Es ist so wohltuend, endlich ein gelungenes Bauwerk zu finden, das von seinen Nutzern geliebt und von seinen Architekten nach über 30 Jahren ˏeinfachˊ weitergebaut wird.«
Peter Cachola Schmal

»Um eine Architektur der 1980er-Jahre in Stil, Form und Materialität des ursprünglichen Entwurfs weiterzubauen, braucht es Verständnis für die Qualitäten des Bestands, Respekt vor dem Werk und nur behutsame Anpassungen an heutige Bedürfnisse. Alle drei Bedingungen widersprechen eigentlich unserem auf Fortschritt und Innovation versessenen Zeitgeist. Dass die Erweiterung des Starnberger Landratsamtes gelungen ist, darf daher als ein großer Glücksfall gelten.«
Dijane Slavic/Uwe Bresan

»Eine Bauherrschaft, die nach mehr als 30 Jahren ihr Gebäude noch einmal fast identisch erweitern lässt – gibt es eine schönere Auszeichnung für alle am Bau und Unterhalt Beteiligten?«
Florian Summa

»Das Landratsamt entsorgt souverän die triviale Unterscheidung von Alt- und Neubau, die es so erst seit der Moderne gibt. Das permanente Weiterbauen, das dieses Projekt so elegant beiläufig zelebriert, war in der Baugeschichte Regel und nicht Ausnahme. Das Gebäude seinem ursprünglichen Entwurfsgedanken entsprechend weiterzubauen ist ein bauliches Plädoyer für die prinzipielle Unabgeschlossenheit von Architektur.«
Andreas Ruby

»Das Projekt beweist, dass flexible Veränderungen und nötige Anpassungen nicht charakterlose, ausdruckslose Strukturen erfordern, sondern dass es nur logisch ist, die Qualitäten des Bestandes weiterzuführen. Eine bewundernswerte Bescheidenheit.«
Lena Unger

»Mit der Erweiterung des Landratsamts haben sich AUER WEBER entspannt der Erwartung entzogen etwas `Neues ́ schaffen zu müssen und überzeugen mit einem jahrzehntelang perfekt gepflegten, instandgehaltenen und weitergebauten Gesamtprojekt. Eine ressourcenschonende und zeitgemäße Architekturpraxis.«
Juliane Greb

»Das schönste und heiterste Landratsamt der Republik erweitern zu sollen, ist eine mentale Herausforderung. Das vorbildliche Gebäude von 1987 unter heutigen Bedingungen (Energie, Brandschutz, Inklusion) einfach zu reproduzieren aber auch eine ingenieurtechnische. Verblüffend das überzeugende Ergebnis, das erneut zum Vorbild wird.«
Jörn Walter

 

DAM PREIS 2023 – DIE FINALISTEN

ALLMANNWAPPNER
Stadtbahntunnel Karlsruhe

Unterirdische Bauwerke architektonisch ansprechend zu gestalten, ist keine einfache Aufgabe. Vor diesem Hintergrund verblüfft die geradlinige und vornehme Lösung, die allmannwappner für die sieben Haltestellen des neuen Stadtbahntunnels im Zentrum von Karlsruhe gefunden haben. Sie hatten 2004 den Wettbewerb gewonnen. Bis zum Baubeginn Anfang 2010 verstrichen sechs Jahre, bis zur Einweihung im Dezember 2021 weitere zwölf. Unabhängig vom verkehrlichen Gewinn ist die Stadt um ein Baukunstwerk reicher geworden. Wesentlich trägt dazu die Entscheidung bei, ein einheitliches Gestaltungsprinzip entlang der 3,4 Kilometer langen Strecke zu verfolgen, was sie als abgeschlossene Raumfolge zu einem Gesamtkunstwerk macht.

DAM Preis 2023
ALLMANNWAPPNER Stadtbahntunnel, Karlsruhe Foto: Brigida González

Diese Lösung stellt der optischen und akustischen Reizdichte entlang der oberirdischen Einkaufsstraßen gezielt einen ruhigen und reduzierten Raum unter der Erde gegenüber. Das ist gerade im Transferraum zwischen den oberirdischen Eingängen und den eigentlichen Haltestellen mit seinen gestockten Wandoberflächen, der warmen und ungerichteten Beleuchtung, dem Verzicht auf Werbeanlagen und der farblichen Integration aller notwendigen und diskret in die Wand eingelassenen technischen Ausstattungselemente besonders gut gelungen. Es setzt sich fort in der weißen Raumschale der Haltestellenbereiche, die in ihrer überraschend hellen Anmutung das Gefühl von Übersichtlichkeit und Sicherheit vermittelt.

DAM Preis 2023
ALLMANNWAPPNER Stadtbahntunnel, Karlsruhe Foto: Brigida González

Abgeleitet von den elektrischen Oberleitungen der Stadtbahn, durchzieht ein ikonisches Beleuchtungskonzept von Ingo Maurer den Hallenraum: eine Stahlseilkonstruktion, an der in verschiedenen Höhen unzählige LED-Leuchtröhren aufgehängt sind, mit geschlauften Kabeln, Isolatoren und Befestigungselementen, ein irisierendes Lichtkunstwerk. Im Zusammenspiel mit der weißen Raumschale inszeniert es atmosphärisch die Fahrgäste auf dem Podium der Bahnsteige und die Stadtbahn auf dem der Gleise.

