29. März 2024

Befreiung vom Backsteinziegel: Das Projekt „Staatsaffäre Architektur“ arbeitet die Geschichte von Preußens Bauverwaltung auf

Berlin (pm) – Das Neue Exerzierhaus, 1789 in Berlin erbaut, steht mit seinem Bohlenbinderdach für materialsparendes, effizientes, kostengünstiges Bauen in der Frühzeit der preußischen Bauverwaltung. Der Entwurf für das Stadtgericht in Breslau aus dem Jahr 1848 trägt mit seiner neuen Raumstruktur der Etablierung von Schöffengerichten in der preußischen Gerichtsbarkeit Rechnung und widerspiegelt, wie Preußens Bauverwaltung bestrebt war, Veränderungen im Staatswesen auch in der Architektur sichtbar zu machen. Das gilt auch für die Pädagogische Akademie Bonn von 1930/1933. Das Gebäude verkörpert den Anspruch, dem Aufbruch in die Moderne in der Weimarer Republik eine architektonische Form zu geben: „Die strengen Linien der weißen Kuben fügen sich zu einem knallmodernen Komplex“, sagt der Kunsthistoriker und Publizist Dr. Christian Welzbacher.

Beispiele für Bauökonomie, Liberalisierung und Modernisierung

Bauherr der drei Bauten war die preußische Bauverwaltung, also der preußische Staat. Sie sind bedeutsam in der Geschichte der preußischen Bauverwaltung, da sie für wichtige Etappen stehen: das Neue Exerzierhaus für Bauökonomie und Innovation, das Breslauer Stadtgericht für die Liberalisierung des Gerichtswesens in Preußen und die Pädagogische Akademie Bonn für einen Modernisierungsprozess in der Weimarer Republik.

In einem neuen Forschungsprojekt „Staatsaffäre Architektur“, angesiedelt am Architekturmuseum der TU Berlin, soll nun die Geschichte von Preußens Bauverwaltung aufgearbeitet werden. „Ziel ist es, den Staat als Bauherr am Beispiel der preußischen Bauverwaltung unter die Lupe zu nehmen – von ihrem Gründungsjahr 1770 durch Friedrich II. bis 1933“, sagt Dr. Christian Welzbacher, der das Projekt gemeinsam mit dem Direktor des Architekturmuseums Dr. Hans-Dieter Nägelke initiierte und leitet.

Ausgeprägter Konservatismus

Welzbacher hat sich in einigen seiner Bücher mit dem Staat als Bauherr bereits beschäftigt – so in seiner Dissertation über die Staatsarchitektur der Weimarer Republik oder in seiner politischen Architekturgeschichte Deutschlands von 1920 bis 1960. Jetzt geht er an die Anfänge staatlicher Bauverwaltung im Jahr 1770 zurück. „Zum einen zeigt sich, dass die preußische Bauverwaltung von Beginn an mit Fragen beschäftigt war wie, ob die Verwaltung überhaupt kostengünstig und dennoch auf dem technisch neuesten Stand und internationalem Niveau bauen und effizient arbeiten kann oder ob die Strukturen dem nicht zuwiderlaufen. Fragen, die uns sehr bekannt vorkommen dürften. Zum anderen interessiert mich, wie an den Bauten die Verfasstheit des (preußischen) Staates sichtbar wird und sich in der Architektur gesellschaftliche Entwicklungen spiegeln oder auch nicht“, so Welzbacher. „Betrachtet man die preußische Bauverwaltung in den 1830er-Jahren, ist sie vom modernen, experimentellen Geist Karl Friedrich Schinkels geprägt. Um 1860 bis 1880 jedoch stößt man auf einen ausgeprägten Konservatismus – Schinkel verfallen bis in alle Ewigkeit.“

Reichstagsgebäude und Hauptgebäude der Technischen Hochschule als Wendepunkte

Ein Wendepunkt markiert für Welzbacher das Reichstagsgebäude, zwischen 1884 und 1894 im Stil der Neorenaissance errichtet, der international längst en vogue war. „Das manipulative Agieren der preußischen Bauverwaltung, die Wettbewerbsjurys mit den eigenen Leuten zu besetzen, um somit die eigenen, aber längst veralteten Vorstellungen immer wieder aufs Neue durchzusetzen, hatte offenbar nicht mehr funktioniert. Paul Wallots Entwurf wurde zum Sieger erklärt. Die Entscheidung kam einem Erdrutsch gleich. Diese Architektur war für die preußischen Baubeamten undenkbar gewesen. Die hätten weiterhin Backsteinziegel auf Backsteinziegel gesetzt“, erzählt Dr. Christian Welzbacher. Auch das Hauptgebäude der Technischen Hochschule Charlottenburg, der Vorgängereinrichtung der TU Berlin, sei ein Beispiel dafür, dass man sich in Preußens Bauverwaltung neuen Tendenzen öffnete.

Dieser aufgeschlossene Geist erlebte dann mit Martin Kießling (1879–1944) als Vertreter der Neuen Sachlichkeit und Ministerialdirektor der Hochbauverwaltung und damit höchster preußischer Baubeamter in den 1920er-Jahren einen Höhepunkt. Der Absolvent der TH verstand Architektur als identitätsbildend für den Staat, verknüpfte Architektur mit sozialer Verantwortung und orientierte sich stark an neuen internationalen Strömungen.

Dass das Projekt am Architekturmuseum der TU Berlin durchgeführt wird, ist für Welzbacher nahezu zwingend. Er nennt das Architekturmuseum den „natürlichen Ort“ für diese Forschung, da hier Preußens Baugeschichte in Plänen, Zeichnungen, Drucken und Fotos archiviert und mittlerweile vollständig digitalisiert ist. Beste Voraussetzungen also, um die Ergebnisse aus der „Staatsaffäre Architektur“ in einer Ausstellung im Herbst nächsten Jahres im Architekturmuseum zu präsentieren.

Am 15. und 16. September 2022 findet am Architekturmuseum der TU Berlin zu dem Projekt ein Symposium statt. Das Symposium ist öffentlich. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Im Rahmen des Symposiums wird am 16. September auch eine Ausstellung eröffnet.

 

Mehr Informationen dazu unter:

https://architekturmuseum.ub.tu-berlin.de/index.php?DWL=2&DLMOD=DOC&D=2022_Staatsaffaere_Architektur_Tagung.pdf

 

Pressemitteilung: TU Berlin