Selten ist es mit so einfachen und wenigen Mitteln gelungen, den nicht übermäßig prestigehaltigen Stand des Stadtbahnnutzers und seines ebenso wenig prestigehaltigen Massenverkehrsmittels derart beiläufig und würdevoll als Aktionskünstler zu präsentieren. Hier wurde eingelöst, was man bei Verkehrsbauwerken häufig schmerzlich vermisst und meist vergeblich einfordert: Baukultur. (Originaltext: Jörn Walter)

 

ELEMENT • A ARCHITEKTEN / HIENDL_SCHIENEIS ARCHITEKTENPARTNERSCHAFT
Bundesgeschäftsstelle des Deutschen Alpenvereins e. V., München

Eines der älteren Häuser in der Parkstadt Schwabing ist ein trockener viergeschossiger Verwaltungsbau aus den Siebzigerjahren. Heute ist das Haus nicht wiederzuerkennen, obwohl es eben nicht abgerissen wurde. Stattdessen wurde der Bestand in eine umlaufende Holzkonstruktion eingehüllt und um eine zweigeschossige Aufstockung in leichter Holzhybridbauweise ergänzt. Auftraggeber war der Deutsche Alpenverein DAV, der hier seine Bundesgeschäftsstelle eingerichtet hat. Das erklärte Ziel war, das bestehende Gebäude unter Einsatz möglichst weniger Ressourcen und mit einem Lowtech- Energiekonzept zu neuem Leben zu erwecken.

DAM Preis 2023
ELEMENT • A / HIENDL_SCHIENEIS Bundesgeschäftsstelle Deutscher Alpenverein, München Foto: PK Odessa, Lanz und Schels

Die neue Gebäudehülle weitet sich an der Nordfassade mit dem Haupteingang zu einem Atrium; es nimmt den Empfangstresen und ein luftiges, bis ins oberste Geschoss durchlässiges Treppenhaus auf. Hier erkennt man, dass der Bestand tatsächlich noch existiert. Die alte Gebäudekante liegt offen, Betondecken und -stützen treten gereinigt und teils unverkleidet zutage. Kontrastiert wird diese Optik durch das helle Holz der vorgesetzten Gebäudeschicht und des Mobiliars.

DAM Preis 2023
ELEMENT • A / HIENDL_SCHIENEIS Bundesgeschäftsstelle Deutscher Alpenverein, München Foto: PK Odessa, Lanz und Schels

Das neue Kleid, eine Holz-Pfosten-Riegelfassade, zieht sich bis zum vierten Obergeschoss und bestimmt maßgeblich den veränderten Charakter des Hauses. Was wie schmale Balkonbänder wirkt, ist ein Rankgerüst mit Pflanzkästen und Stegen. An der nordwestlichen Seite schiebt sich wie eine Schublade ein eingeschossiger Ergänzungsbau, der Konferenzbereich, heraus. In den oberen Etagen lagern die Büroflächen als Open-Space-Arbeitsplätze um die Kernzone, die wie ein großes Möbel ein Treppenhaus, den Aufzug, Toiletten und Teeküchen aufnimmt. Am südwestlichen Ende des 6. Obergeschosses wartet ein einladender Begegnungsort: halb Kantine, halb moderne Alpenhütte.

Trotz des hohen Glasanteils kommt das Haus fast ohne außenliegenden Sonnenschutz und gänzlich ohne Klimaanlage aus. Ersteres erledigen zunehmend die Fassadenbepflanzung und die umstehenden höheren Häuser, die auch den Lärm der nahen Autobahn abschirmen. Für die Innenräume wurde von Transsolar ein natürliches Lüftungskonzept auf der Basis physikalischer Grundlagen realisiert.

Die neue Bundesgeschäftsstelle des DAV ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie das Umdenken im Bauwesen Realität werden kann, wenn eine engagierte Bauherrschaft und aufgeschlossene Architekten zusammenarbeiten.
(Originaltext: Christina Gräwe)

 

HÜTTEN & PALÄSTE
Scheune Prädikow, Prötzel

Vor einigen Jahren rückte im brandenburgischen Prötzel-Prädikow ein Ensemble mit 14 denkmalgeschützten Gebäuden in den Fokus einer Gruppe Berliner, die dort zusammen mit den Dorfbewohnern »Wohnen, Leben, Arbeit und Kultur vereinen und eine zukunftsfähige Gemeinschaft entwickeln« wollen. So formuliert es der Verein Hof Prädikow e. V. Die Stiftung trias kaufte das Gelände 2016 und verpachtet es an den Verein und die Mietergenossenschaft SelbstBau.

DAM Preis 2023
HÜTTEN & PALÄSTE Scheune Prädikow, Umbau, genossenschaftliches Wohn- und Gewerbehaus, Prötzel Foto: Studio Bowie

Hütten & Paläste entwickelten zunächst ein Nutzungskonzept für den gesamten Hof. Das Programm wurde für jedes einzelne Gebäude aus seiner bestehenden Struktur abgeleitet. Die kleine Scheune, wo sich um einen großen mittigen Saal das »Dorfwohnzimmer«, ein Co-Working-Space, ein Multifunktionsraum sowie ein Café gruppieren, bietet eine Basis-Infrastruktur für die Neubesiedlung. Finanziert wurde das Projekt vom Verein selbst sowie aus Fördermitteln. Bedürfnisse und Wünsche, Fragen und Vorbehalte beider Seiten konnten in mehreren Workshops einfließen. In der Bauphase war die Gemeinschaft bei den »Subbotniks«, begleitet von den Architekten, zudem handwerklich involviert.

Von der Bestandsstruktur wurde so viel wie möglich erhalten. So war die Position der neuen Fenster und Türen durch die bestehenden Lüftungsschlitze und Tore im massiven Feldsteinmauerwerk vorgegeben. Neu Hinzugefügtes ordnet sich den Vorgaben des Bestands unter, versteckt sich aber nicht. An den Stellen, an denen Mauerwerk ergänzt werden musste, wurden rückgebaute Backsteine wiederverwendet. Auch das historische Holztragwerk im Innenraum wurde als identitätsstiftendes Element weitgehend belassen und wo nötig ergänzt.

DAM Preis 2023
HÜTTEN & PALÄSTE Scheune Prädikow, Umbau, genossenschaftliches Wohn- und Gewerbehaus, Prötzel Foto: Studio Bowie

Die neu hinzugefügten Trennwände, die teils opak, teils transluzent oder transparent sind, sowie die großen Öffnungen darin, die mal mit einem Vorhang, mal mit Türen oder Platten verschlossen sind, erzählen eine Geschichte der Verhandlung darüber, wie viel Trennung ein »Ort der Verbindung« verkraftet.

Insgesamt haben Hütten & Paläste mit der Dorfscheune den wichtigsten Baustein zum Erfolg des Gesamtprojekts beigetragen. Dass ihre Ansätze und Ideen bei den Wohnprojekten auf dem Hof bisher nicht weiterverfolgt werden, ist umso bedauerlicher. Aber noch ist vieles offen in Prötzel-Prädikow. (Originaltext: Juliane Greb)

 

LRO LEDERER RAGNARSDÓTTIR OEI
Münchner Volkstheater

Das Theater war vordem in einer umgebauten Mehrzweckhalle untergebracht. Eine umfangreiche Generalsanierung war notwendig, zudem war das Haus nur angemietet. Durch einen Neubau ließ sich die kostspielige Einrichtung einer Interimsspielstätte umgehen. Mit dem Viehhofgelände fand sich ein neuer Standort, der immer noch innenstadtnah und im städtischen Besitz ist. Um einen möglichst schnellen Umzug zu ermöglichen, wurde kein Gestaltungswettbewerb mit anschließender Ausschreibung durchgeführt, sondern ein Generalübernehmerverfahren.

DAM Preis 2023
LEDERER RAGNARSDÓTTIR OEI LRO Volkstheater München Foto: Roland Halbe

Zu dem geforderten Raumprogramm zählten ein großer Saal (600 Plätze), zwei kleinere Säle (200 und 100 Plätze) sowie umfangreiche Lager- und zeitgemäße Werkstattflächen. Ende 2015 wurde das Verfahren bekannt gegeben und schon im Dezember 2017 im Münchener Stadtrat der Beschluss zu einem Neubau auf Basis des Entwurfs von LRO und der Firma Georg Reisch gefasst. Als Festpreis für den Theaterkomplex wurden 131 Millionen Euro vereinbart.

Von der denkmalgeschützten Gebäudezeile entlang der Zenettistraße übernimmt der Theaterneubau in den unteren Geschossen die Klinkerhülle. Die kleinteilige Gliederung wird mit einem Rundbogen an der Tumblingerstraße in den großen Maßstab des Theaterbaus überführt. Der Torbogen bildet mit einem gewissen Pathos das Entree in den Theaterhof. Die weichen Schwünge und Bögen der Fassade des neuen Theaters lassen einerseits an die Dynamik der Entwürfe von Erich Mendelsohn denken, andererseits erinnern sie mit Bauchungen und Taillierungen an die plastischen Gestaltungen von Le Corbusier. Bemerkenswert differenziert ist es gelungen, die große Baumasse optisch zu gliedern.

Obenauf sitzt der Quader des Bühnenturms, der wie ein Chesterfield- Clubsessel in ein rautenförmig aufgewölbtes Kunstfasergewebe gehüllt ist. Das weiße Material verleiht dem 30 Meter hohen Turm eine visuelle Leichtigkeit über den schweren Ziegelgeschossen. Eine überraschende emotionalisierende Farbigkeit bestimmt die Foyers des Hauses. Sie sind alles andere als eine neutrale Bühne für das Theaterpublikum, dieses wird vielmehr zum Darsteller in einer ziemlich bunten Inszenierung des Raums. (Originaltext: Yorck Förster)

Pressemitteilung: Deutsches Architekturmuseum DAM